Nein, es ist noch nicht das Jahr von Stefan Küng (30). «Vor der Tour de Suisse wurde ich krank. Bei der Tour de France musste ich aussteigen und war krank. Ganz ehrlich, ich hadere schon etwas. Aber wer weiss, vielleicht habe ich nun weniger Druck und alles geht auf», sagt er.
Küngs Objekt der Begierde in Paris ist eine Olympia-Medaille. Am Samstag, ab 17.17 Uhr, will er seinen Traum am Pont Alexandre III erfüllen – dann startet er zum Zeitfahren. Die Top-Favoriten sind andere. Wer? Das britische Zeitfahr-Wunderkind Joshua Tarling (20), Italiens Rad-Held Filippo Ganna (28) und Belgiens Kanonenkugel Remco Evenepoel (24). «Ich habe alle schon geschlagen», weiss Küng. Dennoch fehlt ihm weiterhin ein ganz grosser Sieg. Die nächste Chance, das zu ändern, kommt jetzt.
Blick: Sind Sie ein Olympia-Pechvogel, Stefan Küng?
Stefan Küng: Wieso meinen Sie?
Vor Rio 2016 stürzten sie schwer und verpassten die Spiele, 2021 in Tokio fehlten Ihnen vier Zehntelsekunden auf eine Medaille. Und nun waren Sie bis vor kurzem krank.
Es ist nicht so, dass diese Erlebnisse ständig präsent sind. Aber wenn ich danach gefragt werde, kommt alles wieder hoch. Aber ich werfe mir nichts vor. Ausser vielleicht …
Was?
Kurz Rio hatte ich bei der Schweizer Zeitfahrmeisterschaft die Chance, Fabian Cancellara zu schlagen – er war immer mein Vorbild, und es war klar, dass er bald zurücktreten würde. Also gab ich Vollgas und riskierte alles. Prompt brach ich mir das Schlüsselbein und das Becken. Heute frage ich mich: Was habe ich damals bloss getan?
Sie waren 22 und gingen ein unnötiges Risiko ein.
Ob ich einmal mehr oder weniger Schweizer Meister bin am Ende meiner Karriere, ändert nichts – damals war mir das nicht bewusst. Die Konsequenz war, dass ich bei meiner Mutter auf dem Sofa lag, statt mit dem Bahn-Vierer um Edelmetall zu kämpfen.
Welche sind ihre allerersten Olympia-Erinnerungen?
Simon Ammann, Salt Lake City 2002. Ich war neun Jahre alt. Ich werde nie vergessen, wie er zwei Goldmedaillen holte. Es ist seltsam, aber als Knirps habe ich den Wintersport viel mehr verfolgt.
Weshalb?
Vieles ist einfacher zu verstehen. Im Skifahren geht es darum, wer am schnellsten unten ist. Jemand fährt, die Uhr läuft, irgendwann stoppt sie.
Im Zeitfahren auf dem Velo ist das ähnlich.
Einverstanden. Am Ende bekomme ich die Quittung immer schwarz auf weiss. Ausreden gibt es nicht.
Das Strassenrennen ist für Laien komplizierter.
Damit man ein solches Rennen spannend findet, muss man einige Finessen kennen. Es geht ja auch viel um Taktik.
In Paris weniger, oder?
Ich weiss, worauf sie anspielen! (lacht)
Das Fahrerfeld wurde auf 90 reduziert, dafür sind die 272 Kilometer Distanz ein Rekord.
Das ist einfach schade, weil der Wettkampf nicht mehr repräsentativ ist für unseren Sport.
Wie meinen Sie das?
Erstens dürften circa 20 bis 30 Fahrer kein World-Tour-Niveau haben. Und zweitens fehlen den Teams viele Helfer – die sonst dafür sorgen, dass nicht Glück oder Pech darüber entscheidet, wer am Ende gewinnt. Vielleicht haben wir in Paris ein Strassenrennen wie bei den Junioren, wo nach 50 Kilometern für viele bereits alles gelaufen ist.
Welche Sportart an Olympia begeistert Sie sonst noch?
Rudern ist faszinierend, physisch sehr anspruchsvoll, und auch technisch muss man alles im Griff haben. Ich kenne viele Ruderer und werde ihre Rennen verfolgen.
Und wo wären Sie gern als Zuschauer live vor Ort?
Bei meinen Rennen sitze ich oft stundenlang im Sattel. Oft geht es nach dem Start darum, erst einmal mal zu schauen, was eigentlich läuft. Das ist dann eher gemütlich. Beim 100-Meter-Sprint ist das ganz anders, nach knapp zehn Sekunden ist alles vorbei. Die Athleten müssen auf den Punkt alles raushauen – das fasziniert mich.
Sie haben nicht mehr viele Möglichkeiten, eine Olympia-Medaille zu gewinnen. Spüren Sie Druck?
Ich bin jetzt 30 und habe privat und als Sportler schon viel erlebt. Das gibt mir eine gewisse Gelassenheit. Ich kann, muss aber keine Medaille gewinnen. Sicher ist, dass ich alles geben werde – ich bin zu 120 Prozent bereit.