Noch einmal das grosse Zittern. Erster Matchball vergeben. Zweiter Matchball weg. Ein Missverständnis zwischen Anouk Vergé-Dépré und Joana Heidrich führt zum nächsten Fehler. Konzentration nach der Irritation. Dann aber auch der dritte Matchball futsch. Feuchte Hände. Griff in den Sand bei gefühlt über 40 Grad auf dem Court im Shiokaze Park in Tokio.
Kommentar zum Beachvolley-Bronze
Im Gluthofen wird der Ball zur heissen Kartoffel, aber die Schweizerinnen kochen weiter und hauen den jungen Lettinnen das Ding wie eine Rösti um die Ohren. Ein Smash von Heidrich besiegelt schliesslich das Schicksal von Tina Graudina (23) und Anastasija Kravcenoka (24), die sich mit rotnassen Augen und dem vierten Platz verabschieden.
Kampfstark aber sein feinfühlig
Auf der anderen Seite fallen sich Vergé-Dépré und Heidrich in die Arme. Zuerst der Siegeskuss und dann ein Klapps auf die müden Beine. «Wir hatten fast keine Energie mehr im Körper, aber wir haben nochmal die letzte Kraft reingesteckt und gekämpft», sagt Heidrich überwältigt von Gefühlen.
Die Erlösung ist nach dem vierten Matchball so gross, dass Heidrich vor Glück direkt in die Kamera kreischt. Es ist der Moment, in welchem die Last von den Schultern fällt und die Wut über die Kritik ihrer aufreizenden Jubelschreie aus den vergangenen Partien einfach raus muss. «Die letzten Tage waren für mich als feinfühliger Mensch eine Challenge für den Kopf. Ich musste ziemlich unten durch – und das ging mir sehr nah», gesteht Heidrich, «auf dem Platz kann ich austeilen, aber auch einstecken. Neben dem Platz bin ich das Sensibelchen.»
Ohne Fans selber antreiben
Die Szene erinnert an den blondfrisierten Granit Xhaka, der nach dem Sieg im EM-Achtelfinal gegen Frankreich ebenfalls demonstrativ die Kamera suchte und mit den Finger eine Schere symbolisierte. Es ist der Konter für die Kritik, nachdem er zu Beginn des Turnier im Nati-Camp in Rom einen Coiffeur aus der Schweiz hat einfliegen lassen.
Wie Xhaka erlebte Heidrich einen veritable Shitstorm. Der Triumph im Viertelfinal über Brasilien brachte aus dem Land des Sambas viele Misstöne. «Dass wir auf dem Court so emotional sind, hat nichts mit fehlendem Respekt zu tun», sagt Heidrich und erklärt den Zweck der Schreie nach jedem Punkt: «Gerade wenn es keine Zuschauer hat, müssen wir uns selber pushen.»
Inspiration für die Kinder
Bis zum Schluss bleiben Vergé-Dépré und Heidrich ihrem Motto treu: Wer zuletzt schreit, schreit am besten: Nach dem lautstarken Erfolg können sie über die leise Empörung der Gegnerinnen nur lachen und scherzen: «Unsere Stimmbänder sind Weltklasse!», sagen beide und können es kaum erwarten, die Bronzemedaille um den Hals zu legen.
Schliesslich ist es das erste Edelmetall seit 2004, als Patrick Heuscher und Stefan Kobel in Athen sensationell Bronze gewannen. «Dieses Spiel ist noch voll in meinem Kopf», sagt Vergé-Dépré und erinnert sich, wie sie als 12-Jährige vor dem TV sass. «Jetzt habe ich mir diesen Traum auch erfüllt. Und ich hoffe, dass wir jetzt viele andere Kids mit unserem Erfolg inspirieren.»