Marc Hirschis Lieblingstier ist der Löwe. «Es wäre genial, mal einen in freier Wildbahn zu sehen», sagt er. Vor der WM in Belgien begnügt sich der 23-jährige Rad-Diamant mit einem Besuch im Tierpark Dählhölzli, nur fünf Kilometer Luftlinie von seinem Wohnort Ittigen BE entfernt. Hier tankt Hirschi Kraft für das heutige Saisonhighlight. «Als kleiner Bub war ich oft hier, es ist extrem schön. Ich mochte Tiere schon immer, wir hatten Katzen, Hunde und auch Vögel», erzählt er.
Nur aus der Ferne kannte das 61-Kilo-Leichtgewicht dagegen Seehunde. Das ändert sich an diesem Spätsommertag – Hirschi übernimmt am frühen Morgen die Fütterung der Robben. Nach den Instruktionen der Tierwärterin geht es los. Hirschi nimmt den Kessel voller Heringe und Makrelen, nähert sich langsam dem Becken, kauert sich nieder und hält die Fische den heranschwimmenden Seehunden mit gestrecktem Arm entgegen. Schon bald schnappen die Seehunde nach den Leckereien. «Ich musste aufpassen, dass sie mir nicht in die Finger beissen. Sie waren ziemlich hungrig», sagt er schmunzelnd. Vor allem die erst vierjährige Tira – Seehunde werden bis zu 30 Jahre alt – begeistert Hirschi. «Aber eigentlich waren alle super. So was habe ich noch nie vorher gemacht, es war wirklich cool.»
Hirschi musste unten durch
Solch unbeschwerte Momente genoss Hirschi in dieser Saison selten. Nach dem grandiosen letzten Jahr, in dem sich der Berner in die Herzen der Radfans fuhr, musste er in dieser Saison hartes Brot essen. Es gab kaum ein Problem, von dem er verschont blieb. Zuerst war der überraschende Teamwechsel von DSM zu UAE Emirates. Weil die Parteien Stillschweigen vereinbarten, wurde Kritik laut. «Das kostete Energie», gibt Hirschi zu. Es folgten Schwierigkeiten mit den Weisheitszähnen, mit dem Material und der Hüfte. Schliesslich flog er bei der Tour de France in einen Strassengraben. Die Folge? Eine ausgekugelte Schulter. «Radfahren geht, aber Schwimmen würde noch wehtun», sagt er heute.
Noch ehe Hirschi weitererzählt, betritt er im Dählhölzli nochmals Neuland – er füttert ein Chamäleon. Dafür hält er eine lebende Heuschrecke an den Flügeln und wartet. «Mach ich das richtig?», fragt er bei der Tierwärterin nach. Diese bejaht. Zweimal pro Woche würden sie lebende Tiere an die Chamäleons verfüttern. Hirschi braucht dabei Geduld, schliesslich lässt sich das Chamäleon Zeit – es begutachtet die Beute lange, ehe die klebrige Zunge blitzschnell herausschnellt und die Heuschrecke fängt. «Das war sehr speziell und kostete Überwindung», so Hirschi.
«Nicht schlecht, wenn man vergessen geht»
Doch zurück zu Hirschis Saison auf dem Rad. Da gelang ihm zuletzt mit seinem Etappensieg bei der Luxemburg-Rundfahrt ein Befreiungsschlag. «Ein befreiendes, schönes Gefühl. Ich spüre, wie meine Form immer besser wird, wie es aufwärtsgeht. Ich hoffe, dass ich diesen Flow mitnehmen kann bei der WM», sagt er.
Sicher ist: Hirschi zählt im Gegensatz zum Vorjahr in Imola (It), als er Bronze holte, nicht zu den absoluten Top-Favoriten. Ein Fehler? «Es ist sicher nicht schlecht, wenn man vergessen geht», sagt er mit einem verschmitzten Lächeln.
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Man merkt: Hirschi freut sich auf die 268 harten Kilometern zwischen Antwerpen und Leuven. Die Schweiz hat dabei zwei Trümpfe im Ärmel: Stefan Küng (27) wird versuchen, früh mit einer Gruppe auszureissen. «Ich versuche dagegen, bis zuletzt möglichst viele Kräfte zu sparen, um im Finale zuzuschlagen», so Hirschi.
Brüllt der Rad-Youngster in Flandern schon bald wie ein Löwe? «Ich versuche es», sagt Hirschi vorsichtig. Sicher ist: Den Traum einer Safari in Afrika möchte er sich in den nächsten Jahren leisten, um sein Lieblingstier zu sehen. «Das würde mich gluschten», meint er. Seehunde und Chamäleons kennt er schliesslich nun bereits bestens.