Zehnkämpfer stehen früh auf, Zehnkampf-Fans gehen manchmal spät ins Bett. Zum Beispiel die von Simon Ehammer (22). Nicht, weil man voreilig bereits eine EM-Medaille des gemeinsamen Lieblings begossen hätte. «Bis 3 Uhr früh haben wir noch an den Plakaten gemalt», erzählt Ehammers Freundin Tatjana Meklau (22) am Sonntag vor dem Münchner Olympiastadion.
Es ist noch früh am Tag, noch nicht einmal 9 Uhr, und Meklau ist nervös. «Ich habe vorhin noch mit ihm telefoniert», erzählt sie. «Simon ist gut drauf, fühlt sich prima. Jetzt muss er einfach abrufen, was er in sich drin hat.»
1. Disziplin 100 m
Es geht gut los. «Ich sitze auf meiner Glückszahl», sagt die Österreicherin und zeigt auf die Sitznummer: 11. «Meine Mama hat am 11. Jänner Geburtstag.» Die Ehammer-Fanschar ist bunt gemischt: Freunde und Familie mütterlicherseits aus dem Appenzell, die Familie von Papa Ehammer aus dem Tirol, dazu Meklaus Familie aus der Steiermark. Alle koordiniert von Tatjana, die sogar T-Shirts für den grossen Tag hat drucken lassen. Die sind so beliebt, dass es nicht für alle reicht. «Nächstes Mal drucken wir mehr. Wieder was gelernt!»
Die Nervosität erreicht ihren Höhepunkt. «Ich habe Gänsehaut», sagt sie zu ihrem Bruder auf dem Sitz neben sich. Dann gehts endlich los: Ehammer galoppiert der Konkurrenz über 100 m davon, setzt sich in 10,56 Sekunden an die Spitze. «Der Wind war schwierig, die Bahn nicht so schnell», wird er später sagen. «Darum bin ich mit der Zeit sehr zufrieden.»
2. Disziplin: Weitsprung
Weiter gehts mit Ehammers bester Disziplin. Seine Fans sitzen direkt an der Weitsprung-Grube, der Appenzeller winkt beim Aufwärmen. «Ich bin viel nervöser, wenn ich zuschauen muss», sagt Meklau derweil, die sich als ÖSV-Skicrosserin mit Wettkampf-Druck auskennt. «Wenn ich selber Rennen fahre, kann ich etwas tun. Hier kann ich nichts beeinflussen.» Ein wenig versucht sie es trotzdem. «Ich bete immer ein bisschen und drücke die Daumen», sagt sie. «Ich hoffe, dass ich so etwas Energie schicken kann.» Obs Ehammer deshalb so gut läuft? Er fliegt 8,31 m weit, zweitbester Satz in der Karriere überhaupt. Ehammer: «Dazu noch einmal 8,27. Zwei so starke Sprünge hatte ich noch nie im gleichen Wettkampf.»
3. Disziplin: Kugelstossen
Der erste Programmpunkt, der nicht zu Ehammers Favoriten gehört. Freundin Tatjana holt sich eine riesige Brezel, bevor es losgeht. Nervennahrung? «Er hats gut gemacht», resümiert sie. 14,24 m weit stösst er die Kugel, eigentlich hat er sich mehr vorgenommen. «Aber ich habe nichts verloren», sagt Ehammer. Spätestens, seit Weltmeister Kevin Mayer nach dem 100er aufgegeben hat, ist klar: Da ist viel möglich.
4. Disziplin: Hochsprung
Eine Frage, die am Mittag noch nicht beantwortet ist: Welche Sitznummer gibts für die Abendsession? Am Abend sind die Sitzplätze fest zugewiesen. «Wenn die 11 frei ist, frage ich sicher, ob ich da sitzen darf.» Sie wirft einen Blick auf ihr Ticket für den Abend. «Ah, ich habe die 7. Simons Glückszahl!» Die 11 ist besetzt – aber die 7 liefert genauso: Ehammer ist jetzt endgültig im Flow, mit 2,08 springt er neue persönliche Bestleistung – und zu 2,11 fehlt gerade mal eine Haaresbreite.
5. Disziplin: 400 m
Und dann setzt er noch einen obendrauf: 47,40 im 400er, schneller als die Konkurrenz. Mit 4661 Punkten liegt Ehammer bei Halbzeit auf Platz 1. Aber Achtung: Lokalmatador Niklas Kaul lauert mit 500 Zählern Rückstand – und dessen starke Disziplinen kommen noch. «Wir müssen uns jetzt alle erholen», sagt Tatjana. «Morgen kann viel passieren.»
Für Ehammer stehen vor dem Einschlafen noch «Eisbad, Massage, Essen und ein Bier mit dem Trainer» auf dem Programm. Auf fünf Stunden Schlaf wird er kommen. «Aber das geht allen so. Morgen greifen wir wieder an.»