Pascal Richard ist müde. Erschöpft gar. Kein Wunder, denn soeben hat er innerhalb einer Woche 1500 Kilometer auf dem Rad abgespult – von seinem Wohnort Châtel-Saint-Denis FR nach Spongano im Süden Italiens. «Es hat geregnet, es war sonnig, kalt und heiss. Ich habe gelitten. Aber ich wollte meinem italienischen Fanklub 25 Jahre nach meinem Olympiasieg in Atlanta noch einmal Danke sagen. Das hab ich hiermit getan.»
«Danach vergassen mich fast alle»
Heute ist Pascal Richard 57 Jahre alt. Die Erinnerungen an seinen grössten Triumph sind aber noch frisch. Rückblick: Wir schreiben den 31. Juli 1996. Zum ersten Mal treten Radprofis bei Olympischen Spielen an. Richard, dieser begnadete Pédaleur mit dem unfassbaren Renninstinkt, schlägt eiskalt zu. Der Blick schreibt: «Schlau wie ein Fuchs, stark wie ein Bär und mutig wie ein Löwe hast du die ganze Weltelite besiegt.»
Drei Jahre nach seinem Coup beendet Richard seine Karriere. Schon bald ist er nicht mehr schlau, stark und mutig – zumindest nicht immer. «Ich dachte, mein Olympiasieg wäre ein Türöffner. Das war es nicht. In Italien oder Frankreich bin ich für immer ein Held, in der Schweiz nicht. Man schätzte meine Goldmedaille, aber danach vergassen mich fast alle», so Richard.
«Ich hatte alles verloren»
Der Romand sagt, dass auch er viele Fehler gemacht habe. 2002 nahm ihn ein Voodoo-Magier aus. Er hatte Richard versprochen, «Banknoten zu vermehren». 200'000 Franken waren weg. Richard erstattete Anzeige, flunkerte der Polizei vor, ihm seien auch noch vier Luxusuhren gestohlen worden. Der Versicherungsbetrug flog auf, und auch sein Modegeschäft ging pleite: «Ich hatte alles verloren.» Damit meint er auch seine Frau Claudia, mit der er zwei Kinder hat – sie trennten sich.
2004 erlebte Richard dann den Tiefpunkt. Er dachte gar daran, sich das Leben zu nehmen. «Ich stand auf dem Balkon, wollte springen. Ich überlegte mir, was mich noch an mein Leben bindet – es waren meine Kinder», so Richard.
Heute ist er mit sich im Reinen
Heute blickt Richard mit gemischten Gefühlen auf sein Leben zurück. «Ich habe als Sportler, aber auch privat viele schöne Siege feiern können. Aber ich kassierte oft auch Tiefschläge, hatte schlimme Gedanken. Letztlich habe ich mich aber immer gefangen. Mir ist es wichtig, meine Geschichte auch öffentlich zu machen. Denn es gibt viele Menschen, die ebenso harte oder noch härtere Schicksale ertragen müssen. Aber es lohnt sich immer, zu kämpfen.»
Man merkt sofort: Richard ist mit sich im Reinen. Er ist seit 18 Jahren Mitinhaber eines Architekturbüros. «Die Arbeit gefällt mir noch immer», sagt er. Und auch privat geht es ihm an der Seite seiner Partnerin Célia bestens. Bleibt die Frage: Wird er sich das Strassenrennen von Tokio anschauen? «Sehr gerne. Ich will, dass der Beste gewinnt – am liebsten ein Schweizer. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, als letzter Schweizer Olympiasieger auf der Strasse abgelöst zu werden.»
Auf diese Ablöse muss er aber nach dem Rennen vom Samstag und dem Sieg von Ricardo Carapaz aus Ecuador nochmals mindestens drei Jahre warten.
Alles zum Radsport
Auch andere Schweizer Olympia-Goldmedaillengewinner mussten nach ihrem Rücktritt harte Schicksalsschläge hinnehmen:
Robert Dill-Bundi (62) wurde 1980 auf der Bahn Olympiasieger und hatte nach seinem Rücktritt grosse gesundheitliche Probleme. Ein Hirntumor folgt auf den nächsten, stets legt sich Dill-Bundi unters Messer. In der Summe wurden 30 Prozent seines Gehirns entfernt, wie er der «Sonntagszeitung» erzählt. Heute lebt er am Existenzminimum.
So wie Richard wurde auch Donghua Li (53) 1996 in Atlanta Olympiasieger. Viel einschneidender ist der Tod seines siebenjährigen Sohnes Janis im Jahr 2019: «Ich fiel in ein schwarzes Loch und brauchte ein Jahr, um mich zu fangen.» Der gebürtige Chinese lebt mit seiner Frau in Adligenswil LU und unterrichtet unter anderem Kinder im Turnsport.
Brigitte McMahon (54) holte 2000 in Sidney Triathlon-Gold. Fünf Jahre später trat sie zurück, nachdem man ihr Epo-Konsum nachgewiesen hatte. Auch die Trennung von Ehemann Mike und der Unfalltod ihres Vaters hatten ihr zugesetzt. McMahon unterrichtet seit Jahren an der Kantonsschule Schwyz Biologie und Chemie.
Der Siegesjubel von Fechter Marcel Fischer (42) nach seinem Olympia-Gold in Athen 2004 ist noch vielen präsent. 2011 wurde bei ihm Ohrspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert – die Geschwulst wurde aus seiner rechten Wange entfernt. Die Folge: Fischer litt an einer Gesichtslähmung. Heute arbeitet er als Oberarzt für Orthopädie.
Die 32. Olympischen Sommerspiele finden vom 23. Juli bis 8. August 2021 in der japanischen Hauptstadt Tokio statt. Alle Infos zur Eröffnung, Übertragung, Wettkampfterminen, Disziplinen, Neuerungen, Austragungsstätten und Maskottchen erfahren Sie in der grossen Übersicht.
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