Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Das Stehaufmännchen der Schweiz

Herzstillstand, Hodenkrebs und zuletzt ein Kreuzbandriss. Jeremy Vollenweider trotzt jedem Schicksalsschlag. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 23.07.2023 um 19:16 Uhr
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Jeremy Vollenweider gewinnt gegen Remo Käser.
Foto: Sven Thomann
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Felix BingesserReporter Sport

Wie oft kann man hinfallen? Fragen Sie den Schwinger Jeremy Vollenweider (25). Seine Geschichte ist aber nicht nur die Geschichte eines Mannes, dem das Schicksal immer wieder einen Streich gespielt hat. Sondern vor allem die Geschichte eines Mannes, der immer wieder aufsteht. Und stärker als zuvor zurückkommt.

Jeremy war 18 Jahre alt, als er an einem Ringer-Wettkampf teilnahm. Er fühlte sich nicht gut. Und klappte auf der Matte plötzlich zusammen. Ein epileptischer Anfall aus dem Nichts. Eine Minute lang schlug sein Herz nicht mehr. Er wurde beatmet und ins Leben zurückgeholt.

Vier Jahre später folgte der nächste Hammer für den Schwinger und Ringer, der auch einer der besten Nationalturner des Landes ist. Die niederschmetternde Diganose: Hodenkrebs. Operation, Chemotherapie. Weil er bereits zu viele Ableger hatte, wurde eine zweite Operation nötig. Nach der Amputation eines Hodens musste auch die Bauchdecke geöffnet werden.

Jeremy kehrte ins Sägemehl zurück. Beim Eidgenössischen in Zug 2019 gewann er im ersten Gang gegen Noe van Messel und im zweiten Gang gegen Remo Käser. Trotzdem verpasste er sein grosses Ziel und wurde nicht Eidgenosse. Drei Jahre später wollte er das in Pratteln nachholen.

Aber im Frühling 2022 der nächste Rückschlag: Kreuzbandriss, lautete diesmal die für seine Verhältnisse schon fast gnädige Diagnose. «Natürlich schluckt man bei solchen Schicksalsschlägen leer und stellt sich gewisse Fragen. Aber das dauert bei mir nicht lange», sagt der Schaffhauser.

Er kam gestärkt zurück. In der laufenden Saison trat er bei bisher vier Schwingfesten an und gewann jedes Mal den Kranz. Vielfach schwang er am Sonntag, nachdem er am Vortag bereits bei einem Wettkampf der Nationalturner angetreten war. Dort ist er fünfmal gestartet und hat fünfmal gewonnen. Die 100 Meter läuft der Mann, der in der Schwingsaison knapp 105 Kilogramm auf die Waage bringt, in einem idealen Rennen in 12,5 Sekunden.

Der nächste ganz grosse Höhepunkt wird für ihn der Unspunnen-Schwinget in Interlaken sein. Bevor dann am 9. September mit dem alle sechs Jahre stattfindenden Eidgenössischen Nationalturntag das nächste Highlight auf dem Programm steht. Im thurgauischen Wigoltingen möchte Vollenweider die Nachfolge von Andy Imhof (38) antreten.

Die Konkurrenz wird dort gross sein, denn auch Sämi Giger (25) will am Nationalturntag an den Start gehen. Auch Domenic Schneider (29) überlegt sich eine Teilnahme. Vollenweider ist gefordert. Und hofft dann, dass die Siegerehrung zügig über die Runde geht. Denn nach dem Wettkampf duscht er sich das Sägemehl vom Leib und steht am selben Abend noch für die Ringerriege Weinfelden auf der Matte.

«Für mich ist es nie zu viel. Ich habe einfach Freude am Sport und an der Bewegung und lebe das jede Minute aus», sagt Vollenweider.

Vom Schicksal schwer geprüft. Aber nie den Mut und den Optimismus verloren. Der 25-jährige Jeremy Vollenweider ist das Stehaufmännchen der Schweiz.

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