Darum gehts
Lässt sich eine Rad-WM im Nebenamt aufgleisen, organisieren und durchführen? In Zürich scheiterte dieses Vorhaben kolossal. Der Verein namens Rad-WM 2024 steckt in der Nachlassstundung und muss jetzt mit öffentlichen Millionen saniert werden, damit wenigstens alle Gläubiger bezahlt werden.
Der im März erschienene Untersuchungsbericht der Wirtschaftsprüfer von Deloitte fällt ein vernichtendes Urteil über die Vorgänge im organisierenden Verein ab 2019, als die WM nach Zürich vergeben wurde.
Das Hauptproblem? Ein Budget, das naiv und mit zu wenig Reserven erstellt worden war. O-Ton aus dem Deloitte-Bericht: Man hätte «zum Zeitpunkt der Budgeterstellung 2018 für die Unsicherheiten entsprechend zusätzliche Reserven im Budget berücksichtigen müssen.» Dieses Budget stammte aus dem Businessplan der Stadt Zürich für die WM-Bewerbung.
1,1 Mio. Mehrkosten wegen Mehrwertsteuer-Lapsus
Darin enthalten war eine erst spät entdeckte Panne bei der Mehrwertsteuer-Berechnung. Die Erklärung im Deloitte-Bericht: «Das Budget 2018 wurde unter der falschen Annahme erstellt, dass die Unterstützungsbeiträge der öffentlichen Hand mehrwertsteuerpflichtig sind. (…) Was zu einem signifikanten Anstieg der Kosten führte.» Es waren 1,1 Millionen Mehrkosten!
Der nächste Kritikpunkt: Die schwerfällige Struktur mit einem Verein, einem Steuerungsausschuss der öffentlichen Hand mit Stadtpräsidentin Corine Mauch als Vorsitzende und einem Projektausschuss der öffentlichen Hand. Wieder O-Ton Deloitte: «Die Organisationsstruktur war aufgrund der starken Einbeziehung der öffentlichen Hand sehr komplex und somit eine Herausforderung in der definitiven Entscheidungsfähigkeit.»
Jetzt belaufen sich die Ausgaben für die WM auf 23,5 Millionen. Die Einnahmen stehen bei 19 Millionen – und davon kommt der allergrösste Anteil wie auch die offene Differenz von der öffentlichen Hand. Zum Vergleich: 2018 fand in der Stadt Zürich ein Formel-E-Rennen ohne einzigen Franken vom Steuerzahler statt. Das 18-Millionen-Budget bezahlten Sponsoren.
Doch die Rad-WM fand keinen einzigen Hauptsponsor. Auch kleinere, sogenannte KMU-Sponsoringpakete konnten nicht verkauft werden. Viele potenzielle Sponsoren hätten wegen des Theaters um abgesperrte Stadtviertel abgewunken. Gemäss Deloitte-Bericht schlossen die Zürcher Politiker aus Angst vor einem Imageschaden jedoch auch Sponsoren wie Mineralölgesellschaften oder Geldgeber aus dem arabischen Raum von vornherein aus. Ob der Imageschaden nun wirklich kleiner ist?
Geschäftsführer Thomas Peter über die Rolle von Swiss Cycling
Der Vereinsvorstand setzte sich je zu einem Drittel aus Vertretern der Stadt Zürich, des Kantons Zürich und des Radsportverbands Swiss Cycling zusammen; das Präsidium war alternierend geregelt. Aktueller Vereinspräsident ist Stefan Schötzau, Leiter des kantonalen Sportamts. Vizepräsident ist Urs Schmidig, Chef des städtischen Sportamts. Alle Beteiligten kümmerten sich neben ihrer regulären Tätigkeit um die Rad-WM. Den grössten Sportanlass in der Schweiz seit der Fussball-EM 2008 im Nebenamt aufzugleisen – es war wohl eine der schlechtesten Ideen in der Schweizer Sportgeschichte.
Doch was war in diesem ganzen Schlamassel eigentlich die Rolle von Swiss Cycling? Im Untersuchungsbericht spielt der Radsportverband trotz 33 Prozent Stimmanteil im Vereinsvorstand keine grosse Rolle. Im Gegensatz zu den politischen Vertretungen wurde von Deloitte für den Bericht niemand von Swiss Cycling interviewt.
