Auf einen Blick
Die Frauen, das schwache Geschlecht! Wer so denkt, sollte einmal nach Cortina (It) reisen. Hier donnern die weltbesten Skifahrerinnen mit 130 Kilometern pro Stunde den Tofana-Schuss zwischen zwei riesigen Felsen durch, fliegen über fünf grosse Sprünge und meistern unzählige Wellen. Ihr Mut und ihre Klasse sind beeindruckend. Und man fragt sich: Könnten Federica Brignone, Cornelia Hütter, Lara Gut-Behrami und Co. eigentlich auch am Lauberhorn fahren?
1946 wurde an der Berner Oberländer Skistation eine Abfahrt für Frauen ausgetragen, danach war das Thema aber rasch vom Tisch. «Aus technischer Sicht traue ich den Frauen jede Strecke zu», sagt der Schweizer Speedtrainer Roland Platzer.
Klar, man müsste gewisse Passagen anders gestalten – von der Präparierung, aber auch von der Kurssetzung her, so Platzer. So wie im Dezember auf der Birds of Prey (USA), einer traditionellen Männerstrecke, welche die Frauen mit Bravour meisterten. «Da sind sie wirklich sehr gut gefahren», so Platzer.
Lauberhornrennen am Limit
«Es wäre mega cool, wenn wir mal am Lauberhorn fahren könnten. Der Hundschopf und die Minschkante, da müsste man schauen. Aber eine so lange Abfahrt wäre sehr reizvoll», sagt Speedspezialistin Joana Hählen (32).
Wengens OK-Chef Urs Näpflin findet, dass Frauenrennen in Wengen grundsätzlich möglich wären. Es wird aber trotzdem in absehbarer Zeit nicht dazu kommen. «Beim Auf- und Abbau sind wir schon jetzt absolut am Limit – wir hätten keine Chance, eine Zusatzwoche anzuhängen. Und man muss auch schauen, dass nicht nur die Besten im Weltcup hier heil herunterkommen, sondern alle – also auch die schwächeren Fahrerinnen.»
Adelboden-Boss: «Wäre finanziell sehr attraktiv»
Fakt ist: Die Stationen, an denen Männer und Frauen auf der gleichen Piste fahren, mehren sich: In diesem Winter sind es Sölden (Ö), Levi (Fi), Gurgl (Ö), Garmisch (De) und Sun Valley (USA), wo das Weltcupfinal ausgetragen wird. Dazu kommt die WM in Saalbach (Ö). In Kitzbühel (Ö) werden im März erstmals seit Jahren Frauenrennen ausgetragen – wenn auch im Europacup.
Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann: «Es war ein bewusster Entscheid der FIS, dass man vermehrt die ganze Skisportfamilie zusammenbringen möchte. An gewissen Stationen macht das Sinn. Ich traue den Frauen enorm viel zu und könnte mir beispielsweise auch Rennen in Adelboden vorstellen. Für mich entscheidend ist, dass die Rennen auch gut aussehen müssen.»
Sprich: Man darf die Frauen nicht überfordern. Das wäre bei Technikevents eher der Fall als bei Speedrennen. «Wir sind offen für alle Gedanken», sagt Adelboden-Boss Christian Haueter. Vier Rennen an einem Wochenende wären zu viel, aber wie wäre es mit zwei Blöcken – zuerst die Männer, danach die Frauen?
«Wir haben derzeit ein Budget von 7,5 Millionen Franken. Die Tribünen und das Village sind ein grosser Kostenblock. Es wäre sehr attraktiv, wenn wir sie zweimal nutzen könnten», so Haueter. Allerdings müsste man zuerst mit den Anwohnern und Anwohnerinnen und der Gemeinde eine Lösung finden, wäre doch die Belastung für sie dann grösser.
Holdener erlebte Hexenkessel bereits
Es würde wohl viele Athletinnen reizen, auch einmal in den berühmten Zielhexenkessel einzufahren. «Adelboden im Weltcup – das wäre mein Traum», sagt Slalomspezialistin Aline Danioth (26). Ihre Teamkollegin Wendy Holdener (31) erlebte dies zuletzt als Vorfahrerin des Männerslaloms und meinte: «Es war sehr cool.»
Ob und wie oft Frauen künftig auf Männerstrecken fahren werden, bleibt letztlich offen. Fakt ist: Sie haben längst bewiesen, dass sie mehr draufhaben, als einige dies vielleicht vermutet hatten.