Blick: Simon Ehammer, Sie lagen im EM-Zehnkampf zwei Tage lang in Führung, auf den letzten Metern hat Niklas Kaul Sie noch abgefangen. Verspüren Sie einen Groll?
Ehammer: Ganz und gar nicht. Er hat 2019 in Doha an der WM ja noch einen noch grösseren Vorsprung aufgeholt am Ende, da muss ich mich überhaupt nicht schämen. Ich wusste ja auch, dass er kommen wird. Natürlich hatte ich gehofft, dass er den Speer vielleicht nicht ganz so weit wirft, wie er es kann. Aber er hat verdient gewonnen und ich bin stolz, dass ich ihn lange fordern konnte.
Es ist ihr erstes Zehnkampf-Edelmetall bei den Aktiven.
Unglaublich, ein grosser Traum ist in Erfüllung gegangen. Der zweite Tag war extrem schwierig, aber es gab über beide Tage Hochs und Tiefs.
Was war der schwierigste Moment?
Beim Diskus am Dienstagmorgen habe ich die Medaille kurz aus den Augen verloren. Da dachte ich, es gibt nichts mehr. Aber ich konnte gut reagieren im Stabhochsprung, im Speer habe ich dann wieder etwas vergeben. Und dann kam der 1500-m-Lauf.
Wo sie 4:48 gelaufen sind. Eine Steigerung zu ihren bisherigen Leistungen dieses Jahr in dieser Disziplin.
Ich konnte zeigen, dass ich ein Kämpfer bin und dass ich eine gute Mentalität habe. Natürlich wäre ich gerne noch ein kleines Bisschen schneller gelaufen. Aber man muss sehen: Ich versaue vor dem 1500er den Speer und sitze im Pausenraum und sehe zu, wie Kaul 76 m wirft. Da ist man nicht total tiefenentspannt und sagt sich, «dann laufe ich halt schneller». Ich bin zufrieden, ich habe allen gezeigt, dass ich laufen kann.
Und Sie haben auch in anderen Diszplinen noch Potential.
Ja, wenn man sich überlegt, dass ich 34 m im Diskus, 53 m im Speer geworfen und 14,20 m mit der Kugel gestossen habe… Wenn die drei Disziplinen auch funktionieren, dann wird es nicht mehr so einfach, mich zu schlagen.
Der Appenzeller hat 2022 bereits drei Grossanlass-Medaillen geholt: Auf Mehrkampf-WM-Silber in der Halle folgte WM-Bronze im Weitsprung und am Dienstag in München nun EM-Silber im Zehnkampf. In München verbesserte er zum dritten Mal in dieser Saison den Schweizer Rekord (8468 Punkte). Ehammer, der in Teufen AR von den Brüdern René und Karl Wyler trainiert wird, hält mit 8,45 m zudem den Schweizer Rekord im Weitsprung. In dieser Saison ist einzig Europameister Militadis Tentoglou (8,52) weiter gesprungen als er.
Der Appenzeller hat 2022 bereits drei Grossanlass-Medaillen geholt: Auf Mehrkampf-WM-Silber in der Halle folgte WM-Bronze im Weitsprung und am Dienstag in München nun EM-Silber im Zehnkampf. In München verbesserte er zum dritten Mal in dieser Saison den Schweizer Rekord (8468 Punkte). Ehammer, der in Teufen AR von den Brüdern René und Karl Wyler trainiert wird, hält mit 8,45 m zudem den Schweizer Rekord im Weitsprung. In dieser Saison ist einzig Europameister Militadis Tentoglou (8,52) weiter gesprungen als er.
In diesen drei Disziplinen wollten Sie eigentlich schon auf die EM hin einen Schritt nach vorne machen. Das ist Ihnen nicht gelungen.
Ja. Im Training gings extrem gut. Aber beim Werfen geht es um Lockerheit. Wenn man die Spezialisten anschaut, dann sieht das bei denen wie aus einem Guss aus. Im Training und im Einwerfen klappt das schon, der Diskus ist beim Aufwärmen fünf Meter weiter geflogen als nachher im Wettkampf. Da ist es dann halt so: Du weisst, du musst, und verlierst an Lockerheit. Aber das geht anderen in anderen Disziplinen ähnlich. Ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg.
Sie haben zum Schluss der Ehrenrunde ihren Trainer Karl Wyler lange umarmt. Was haben Sie ihm gesagt?
Zuerst einmal, dass ich ihn die ganze Ehrenrunde gesucht hatte, weil ich nicht wusste, wo er war. Und dann habe ich Danke gesagt. Wir sind ein Dreamteam, wenn wir zusammen an Wettkämpfe gehen. Wir ergänzen uns super, er ist so ein lieber Kerl, der alles für mich tut. Wenn es nach Tag 1 des Wettkampfs am späten Abend kein Shuttle mehr hat, dann treibt er halt einen anderen fahrbaren Untersatz auf.
So wie am Montag.
Ja, da ist er dann plötzlich mit einem BMW des europäischen Leichtathletik-Verbandes aufgetaucht, damit wir ins Hotel fahren konnten. Wir durften schon so viele Dinge zusammen erleben, dass ich hoffe, ich kann ihm mit solchen Wettkämpfen auch etwas zurückgeben.
Mit den 8,31 m im Zehnkampf-Weitsprung hätten Sie bei den Weitsprung-Spezialisten EM-Silber geholt. Haben Sie Ihre Ansprüche auf die Silbermedaille schon angemeldet?
Nein, ich habe gratuliert. Ich habe aber mit Europameister Militatis Tentoglou schon gesprochen. Der Sack hat mir jetzt die Jahresbestweite geklaut (lacht). Aber ich habe noch zwei Chancen in Luzern und Zürich, wo ich im Weitsprung antrete. Da will ich ihn schlagen und mir die zurückholen. Da habe ich dann Heimspiel!
Haben Sie neben dem Zehnkampf mitbekommen, was im Weitsprung lief?
Natürlich habe ich es verfolgt und gesehen, was sie springen. Ich habe mir das während dem Zehnkampf angeschaut und gedacht: Das wäre schon gemütlicher und einfacher, als hier zwei lange Tage zu kämpfen. Aber der Zehnkampf macht mir so viel Freude, das ist meine Leidenschaft. Und jetzt sind die ganzen Schmerzen eh vergessen.