Blick: Noé wird im August zwei Jahre alt. Wie hat sich Ihr Leben verändert?
Céline: Der Fokus ist ganz anders, die Familie steht im Vordergrund.
Stefan: Man muss sicher mehr organisieren. Ich will so viel Zeit wie möglich mit der Familie verbringen. Bei manchen Trainingslagern schaue ich, ob Céline und Noé dabei sein können. Auch die Rennen müssen gut geplant sein. Früher, als Céline alleine kam, war es egal, wenn sie viele Stunden im Auto oder Zug verbrachte. Jetzt ist das anders – aber Céline macht das schon mit einer gewissen Erfahrung.
Sie sind auch beruflich tätig, Céline?
Céline: Ich arbeite zwei Tage pro Woche als Verkaufsassistentin in einem Verpackungsunternehmen.
Ich habe beobachtet, wie Noé bereits an Bidons saugt.
Céline: Da ist er schon ganz der Vater (schmunzelt).
Stefan: Wenn er schlafen geht, bekommt er vorher auch einen Nuggi.
Die Olympischen Spiele in Paris sind ein Höhepunkt der Saison. Werden Sie mit Noé dabei sein, Céline?
Céline: Auf jeden Fall. Die Hotels haben wir schon ausgesucht. Allerdings habe ich etwas Respekt vor den Menschenmassen.
Stefan: Ich werde nach dem Zeitfahren bis zum Strassenrennen in Frankreich bleiben. Würde ich zwischendurch zurück nach Hause fahren, wäre es schwierig, die Spannung wieder hochzufahren.
Am 3. August steigt das Strassenrennen.
Stefan: Indem ich in Paris bleibe, kann ich den Fokus hochhalten, aber doch auch mit der Familie abschalten. Das ist mir wichtig, denn vor Olympia bin ich dreieinhalb Wochen ohne sie an der Tour de France.
Wie gross sind die Chancen, dass Noé nach dem Zeitfahren eine Medaille in den Händen halten kann?
Stefan: Ich werde alles dafür geben.
Am 9. Juni startet die Tour de Suisse. Stefan, werden Sie vorher erneut mehrere Wochen auf dem Säntis wohnen?
Stefan: Genau. Diese Art von Höhentrainingslager hat sich für mich bewährt. Ich schlafe in der Höhe und trainiere im Tal.
Céline: Wir werden Stefan ab und zu besuchen, wohnen aber nicht auf dem Berg.
Stefan: Für mich ist es wichtig, alleine auf dem Säntis zu sein, um den Fokus voll auf dem Velofahren zu haben. Dort finde ich die Ruhe, die ich vor dem Sturm des Sommers brauche.
Daheim würden Sie sich ständig mit Noé beschäftigen?
Stefan: Wenn ich normalerweise nach fünf Stunden Training nach Hause komme, wartet Noé schon. Und dann geht es erst richtig los (lacht). Das ist wunderschön, aber halt für die Regeneration nicht.
Sprechen Sie daheim eigentlich übers Velofahren?
Stefan: Nicht mehr als jeder andere auch über seinen Job spricht.
Céline: Ich erzähle Stefan ja auch nicht, wann ich welches E-Mail geschickt habe.
Stefan: Céline weiss, was bei mir läuft – sie ist im Bilde. Ihr Verständnis für den Radsport ist auch viel grösser als damals, als wir uns kennengelernt haben (beide lachen). Dennoch erkläre ich ihr nicht im Detail, welche Übung ich mit welchen Wattzahlen gemacht habe – das wäre wohl auch langweilig.
Wie macht sich Stefan als Vater, Céline?
Céline: Er ist sehr fürsorglich und liebevoll. Und schon etwas vernarrt in Noé.
Werden Sie dann eifersüchtig?
Céline: Nein, das schon nicht (lacht).
Stefan: Eher umgekehrt. Wenn wir uns umarmen, kommt Noé jeweils schnell angerannt und sagt: «Auch, auch …»
Wo sind Sie besonders begabt, Stefan?
Stefan: Ich lese sehr oft Büchlein vor – dann mache ich sehr gerne. Umso mehr bricht es mir das Herz, wenn ich vom Training heimkomme, rasch etwas esse und gleich wieder weg muss für einen Termin. Noé versteht das zwar, ist aber natürlich dennoch enttäuscht. Ansonsten arbeitet er gerne im Garten mit oder schraubt an Velos herum.
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Sie sind jetzt 30 Jahre alt. Ist Noé ein Antrieb, um noch lange weiterzufahren oder eher ein Grund, um früher aufzuhören?
Stefan: Weder noch. Entscheidend ist meine eigene, innere Motivation für den Sport. Ich werde wohl schon noch einige Jahre weiterfahren, vielleicht bis Olympia 2028 in Los Angeles.
Céline: Ich denke, dass Noé sich irgendwann daran erinnern wird, dass sein Papi Velorennen gefahren ist – egal wie lange Stefan noch fahren wird.
Erkennt er seinen Papi bei TV-Übertragungen, Céline?
Céline: Es ist witzig. Ich habe ihn mit dem Finger am TV auch schon gezeigt und gesagt: «Schau, Noé. Das ist Papi.» Er hatte aber vor allem Augen für die Begleitfahrzeuge und Töffs.
Stefan: Aber Noé erkennt mich mittlerweile schnell. Trikot, Helm, Brille – er weiss, wonach er suchen muss.
Während Olympia wäre Ihr zweites Kind zur Welt gekommen. Anfang März haben Sie auf Instagram veröffentlicht, dass Sie es verloren haben. In welcher Phase der Verarbeitung stehen Sie jetzt?
Stefan: Es ist ein Auf und Ab. Es gibt nach wie vor Momente, die schwierig sind. Es gibt aber auch Phasen, wo es weniger präsent ist. Vergessen kann man so was nie – es kommt immer wieder mal hoch.
Sie hätten das Ganze verschweigen können.
Stefan: Céline und ich haben das Ganze besprochen. Wir wollten es veröffentlichen, weil wir finden, dass solche Dinge zu oft verschwiegen werden. Es kamen danach Leute auf uns zu, die ähnliche Erfahrung gemacht haben – dieser Austausch war wichtig.
Hat er geholfen?
Stefan: Das Leid wurde deswegen nicht kleiner.
Aber?
Stefan: Jeder verarbeitet schlimme Dinge anders. Eine Kollegin von uns hat auch ein Kind verloren, vor langer Zeit. Sie hat uns erzählt, dass durch unsere Bekanntgabe die Gefühle von damals wieder hochgekommen sind.
Wollten Sie Menschen Kraft geben, die einen ähnlichen Schicksalsschlag erlebt haben?
Céline: Es wäre schön, wenn es so wäre. Es ist ein Thema, über das man sprechen darf. Oder sogar sollte – gerade als Frau ist das wichtig.
Stefan: Bei Sportlern hat man oft das Bild im Kopf, dass alles bestens ist. Die Wettkämpfe, die Erfolge, eine Familie zu Hause. Aber das Leben ist nicht nur Sonnenschein, auch solche Dinge gehören dazu. Es birgt immer wieder neue Herausforderungen – auch für uns.