Schweizer Ruder-Hoffnung hat schwierige Monate hinter sich
«Die Todesfälle machten mich zu einem emotionslosen Menschen»

Ruderin Lisa Lötscher blickt auf eine schwierige Zeit zurück. Gleich von zwei Mitgliedern ihres Olympiateams für Paris 2024 musste sie sich für immer verabschieden. Wie sie damit umgeht, erzählt sie im Gespräch mit Blick.
Publiziert: 26.07.2024 um 12:01 Uhr
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Aktualisiert: 26.07.2024 um 12:53 Uhr
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Trotz einiger Schicksalsschläge lässt sich Lisa Lötscher nicht unterkriegen.
Foto: Pius Koller
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Nicola AbtReporter Sport

Der Weg von Ruderin Lisa Lötscher (24) nach Paris ist ein ganz spezieller. Am Anfang ihrer erfolgreichen Olympia-Qualifikation steht ein abgebrochener Leistungstest. Vor drei Jahren verlässt sie den Kraftraum, ohne an ihre Grenzen gegangen zu sein. «Da habe ich gemerkt: Mit mir stimmt etwas nicht.» Die Luzernerin zieht sich vorübergehend vom Spitzensport zurück. Während ihrer Pause denkt die U23-Weltmeisterin über einen Rücktritt nach. 

Jetzt steht sie kurz vor ihrem ersten Olympia-Einsatz. Lötscher startet im Doppelvierer. Erstmals hat sich ein Schweizer Frauen-Grossboot für das grösste Sportereignis der Welt qualifiziert. «Die Vorfreude ist riesig», sagt sie. Bevor sie in der französischen Hauptstadt um die Medaillen rudert, schaut sie im Gespräch mit Blick zurück auf die schwierigste Zeit ihrer Karriere. 

Schock-Nachricht am Telefon

Im Herbst 2021 befindet sich Lötscher in der Form ihres Lebens. Die Frau aus Meggen LU triumphiert an der U23-Weltmeisterschaft im Doppelvierer. Sechs Wochen später gewinnt sie an den U23-Europameisterschaften in der gleichen Bootsklasse die Silbermedaille. «Alles lief perfekt. Ich fühlte mich bereit, durchzustarten.»

Bis sie zwei Tage nach der EM-Medaille einen Anruf erhält. «Am Telefon erklärte mir jemand, dass mein Mentaltrainer an einem Herzinfarkt gestorben sei.» Lötscher ist fassungslos. «Am Abend zuvor hatte ich noch mit ihm telefoniert und ihm für seine Arbeit gedankt.»

Wenige Wochen später der nächste Schock: Auch ihre Osteopathin ist gestorben. «Sie hatte mich seit meiner Kindheit begleitet.» Lötscher kennt ihre Töchter, deshalb geht ihr dieser Todesfall besonders nahe.

Wie eine Maschine

Zeit, um das alles zu verarbeiten, bleibt nicht. Lötscher beginnt, wieder zu trainieren. Angetrieben vom Ziel, in der nächsten Saison bei der Elite zu starten. «Im Training habe ich sehr gute Leistungen gezeigt», erinnert sie sich. Doch das Glücksgefühl bleibt aus.

«Alles schien so wertlos. Die Todesfälle haben mich zu einem emotionslosen Menschen gemacht. Ich erkannte mich selbst nicht mehr.» Wochenlang kämpft sie mit sich. Ihren Teamkolleginnen gaukelt sie vor, dass es ihr gut gehe. «Ich habe einfach nur funktioniert. Wie eine Maschine.» Bis zum Leistungstest, den sie abbricht. «Was mache ich hier überhaupt?», schoss es ihr in diesem Moment durch den Kopf.

Die Tränen fliessen lassen

Lötscher distanziert sich vom Rudersport. Sie verlässt das Trainingszentrum in Sarnen OW. Auf dem Stoos findet sie die nötige Ruhe. Seit 16 Jahren besitzt ihre Familie eine Ferienwohnung auf dem Berg im Kanton Schwyz. «Ich suchte nach Antworten für meine Emotionslosigkeit.» Auch Gedanken an einen möglichen Rücktritt lässt sie zu. «Ist Rudern das Richtige für mich?», fragt sich Lötscher.

Mit der Zeit ergeben sich einige Antworten von selbst. «Ich begann, das Rudern zu vermissen.» Bevor sie zurückkehren kann, muss sie einige Dinge klären. «Ich merkte, dass ich mir zu wenig Zeit genommen hatte, mich von den Verstorbenen zu verabschieden.»

Fernab von Leistungsdruck und anderen Einflüssen kann sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen. «Ich habe minutenlang geweint. Die Emotionen mussten raus.» Für Lötscher eine Befreiung. Von diesem Moment an richtet sie ihren Blick nach vorn. Sie beginnt, ein neues Team aufzubauen. «Diese Phase brauche unglaublich viel Mut.» 

Das Ruder-Traumpaar

Lötscher lernt, Nein zu sagen. Auf der Suche nach einem neuen Osteopathen und einem neuen Mentaltrainer probiert sie einiges aus. «Es hat mich Überwindung gekostet, gewissen Leuten direkt zu sagen, dass das nichts für mich ist.» Im Dezember 2021 steht ihr Olympiateam.

Im neuen Jahr steigt sie wieder voller Energie ins Training ein. «Diese Erfahrungen haben mich stärker gemacht. Ich weiss jetzt, wie ich mit schwierigen Situationen umgehen kann. Das hilft mir auch beim Rudern.»

In Paris wird sie von ihrer ganzen Familie unterstützt. «Gefühlt ist mein halbes Heimatdorf in Frankreich», sagt Lisa Lötscher. Ihren Freund hat sie sowieso immer dabei. Seit mehreren Jahren ist sie mit dem Ruderer Kai Schätzle (23) zusammen. Dieser startet in Paris im Vierer ohne Steuermann.

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