Ein starker Effort zum Abschluss von drei aufwühlenden Tagen. Marlen Reusser (31) fährt in Glasgow im Strassenrennen fast auf das WM-Podest. Nach ihrer Rennaufgabe im Zeitfahren am Donnerstag rast sie nach 154 Kilometern mit nur 5 Sekunden Rückstand auf Silber und Bronze als Vierte über die Ziellinie. Ebenfalls stark: Die Genferin Elise Chabbey (30), die über mehrere der sieben Runden in der Stadt solo vorausfährt, kurz vor Schluss aber wieder eingefangen wird.
Im Zielraum gibt Reusser Einblick, wie das Rennen für sie lief. «Wäre es noch paar Hundert Meter gegangen, hätte es vielleicht gereicht für eine Medaille.» Doch kurz vor Schluss hat sie kurz den Anschluss verloren und musste Demi Vollering (Ho), die ansonsten ihre Teamkollegin ist, und Cecilie Ludwig (Dä) auf die Plätze zwei und drei davonziehen lassen. Der Sieg geht an Lotte Kopecky (Be), die in der World-Tour ebenfalls ihre Teamkollegin ist.
Die Aussage mit dem Parking-Ticket
«Leider habe ich am letzten der kurzen Anstiege ein Parking-Ticket par excellence gezogen», sagt Reusser. Wie bitte? «Ich dachte, ich muss bei Demi dranbleiben, dann hat es mich oben am Anstieg komplett parkiert.» Es ist der entscheidende Moment, wo sie die beiden Hinterräder für das Podest verloren hat. Den Humor hat Reusser aber auch nach den aufwühlenden Tagen seit ihrer Aufgabe im Zeitfahren behalten.
Wie es ihr wirklich geht, will Reusser nach dem starken Auftritt nicht sagen. Am Donnerstag schüttelte sie auf Medaillen-Kurs liegend 16 km vor dem Ziel den Kopf, stieg einfach vom Rad und wurde unter Tränen von Nationaltrainer Edi Telser getröstet.
Nun gibt sie zu anderen Fragen als zum Rennen keine Auskunft. Es bleibt bei der zehnminütigen Erklärung, die sie am Donnerstagabend zu SRF gab und Licht ins Dunkle brachte. Das Fass zum Überlaufen brachte, dass es für sie wie in einem Hamsterrad pausenlos von Grossanlass zu Grossanlass ging. Der Hunger ging verloren, deshalb kam es zum Stopp.
Kein Maulkorb von Swiss Cycling
Es war Reussers Entscheidung, am Sonntag nicht über ihre Woche zu sprechen. «Es würde uns nicht in den Sinn kommen, jemandem einen Maulkorb anzuziehen», sagt Patrick Müller, Leistungssportchef des Schweizer Rad-Verbands. Müller führte mit Reusser am Samstag zusammen mit Geschäftsführer Thomas Peter ein Gespräch.
Peter gibt Einblick: «Ihr geht es grundsätzlich gut. Ich glaube, dass jetzt ein guter Moment für sie ist, eine Pause zu machen. So wie sie auf uns gewirkt hat, wird sie mit ein wenig Distanz und einer gewissen Pause wieder Motivation finden für nächste Saison.» Es sieht danach aus, dass Reusser jetzt nach dem Strassenrennen ihre Pause einlegt, die sie nach eigenen Aussagen braucht.
Schon im Juni sprach sie davon
Reussers Motivationsprobleme kamen nicht aus heiterem Himmel. Sie sprach bereits im Juni nach der gewonnenen Tour de Suisse und im Juli vor der Tour de France darüber: «Grunsätzlich ist nach dieser bisher unglaublich erfolgreichen Saison der Moment gekommen, um Abstand zu nehmen und zu geniessen nach der harten Arbeit. Das hatte jetzt keinen Platz», sagte sie damals. Es gelang ihr, sich aufzuraffen und das Tour-Zeitfahren zu gewinnen.
Mit dem vierten Platz im WM-Strassenrennen hat sie gezeigt, dass ihr das Aufraffen noch einmal gelungen ist. Das letzte Mal vor einer längeren Pause?