Für die Macher vom Auftakt des Alpinen Weltcups in Sölden (Ö) gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Positiv: Durch den Temperatursturz am vergangenen Wochenende konnte der Riesenslalom-Hang auf dem Rettenbach-Gletscher optimal präpariert werden, die Rennen vom übernächsten Wochenende sind so gut wie gesichert. Das Problem: Die besten Skirennfahrerinnen der Welt haben scheinbar keine Lust auf ein Weltcuprennen am letzten Oktober-Wochenende.
Lara Gut-Behrami (32) stellte das Sölden-Rennen vergangene Woche im Gespräch mit Blick infrage: «Wenn die Leute im Zielraum im T-Shirt rumlaufen und jene vor dem Fernseher Badehose tragen, ist das nicht logisch. Das weckt bei ihnen doch keine Lust, selbst Ski zu fahren.»
Die US-Ski-Queen Mikaela Shiffrin (27, fünf Gesamtweltcupsiege) hinterfragt das Riesen-Opening schon seit längerer Zeit: «Ich kann zwar jederzeit, auch bei warmen Temperaturen, in den mentalen Zustand kommen, um Rennen zu fahren. Aber macht das wirklich Sinn? Bis zu welchem Grad sollten wir unsere Umwelt an einen Zeitplan anpassen, den wir haben wollen? Oder sollten wir unsere Zeitpläne der Umwelt anpassen?»
Girardelli schüttelt den Kopf
Der Luxemburg-Österreicher Marc Girardelli (60), der die grosse Kristallkugel wie Shiffrin fünfmal gewonnen hat, reagiert genervt, wenn er mit solchen Aussagen konfrontiert wird: «Idole wie Shiffrin und Gut-Behrami sollten endlich damit aufhören, an dem Ast zu sägen, auf dem sie selber sitzen!»
Der einstige Top-Allrounder mit 46-Einzelweltcupsiegen wird konkret: «Ich kann Mikaela Shiffrin versichern, dass in Sölden mit einer höchst umweltfreundlichen Technologie Schnee produziert wird. Und Lara Gut sollte daran denken, dass die Australian Open im Tennis in Europa auch auf grosses Interesse stossen, obwohl dieses Turnier in unserem Hochwinter ausgetragen wird. Deshalb gibt es keinen Grund, warum die TV-Zuschauer umgekehrt bei höheren Temperaturen keine Lust auf Ski-Übertragungen haben sollten.»
Deutschlands Slalom-Altmeister Frank Wörndl (64, Weltmeister 1987) denkt ähnlich wie Girardelli und wartet mit einem besonderen Vergleich auf: «Ich war gerade im Supermarkt, wo an der Kasse bereits zwei Monate vor Weihnachten Christstollen angeboten werden. Aus demselben Grund braucht die Ski-Industrie den Weltcup-Auftakt im Spätherbst. Die Menschen sollen durch die Rennen Appetit auf den Winter bekommen!»
Und weil die Top-Athleten einen beträchtlichen Teil ihres Gehalts von ihren Ausrüstern kassieren, sind Shiffrin und Gut-Behrami von einer florierenden Ski-Industrie abhängig. Aber haben Weltcuprennen im Oktober tatsächlich einen so grossen Einfluss auf den Verkauf von Wintersport-Artikeln? Einer, der das ganz genau einschätzen kann, ist Franz Julen (65), Boss der neuen Weltcup-Abfahrt am Matterhorn. Der Zermatter hat in den 80er-Jahren die Superstars Pirmin Zubriggen und Vreni Schneider vermarktet und war dann CEO von Völkl Ski und Intersport International. «Der frühe Weltcup-Auftakt in Sölden ist für die Wintersport-Industrie äusserst wichtig!», hält der Zermatter fest. «Jährlich haben wir erlebt, dass der Verkauf von Ski, Skianzügen und Handschuhen erst am Tag nach dem Sölden-Rennen so richtig in Schwung gekommen ist.»
Dennoch sind Shiffrin und Gut-Behrami längst nicht die einzigen Mitglieder vom Alpin-Zirkus, die dafür plädieren, dass die Weltcup-Saison erst Ende November beginnt und dafür bis Anfang April hinausgezogen wird. Julen glaubt nicht, dass diese Idee funktionieren wird. «Wir haben im OK über die Austragung von Weltcuprennen im Frühling diskutiert. Aber keiner von unseren Sponsoren hatte Interesse an einer Matterhorn-Abfahrt im April. Um diese Jahreszeit wollen diese Firmen ihr Geld logischerweise in die Sommersportarten investieren. Bei Intersport haben wir immer viel Geld in das Skisponsoring investiert, aber nur bis Ende Februar, weil danach die TV-Einschaltquoten stark sinken.»
Umweltfreundlichkeit infrage gestellt
Frank Wörndl ist zudem überzeugt, dass Weltcuprennen im Frühling nicht umweltfreundlicher sind, als der Saisonauftakt im Tiroler Herbst: «Für die Rettung der Pisten mussten in der Vergangenheit speziell bei den Weltcup-Finals im März unzählige Tonnen Salz in den Schnee gestreut werden. Und die meisten Naturwissenschaftler werden bestätigen, dass Salz zu Verätzungen von Pflanzen führen kann.»
Im selben Atemzug macht Wörndl aber deutlich, warum die heutige Skirennfahrer-Generation zu viel über die Nachhaltigkeit in ihrem Sport diskutiert: «Wenn ich daran denke, wie viel Schaden all die Panzer der Umwelt zufügen, die derzeit in den Kriegen eingesetzt werden, kommt das, was im Skisport passiert, einer Lappalie gleich.» Das letzte Wort dürfte in dieser Diskussion dennoch noch lange nicht ausgesprochen sein.