Wie behalten Sie Gino Mäder in Erinnerung, Fabian Cancellara?
Fabian Cancellara: Gino war ein Herzensmensch. Offen, neugierig für anderes als nur fürs Velo, einfach nett. Wenige Wochen vor seinem Tod besuchte er den Service Course von Tudor Pro Cycling in Magglingen. Dort haben wir unsere Zentrale, dort ist das Materiallager, von dort planen und steuern wir alles. Gino kam mit dem Velo, es hagelte Katzen. Ich habe ihn gefragt, ob er gerne duschen würde. Er war ganz perplex, weil er es nie gewagt hätte, zu fragen. Ein anderes Mal machte ich mit ihm ab und er fragte, ob er seinen Hund Pello mitnehmen dürfe. «Klar», habe ich ihm gesagt. Gino war sehr glücklich.
Wir berichteten in den ersten Tagen der Tour de Suisse, dass Sie Mäder gerne verpflichten würden.
Und Gino wäre auch gerne gekommen. Es schmerzt mich ungemein, dass es nicht geklappt hat. Klar, weil er ein toller Rad-Profi war, mit riesigem Potenzial – vor allem aber, weil er ein guter Mensch war.
Wie sind Sie mit der Nachricht, dass er gestorben ist, umgegangen?
Ich war im Ziel der Etappe, also in Oberwil-Lieli. An einem Waldrand. Raphael Meyer, unser CEO, rief mich an. Drei Sekunden später war es still, Worte waren unnötig. Ich spürte eine enorme Traurigkeit, war fassungs- und sprachlos. Das ging die ganze Woche danach so.
Erzählen Sie.
Ich bekam Anfragen für Interviews, habe aber alle abgelehnt. Ich brauchte Zeit für mich. Zweimal fuhr ich längere Touren mit dem Velo – das hatte ich gebraucht. Es war meine Art, mit der Nachricht umzugehen.
Als Boss des neuen Schweizer Teams Tudor Pro Cycling will Fabian Cancellara (42) hoch hinaus. Der Start war verheissungsvoll, sechs Siege stehen 2023 auf dem Konto. Mit der Verpflichtung von Gino Mäder hätte einen weiteren Schritt nach vorne machen wollen – die Gespräche waren weit fortgeschritten. Cancellara ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er ist auch Manager von Rad-Profi Marc Hirschi. Als Profi wurde der Berner zweifacher Olympiasieger, vierfacher Weltmeister, dreifacher Sieger Paris–Roubaix und Flandern-Rundfahrt, zweifacher Schweizer Sportler des Jahres. 2016 trat Cancellara vom Spitzensport zurück.
Als Boss des neuen Schweizer Teams Tudor Pro Cycling will Fabian Cancellara (42) hoch hinaus. Der Start war verheissungsvoll, sechs Siege stehen 2023 auf dem Konto. Mit der Verpflichtung von Gino Mäder hätte einen weiteren Schritt nach vorne machen wollen – die Gespräche waren weit fortgeschritten. Cancellara ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er ist auch Manager von Rad-Profi Marc Hirschi. Als Profi wurde der Berner zweifacher Olympiasieger, vierfacher Weltmeister, dreifacher Sieger Paris–Roubaix und Flandern-Rundfahrt, zweifacher Schweizer Sportler des Jahres. 2016 trat Cancellara vom Spitzensport zurück.
Sie mussten sich aber auch um Ihre Fahrer kümmern, oder?
Wir brachen die Tour ab. Ich erinnere mich, wie der Teambus in Schenkon ankam. Einige Fahrer wollten reden, andere gingen Golf spielen. Es gab auch solche, die mit dem Velo um den Sempachersee fuhren oder einfach nach Hause zu ihren Liebsten wollten. Jeder hat seine Art, mit so einer Tragödie umzugehen – es gibt dabei kein richtig oder falsch.
2011 starb Ihr Teamkollege Wouter Weylandt auf der dritten Giro-Etappe. Sie sassen zu Hause vor dem TV, neben Ihnen Ihre Frau Stefanie und Ihre damals vierjährige Tochter Giuliana. Kamen die Erinnerungen wieder hoch?
Sicher, sowohl bei mir als auch bei Stefanie. Dieses Ereignis hat mich geprägt, noch heute besuche ich seine ehemalige Freundin. Und nun war es plötzlich so, als wäre das Drama um Wout gestern passiert. Ich kannte meine ganz persönliche Art, um mit solchen Tragödien umzugehen. Ich brauche dafür Zeit, muss meine Gedanken ordnen, mit mir alleine sein. Wissen Sie, ich hatte immer den Spitznamen Spartacus. Für meine Zeit als Profi war das richtig. Aber nicht im Privatleben. Ich bin nicht der grosse, starke Cancellara, der keine Emotionen zulässt.
An welchem Punkt bei der Verarbeitung von Mäders Tod stehen Sie jetzt?
Das Ganze ist ein Prozess. Jetzt rede ich erstmals darüber und ich finde, es tut gut. Die Traurigkeit kommt immer wieder, teilweise völlig unerwartet. Aber ich habe auch schon geschmunzelt, als ich an die Gespräche mit Gino zurückgedacht habe.
Was bedeutet Ihnen die Trauerfeier auf der offenen Rennbahn Oerlikon?
Diese riesige Anteilnahme berührt mich und hilft auch mir. Gleichzeitig denke ich immer auch an Ginos Familie. Sie weiss, dass wenn ich irgendwie helfen kann, ich immer da sein werde.
Rad-Prof Reto Hollenstein war auch bei der Tour de Suisse. Er sagte, er werde wohl nie alles verarbeiten können.
Ich verstehe, was er meint. Aber es wird und muss weitergehen, auch in Ginos Sinne. Irgendwann werde ich in der Lage sein, dieses Kapitel und das dazugehörige Buch ins Regal zu stellen. Das heisst nicht, dass ich es wegwerfen werde. Das Buch wird immer in meiner Bibliothek bleiben – ich werde Gino nie vergessen.
Derzeit werden Sicherheitsfragen rund um Radrennen neu debattiert – obwohl man noch nichts vom Unfallhergang Mäders weiss. Ist das der richtige Zeitpunkt?
Wenn sich Leute diese Fragen stellen, ist das positiv. Sie wollen ja etwas Gutes erreichen. Aber ich finde, dass die aktuellen Regeln richtig sind – man muss sie einfach durchsetzen. Da rede ich jetzt ganz unabhängig von Ginos Unfall. Wichtig ist, dass man nicht in Aktionismus verfällt. Denn heute gibt es schon so viele Auflagen, welche Rennveranstalter erfüllen müssen, dass vor allem kleine Rennen diese nicht erfüllen können. Sie verzichten darauf, Wettkämpfe zu veranstalten. Es braucht also sinnvolle Diskussionen, bei denen alle Aspekte des Radsports miteinbezogen werden. Hauruckaktionen bringen niemandem etwas.