Blick trifft Swiss-Cycling-Geschäftsführer Thomas Peter in einem Café am Zürcher Limmatquai – unweit der Wasserkirche, wo die nach dem tragischen Tod der U19-Fahrerin Muriel Furrer errichtete Trauerstelle längst wieder abgeräumt ist. Peter spricht erstmals seit Bekanntwerden des Finanzdesasters öffentlich. Er sagt: «Dass es keine schwarze Null gibt, war uns klar. Aber als Vorstandsmitglied hatte ich dieses Ausmass nie vor Augen. Das Minus in dieser Höhe ist überraschend. Es tut weh.»
Der Rad-Boss distanziert sich jedoch von der Vorstellung, dass Swiss Cycling in den Jahren der WM-Vorbereitung eine aktivere Rolle hätte übernehmen können – etwa bei der Sponsorensuche. «Es war nie unsere Aufgabe, Sponsoren für die WM zu finden. Wir hatten dazu weder einen Auftrag noch ein Mandat. Aufgrund der Bewerbung gingen wir davon aus, dass Zürich die WM finanzieren kann.»
Peter lässt durchblicken, dass auch er die Strukturen als schwerfällig empfand – und zieht den Vergleich zur bevorstehenden Mountainbike-WM im September im Wallis, ebenfalls eine einwöchige Grossveranstaltung. «Bei der Mountainbike-WM im Wallis steht ebenfalls ein Verein an der Spitze. Doch im Gegensatz zur Rad-WM sind es private Player. Es sind schnelle Entscheidungen im Sinne des Sports möglich. Es ist eines der Learnings von Zürich: Macht es Sinn, dass der operativ-privatrechtliche Sport gemeinsam mit der öffentlichen Hand die Organisation bestreitet?» Für Peter ist die Antwort klar: Es gibt sinnvollere Konstellationen.
Professionelle Eventfirma wollte übernehmen, Stadt lehnte ab
Natürlich kamen im Laufe des Organisationsprozesses mit dem lokalen OK rund um Tour-de-Suisse-Boss Olivier Senn Experten für Velorennen hinzu. Aber auch hier gilt: Senn und Co. hatten die WM lange im Nebenjob neben der gewohnten Tour-Organisation aufgegleist. Die Erkenntnis ist letztlich eindeutig: Statt des Gewurschtels mit Stadt und Kanton im Lead hätte die Rad-WM besser eine erfahrene Event-Organisations-Crew benötigt.
Im Zuge der Recherche erfährt Blick einen Hammer: 2018 trat offenbar eine mit grossen Sportevents vertraute Firma an die Stadt Zürich heran, um die WM-Organisation zu übernehmen. Doch die Stadt lehnte das Angebot ab. Es wurde weiterhin mit den Behörden im Lead fortgefahren.
Das hatte auch Auswirkungen auf die Aussendarstellung. Denn die Politik und der Sport hatten unterschiedliche Agenden. Swiss Cycling hoffte, dass die WM eine Initialzündung sein könne. Im besten Fall sogar so wie die Leichtathletik-EM 2014, die als Basis für den anhaltenden Höhenflug gilt.
Ein tragischer Todesfall und ein Finanzloch. Was bleibt sonst als «Legacy» (dt. Vermächtnis) von Zürich 2024? Swiss-Cycling-Boss Thomas Peter: «Wir haben 2019 im Hinblick auf die WM vier Projekte ins Leben gerufen, die sehr erfolgreich laufen.»
Sie allesamt werden vom Bund als WM-Begleitmassnahmen unterstützt, zumindest die Initialzündung kam aus Staatstöpfen. Aus einem, dem Frauenförderprojekt «#fastandfemaleSUI», sind zwei Stränge entstanden. Eine Schiene gehört zum Breitensport, mehr Frauen sollen als Hobby aufs Velo steigen. Mittlerweile gibts im Land rund 35 Frauengruppen, die radeln. Die zweite führt in den Spitzensport, wo 2021 die Tour de Suisse für die Frauen ins Leben gerufen wurde.
