Wer Velo fährt, leidet. Das ist nicht besonders romantisch, aber Tatsache – zumindest im Profi-Radsport. Ist jemand dafür nicht bereit, kann er einpacken. Spätestens in gut einer Woche, wenn 176 Fahrer bei der Tour de France die vorgesehenen 3492 Kilometer unter die Räder nehmen, flattern wieder Bilder von schmerzverzerrten Gesichtern über den TV-Bildschirm.
Umgerechnet sechsmal werden sie mit dem Velo von Meereshöhe auf den Mount Everest kraxeln. Verrückt? Vielleicht. Gleichzeitig trainieren die Radprofis ihr Leben lang genau dafür. Das Motto dabei ist und bleibt: je leichter, desto besser. Zwar wird nicht um jeden Preis gehungert, weil sonst der Kollaps droht. Fakt ist aber auch: Die Fahrer bewegen sich derart am Limit, dass sie die kleinste Disharmonie in Form von Bakterien und Viren aus der Balance bringen kann. Bei Stürzen ist dies nicht anders – auch wenn diese nicht besonders schlimm erscheinen, braucht der Körper Energie, um die Wunden zu heilen. Aber wo soll er diese herholen, ohne den Fahrer zu schwächen?
Tramadol war bereits verboten – aber nur von der UCI
Rasch ist man beim Thema Schmerzmittel. Nach einem Artikel der Zeitung «Le Temps» flammt die Diskussion über ihren Einsatz im Profi-Radsport neu auf. Es wird über ein Mittel berichtet, das seit neuestem im Peloton kursiere. Sein Name: Tapentadol. Es könnte laut dem Rad-Weltverband UCI «bis zu zehnmal stärker» sein als Tramadol.
Tramadol? Genau: Das Produkt wurde 2019 von der UCI auf die Liste der verbotenen Substanzen gesetzt, weil es nicht nur leistungssteigernd wirkte, sondern auch Konzentrationsstörungen und Schläfrigkeit verursache. Der Kolumbianer Nairo Quintana (34), 2014 Sieger des Giro und 2016 Gewinner der Vuelta, wurde 2022 Tramadol-Konsum nachgewiesen – er wurde nachträglich von der Tour de France disqualifiziert. 2024 zog auch die Welt-Anti-Doping-Agentur nach, Tramadol ist nun auch da auf der schwarzen Liste.
Schmid: «Will nicht in 20 Jahren den Preis dafür zahlen»
«Tramadol war vor allem bei Sprintern populär. Das war vor meiner Zeit. Aber es heisst, dass sie damals wegen des Konsums einige Stürze verursacht haben», sagt Veloprofi Mauro Schmid (24). Kein Wunder, dass die UCI jetzt auch Tapentadol in ihr «medical monitoring programme» aufgenommen hat. Man will wissen, ob das Produkt tatsächlich angewendet wird.
Schmid findet das sinnvoll – genügend Blutproben habe man ja, um nach Spuren davon zu suchen. Er selbst habe noch nie von Tapentadol gehört, so Schmid. «Ob und welche Schmerzmittel erlaubt sein sollen, ist eine medizinische und ethische Frage. Ich jedenfalls will nach der Karriere gesund und fit sein und wäre nicht bereit, mich mit Schmerzmittel vollpumpen zu lassen und in 20 Jahren den Preis dafür zu zahlen.»
Täglich eine Tablette?
Der Aargauer Radprofi Silvan Dillier (33) ist seit mehr als einem Jahrzehnt in der World Tour. Er plädiert für einen gesunden Umgang mit Schmerzmitteln. «Wenn du jeden Tag eine Tablette schlucken musst, um es aufs Velo zu schaffen und 150 Kilometer abzuspulen, läuft etwas falsch. Ist jemand wirklich krank oder verletzt, ist es gescheiter, aufzugeben. Denn Folgeschäden will man sicher nicht.»
Bei ganz leichten Symptomen sei eine medizinische Hilfe in Ordnung – aber nur so, wie bei anderen Menschen, die nicht täglich Velo fahren. Er sei zuletzt auf Tapentadol angesprochen worden, hätte aber noch nichts Genaueres mitbekommen, so Dillier.
«Das gehört verboten»
Beim Team EF Education sei Paracetamol das einzige Schmerzmittel, das verabreicht würde, sagt Stefan Bissegger (25). Es wird bei leichten bis mässig starken Schmerzen und Fieber benutzt und ist in jeder Apotheke erhältlich. «Bereits Tramadol war eine ganz andere Liga. Was man da für Geschichten hörte …», sagt er und führt den Satz nicht weiter fort.
Wie steht er zu Schmerzmitteln? «Wenn man im Training oder sonst mal etwas Leichtes nimmt, ist das in Ordnung. Vielleicht brauchst du ja auch etwas Stärkeres nach einer Operation. Aber im Rennen? Nein, das geht gar nicht und gehört verboten.»
Ob die UCI Tapentadol auf die Liste der unerlaubten Substanzen nehmen wird? Das wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die Schweizer Radprofis sind glücklich, dass man das Thema genau unter die Lupe nimmt.