Für Urs Kryenbühl ist es auf seinem Weg zurück an die Weltspitze eine besonders harte Etappe – der Schwyzer quält sich mit dem Mountainbike über einige extrem steile Rampen in den Tessiner Bergen. «Gesundheitlich geht es mir sehr gut, aber konditionell habe ich noch einige Defizite», sagt der 26-Jährige. Dennoch erreicht er das Ziel in Tenero zeitgleich mit seinen Teamkollegen Niels Hintermann (25) und Lars Rösti (23) und gönnt sich danach eine Verschnaufpause an den Gestaden des Lago Maggiore.
Doch seine Pulsuhr schlägt noch mal richtig aus. Grund ist, dass sich Kryenbühl zusammen mit dem Blick-Team noch einmal seinen fürchterlichen Sturz beim Zielsprung der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel anschaut. Die Bilder nehmen den 26-Jährige sichtlich mit. Es dauert lange, bis er die Worte wiederfindet: «Ich glaubte stets, dass mir mit genügend Vorlage auf einem Sprung nichts passieren kann. Aber vielleicht hatte ich hier zu viel Vorlage.»
Längeres Leiden wegen geizigen Ösis
An die Zeit unmittelbar nach dem Sturz kann sich Kryenbühl nicht mehr erinnern. Der Unteriberger hatte einen Filmriss von ungefähr 45 Minuten. «Mein Erinnerungsvermögen setzte erst dann wieder ein, als man mich in Österreich ins Spital trug.»
Wieder klar in Gedanken, wollte Kryenbühl damals sofort mit seinen Liebsten Kontakt aufnehmen: «Ich wollte ihnen so schnell wie möglich mitteilen, dass es mir den Umständen entsprechend gut gehe. Dummerweise wollte mir vom Spital-Personal niemand das Handy leihen, weil ihnen ein Anruf ins Ausland offensichtlich zu teuer war.» Deshalb dauerte die Ungewissheit bei den Angehörigen länger, als es nötig war. Die Freundin hörte Urs' Stimme als erste: «Ihre Nummer war einer der wenigen, die ich auswendig wusste.»
Die heilenden Hände des «Schwiegervaters»
Auch der Vater seiner Freundin hat inzwischen einen ganz wichtigen Part in der Genesung von Urs eingenommen. Er ist Naturarzt und hat den Kreuz- und Innenbandriss ohne Operation mit alternativen Methoden behandelt. Offensichtlich erfolgreich. Kryenbühl: «Meinem Knie geht es wirklich sehr gut. Letzte Woche habe ich zwei Stunden lang Tennis gespielt und hatte keine negativen Reaktionen.»
Inzwischen hat Kryenbühl Mitte März auf dem Hoch-Ybrig auch erste Schwünge auf den Ski gemacht. Er ist also auf gutem Weg zurück, stellt sich allerdings die Frage nach der mentalen Stärke. Wie viel Bammel hat er vor seiner Rückkehr nach Kitzbühel? «Ich denke schon, dass ich dort vor dem ersten Training ziemlich nervös sein werde. Trotzdem überwiegt die Vorfreude, weil ich mir sicher bin, dass mir die Streif eigentlich liegt.»
Dass er sich mit Unglücksstrecken schnell versöhnen kann, hat Urs Kryenbühl ja schon einmal bewiesen. «2015 bin ich im Europacup im italienischen Sella Nevea ebenfalls sehr schwer gestürzt. 2019 kehrte ich auf diese Piste zurück und war brutal nervös. Dann habe ich dieses Rennen aber gewonnen. Das betrachte ich als gutes Omen für mein Comeback in Kitzbühel.