Sein Kind zu verlieren – etwas Schlimmeres gibt es für Eltern nicht. Mitte Juni schlug dieses Schicksal bei Familie Mäder zu. Der Schweizer Rad-Star Gino Mäder stürzte in der 5. Etappe der Tour de Suisse am Albula schwer. Auf der Abfahrt nach La Punt GR kam er von der Strasse ab, musste in einem Bachbett reanimiert werden. Keine 24 Stunden später erlag er seinen schweren Verletzungen. Er wurde nur 26 Jahre alt.
Zweieinhalb Monate später spricht seine Mutter Sandra Mäder (51) mit dem «Südkurier» erstmals über diese schicksalhaften Stunden. Da sie zu einem Geschäftsessen eingeladen war, sei sie an jenem Tag nicht an der Tour de Suisse gewesen, beginnt sie. Trotzdem sei sie nervös gewesen. «Ich wusste gar nicht, weshalb», so Mäder. «Und dann hat mich noch einer gefragt, ob Gino bei der Tour de France dabei sein werde. Und ich habe geantwortet, dass man das nie genau wissen könne. Ein Sturz – und alles kann vorbei sein.»
Die Familie muss ins Spital eilen
Eine unbewusste Vorahnung, die sich leider bewahrheiten sollte. Als die Fahrer nach und nach in La Punt ankommen, sieht Mama Mäder das im Fernsehen, glaubt, auch ihren Sohn zu erspähen, und verlässt noch einmal kurz das Haus. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Auf eine erste Nachricht, in der sich jemand nach Gino erkundigt, folgt schon bald der Anruf von ihrem Ex-Mann Andreas, Ginos Papa. Er fordert sie auf, nach Hause zu gehen und sich bei ihm zu melden. In den Medien macht die Nachricht des Sturzes die Runde, das Telefon steht nicht mehr still.
Als sich Ginos Freundin Meret meldet, wird immer klarer, wie es um ihren Sohn steht. Die Ärzte wollen, dass die Familie schnellstmöglich ins Spital nach Chur GR kommt, sagt sie. Mehr Infos geben sie am Telefon nicht. «Da war mir klar, dass es nur noch darum ging, ob die Maschinen abgestellt werden oder nicht», ist sich Sandra Mäder sofort der Tragweite bewusst.
Bei der Erinnerung daran beginnen die Tränen zu fliessen. Sie erzählt dem «Südkurier» auch von ihrem letzten Besuch an Ginos Krankenbett. Ein Schnitt in der Wange, mehr Spuren habe der Sturz äusserlich nicht hinterlassen. Die inneren Verletzungen sind umso gravierender. Die Kopfverletzungen sind zu gross, es gibt keine Hoffnung mehr.
Seine Organe wurden gespendet
Das wird der Familie deutlich mitgeteilt. «Der Arzt sagte mir, dass Gino nie mehr ‹Mami› sagen wird können, dass er so wie in dem Moment für immer im Bett liegen bleiben würde, dass er nie mehr sprechen oder laufen wird können.» Was sie in diesem Moment fühlt, kann sich niemand vorstellen, der das nicht selber durchmachen musste.
Noch am selben Abend werden die Medikamente abgesetzt, am darauffolgenden Morgen können die Ärzte keine Hirntätigkeit mehr feststellen. Am 16. Juni, um 11.24 Uhr, wird Gino für tot erklärt. Wenig später wissen auch die Fahrer an der Tour de Suisse Bescheid, die Schweiz und Rad-Fans weltweit stehen unter Schock.
Während sich ein Meer aus Tränen ergiesst, wird im Spital Ginos Körper künstlich versorgt, damit seine Organe gespendet werden können. «Welche genau, das wissen wir nicht», sagt Mama Mäder. «Wir haben da aber keine Einschränkungen gemacht, das wollte Gino so.» Demnächst erfährt die Familie, wie vielen Menschen so das Leben gerettet werden konnte, wodurch «zumindest noch etwas Sinn in seinem Sterben liegt».
Vorwürfe macht sie niemandem. Bergauf und bergab fahren – das gehöre zum Radrennen dazu. Das Risiko, im Training zu verunglücken, sei grösser. Selbst ihr Beruf – sie arbeitet im Aussendienst – sei nicht ungefährlich. «Ich glaube, dass es einfach sein Schicksal war, an diesem Tag zu sterben.»
Die Familie ist durch den Verlust zusammengerückt, hat in Gedenken an Gino einen Verein gegründet. Mit «Ride for Gino» sollen Projekte unterstützt werden, die ihrem Sohn am Herzen lagen. So wie er ihnen am Herzen liegt. (bir)