Es ist ein Bild, das nicht aus dem Kopf geht. Und Worte, die man nicht so schnell vergisst. Am 10. August sass Marlen Reusser (31) um 16.05 Uhr am Strassenrand in der Nähe von Glasgow (Schottland) auf einem Grasstreifen. Sie weinte, schüttelte den Kopf, wurde von Nati-Trainer Edi Telser umarmt. Soeben hatte sie, die grosse Favoritin des WM-Zeitfahrens, aufgegeben. Nicht, weil sie sich verletzt hatte oder ihr Velo defekt war. «Ich hatte einfach keinen Bock mehr», erklärt Reusser später im SRF.
Ihr habe der Hunger gefehlt, um sich weiterhin zu quälen. «Ich habe alles Mögliche gewonnen. Aber es ist nie ein Moment gekommen, wo ich aufatmen und mich freuen konnte.» Von den Frühjahresklassikern über die Tour de Suisse und der Tour de France zur Weltmeisterschaft. «Wir haben so viele Events. Es ist ein Nonstop. Und das seit Jahren.» Die Bernerin aus Hindelbank BE war ausgebrannt. «Ich muss Abstand nehmen, damit der Hunger wieder kommt», sagte sie.
Kein Shitstorm – im Gegenteil
Seither ist gut ein Monat vergangen. Ein Monat, in dem die sonst so offene Reusser jede Interview-Anfrage ablehnte. Ein Monat, in dem sie zu sich schaute und Abstand gewann zum ganzen Rad-Zirkus. Und ein Monat, in dem der Hunger zurückkehrte. Der befürchtete Shitstorm via Social Media blieb dabei aus. «Anstelle dessen habe ich aufbauende und wundervolle Nachrichten erhalten», so die Tour-de-Suisse-Siegerin.
Das habe ihr viel bedeutet. Heute sagt sie: «Mir geht es massiv besser, ich habe das Tief überwunden.» Es töne vielleicht seltsam, aber vielleicht habe es gar gutgetan, was an der WM passiert sei.
Radfahren ohne jeglichen Druck
Reusser brach in den vergangenen Wochen aus ihrem Hamsterrad aus. Nicht beim Schnorcheln in der Karibik, auch nicht bei einer Safari in Kenia und auch nicht bei einer Expedition zum Nordpol. Vielmehr tat Reusser das, was sie auch sonst tut – Velofahren. Und doch auf ganz andere Weise. Sie fuhr mit ihrem Freund Hendrik Werner (40) von Hindelbank durch den Jura, passierte die Vogesen, Luxemburg, pedalte durch die Eiffel und via Köln nach Nordhorn in Niedersachsen. Dort wurde Werners kleine Nichte getauft.
Die zweite Ausgabe der Tour de Romandie Féminin geht über drei Etappen, der Start erfolgt am Freitag in Yverdon-les-Bains VD mit einem Rundkurs (144,1 km). Am Samstag geht es von Romont FR nach Torgon WA (110,8 km) mit einem happigen Schlussanstieg. Beim Abschluss am Sonntag müssen die 17 Teams (102 Fahrerinnen) ein Auf und Ab bewältigen: Der Start erfolgt in Vernier GE, das Ziel nach 131,9 km in Nyon VD.
Neben Reusser sind viele Stars dabei – auch Demi Vollering (26, Ho), die beste Fahrerin der Saison. Das Schweizer Nati-Team führt Mountainbike-Olympiasiegerin Jolanda Neff (30) als Aushängeschild an.
Die zweite Ausgabe der Tour de Romandie Féminin geht über drei Etappen, der Start erfolgt am Freitag in Yverdon-les-Bains VD mit einem Rundkurs (144,1 km). Am Samstag geht es von Romont FR nach Torgon WA (110,8 km) mit einem happigen Schlussanstieg. Beim Abschluss am Sonntag müssen die 17 Teams (102 Fahrerinnen) ein Auf und Ab bewältigen: Der Start erfolgt in Vernier GE, das Ziel nach 131,9 km in Nyon VD.
Neben Reusser sind viele Stars dabei – auch Demi Vollering (26, Ho), die beste Fahrerin der Saison. Das Schweizer Nati-Team führt Mountainbike-Olympiasiegerin Jolanda Neff (30) als Aushängeschild an.
«Velofahren ist eine Belastung, wie jeder normale Job auch. Man hat nicht immer Lust darauf und muss trotzdem trainieren. Manchmal ist es cool, manchmal weniger, manchmal schrecklich. Aber wenn ich so Velo fahren kann wie bei unserem Bikepacking-Trip, als Ausgleich, ohne Ziel, Idee und Trainingsplan, ist es etwas vom allercoolsten», so Reusser.
Tandem-Fahrt, Glace und Klettern
Sie habe die Tage mit ihrem Freund, der auch ihr Coach ist, extrem genossen. Die Veloferien hätten sie an früher erinnert, als Watt-Zahlen, Laktatwerte und Resultate ihr Leben noch nicht so stark beeinflusst haben. Die Bilder sprechen dabei für sich: beim Glace-Essen, auf einem Tandem oder bei einer Pause an einem kleinen See.
«So eine Velotour haben wir zum ersten Mal gemacht. Sie war superlustig. Und Marlen so wie immer: fit, begeisterungsfähig, offen für Neues», sagt Werner. Auch ein wegen umgekippter Bäume versperrter Weg in Monschau (D) sei kein Problem gewesen. «Wir mussten aber ganz schön hochklettern», so der Deutsche schmunzelnd.
Eine Lehre für die Zukunft
Nun sind Reussers Batterien wieder voll. An der Tour de Romandie will sie glänzen, vor allem aber bei der Europameisterschaft in Drenthe (Ho). Da könnte Reusser am Mittwoch nach 2021 und 2022 gar den Gold-Hattrick im Zeitfahren schaffen.
Die Form sei nach wie vor super. Aber: «Ich muss herausfinden, ob ich die Freude und Musse wieder für eine solche Prüfung habe. Wichtig ist, dass es nicht einfach ein Erledigen der Arbeit ist. Es tönt pathetisch, aber ich werde versuchen, etwas in diesem Rennen zu finden.»
Das Tief bei der WM und die Bikepacking-Ferien haben Reusser klargemacht: Sie muss in Zukunft sorgfältiger planen und sich auch Pausen gönnen, wenn sie merkt, dass die Motivation schwindet. «Ich werde auf jeden Fall meine Lehren aus diesem Jahr ziehen.»