Ebenfalls aus «#fastandfemaleSUI» ist 2025 Frauen-Rennstall Nexetis entstanden, der jungen Rennfahrerinnen eine Ausbildung auf der Strasse ermöglichen soll. Nexetis löst im Prinzip ein weiteres Projekt aus dem WM-Dunstkreis ab – Swiss Cycling nahm von 2019 bis 2024 als Förderungsmassnahme bei den Männern und den Frauen ab 2021 jeweils an der Tour de Romandie und an der Tour de Suisse teil.
Und dann ist da auch noch «Bikecontrol», bei dem rund 15’000 Schülern das Thema Velo näher gebracht wird. Sowie die «Swiss Cycling Academy 4 Kids» mit dem Velopass, bei dem Kinder und Jugendliche ähnlich wie im Schwimmen Abzeichen für jeweilige Entwicklungsschritte sammeln können. «Die beiden Förderprojekte entwickeln sich ausgezeichnet. Leider ist es nicht gelungen, sie mit der WM zu verknüpfen, weil Zürich kommunikativ generell wegen der umstrittenen Strassensperrungen immer in der Defensive war.» (md)
Ein tragischer Todesfall und ein Finanzloch. Was bleibt sonst als «Legacy» (dt. Vermächtnis) von Zürich 2024? Swiss-Cycling-Boss Thomas Peter: «Wir haben 2019 im Hinblick auf die WM vier Projekte ins Leben gerufen, die sehr erfolgreich laufen.»
Sie allesamt werden vom Bund als WM-Begleitmassnahmen unterstützt, zumindest die Initialzündung kam aus Staatstöpfen. Aus einem, dem Frauenförderprojekt «#fastandfemaleSUI», sind zwei Stränge entstanden. Eine Schiene gehört zum Breitensport, mehr Frauen sollen als Hobby aufs Velo steigen. Mittlerweile gibts im Land rund 35 Frauengruppen, die radeln. Die zweite führt in den Spitzensport, wo 2021 die Tour de Suisse für die Frauen ins Leben gerufen wurde.
Ebenfalls aus «#fastandfemaleSUI» ist 2025 Frauen-Rennstall Nexetis entstanden, der jungen Rennfahrerinnen eine Ausbildung auf der Strasse ermöglichen soll. Nexetis löst im Prinzip ein weiteres Projekt aus dem WM-Dunstkreis ab – Swiss Cycling nahm von 2019 bis 2024 als Förderungsmassnahme bei den Männern und den Frauen ab 2021 jeweils an der Tour de Romandie und an der Tour de Suisse teil.
Und dann ist da auch noch «Bikecontrol», bei dem rund 15’000 Schülern das Thema Velo näher gebracht wird. Sowie die «Swiss Cycling Academy 4 Kids» mit dem Velopass, bei dem Kinder und Jugendliche ähnlich wie im Schwimmen Abzeichen für jeweilige Entwicklungsschritte sammeln können. «Die beiden Förderprojekte entwickeln sich ausgezeichnet. Leider ist es nicht gelungen, sie mit der WM zu verknüpfen, weil Zürich kommunikativ generell wegen der umstrittenen Strassensperrungen immer in der Defensive war.» (md)
Peter sagt: «Natürlich hatten wir uns einen Boom erhofft, dass die Anmeldezahlen in den Vereinen steigen. Auch die Stadt und der Kanton Zürich hofften auf einen guten Rücklauf für ihre eigenen Velo-Fördergefässe. Vielleicht haben sich da Parallelwelten entwickelt. Wir alle wollten, dass die Rad-WM gelingt. Doch wir haben die langfristige Entwicklung des Radsports im Auge, was gegenüber dem von den Behörden erhofften kurzfristigen Erfolg der WM nicht immer kompatibel war.»
Ein halbes Jahr nach der WM ist der Kater nach wie vor enorm. Und ganz nebenbei bemerkt: Die Finanzmisere könnte theoretisch noch grösser werden – falls sich aus der noch nicht abgeschlossenen Untersuchung zum tragischen Unfalltod von Furrer eine Schadensersatzforderung ergeben sollte, die in Richtung der WM-Organisatoren zielt.