So nah liegen Licht und Schatten im Radsport beieinander. Die Aufgabe von Marlen Reusser am Donnerstag bei der Rad-WM in Schottland folgt nur zwei Tage auf ihren Sieg mit der Schweiz mit dem Mixed-Team. Mit der Gold-Hoffnung im Kopf zur Enttäuschung im Einzelzeitfahren – jemand, der weiss, wie sich das anfühlt, ist Stefan Küng (29).
Einen Tag nach dem Reusser-Drama kriegt der Thurgauer seine nächste grosse WM-Chance. Folgt nach der Enttäuschung bei den Frauen dafür im Zeitfahren der Männer die Küng-Krönung? Der Zeitfahrspezialist hat im Radsport schon viele Erfolge gefeiert, doch Gold an einem Grossanlass wie WM oder Olympia fehlt ihm noch.
Schon oft war Küng an der WM nahe dran, ganz nach vorne gereicht hat es ihm noch nie. Ein Rückblick, welchen Weg der Zeitfahrspezialist an den letzten Weltmeisterschaften hinter sich hat – und was ein Exploit am Freitag deshalb für ihn bedeuten würde.
Australien 2022: Drei mickrige Sekunden fehlen
Grosse Namen wie Filippo Ganna (It) oder Remco Evenepoel (Be) bezwingt Küng alle beim WM-Zeitfahen in Wollongong. Nach drei Vierteln des Zeitfahrens liegt er mit 12 Sekunden Vorsprung an der Spitze. Doch diesmal ist es Tobias Foss (No), der ihm noch vor die Nase fährt. Ganz knapp: Nur 3 Sekunden fehlen zum Küng-Triumph.
Belgien 2021: «Eine Enttäuschung»
Nur zehn Tage nach seinem Europameistertitel tritt Küng mit grossen Ambitionen an. «Ich kann alle schlagen», sagt er. Doch auf der Strecke die Ernüchterung: «Eigentlich fühlte ich mich gut. Aber dann begann ich auf einmal, Zeit zu verlieren. Keine Ahnung, warum. Das ist eine Enttäuschung.» Gut eine Minute hinter Sieger Ganna schaut Platz 5 heraus.
Italien 2020: Mit Bronze klappt es
Küng strahlt im Ziel mit geballten Fäusten. Auf der Formel-1-Strecke in Imola (It) fährt er mitten in die Weltspitze, wird Dritter hinter Ganna und Wout van Aert (Be). Sein zweites WM-Edelmetall nach dem 3. Platz im Strassenrennen 2019. Ein Befreiungsschlag im Zeitfahren, auch wenn er nicht golden ist.
England 2019: Das Wechselbad
«Andere waren einfach stärker», sagt ein enttäuschter Küng nach seinem 10. Platz in Yorkshire. Vor dem Rennen war alles angerichtet: «Ich fühle mich so gut wie noch nie in dieser Saison.» Danach sucht er keine Ausreden: «Ich dachte, dass es weiter nach vorne reicht, aber das Niveau ist halt brutal hoch.» Die Enttäuschung weicht schnell einem schönen Erfolg: Küng wird vier Tage später starker Dritter im Strassenrennen.
Und jetzt – Schottland 2023: Wieder alles angerichtet
Am knappsten an einem grossen Zeitfahr-Erfolg vorbei schrammte Küng 2021 in Tokio. Um vier Zehntelsekunden (!) verpasst er hinter dem Drittplatzierten Rohan Dennis (Aus) das Podest und damit eine Olympiamedaille.
Nach einem bärenstarken Strassenrennen in Glasgow vor einer Woche mit Rang 5 hinter den Weltstars des Radsports und dem Triumph mit der Schweiz in der Mixed-Staffel ist trotz starker Konkurrenz einmal mehr alles angerichtet für Stefan Küng. Neben ihm startet mit Stefan Bissegger (24) ein zweiter Trumpf. Gibt es für die Schweizer Zeitfahrer nach dem Schatten gleich wieder Licht?