Ohne Roten Pass zu EM-Bronze
Das Schweizer Märchen um Ex-Flüchtling Dominic Lobalu

Vom südsudanesischen Waisen zum EM-Helden: Dominic Lobalu läuft für die Schweiz zu Bronze, trotz fehlendem Pass und bürokratischen Hürden.
Publiziert: 09.06.2024 um 11:06 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2024 um 22:07 Uhr
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Dominic Lobalu feiert in Rom EM-Bronze: Gleich in seinem ersten Rennen im Schweizer Nationaldress läuft der Ex-Flüchtling aufs Podest.
Foto: keystone-sda.ch
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Matthias DubachLeiter Reporter-Pool Blick Sport

Mit der beispiellosen Geschichte von Dominic Lobalu (25) sind auch die internationalen Medien überfordert. Er sei «Swiss citizen», «Schweizer Bürger», ist zuweilen über den Bronze-Helden der Leichtathletik-EM in Rom zu lesen.

Das ist falsch. Denn Lobalu ist ein Schweizer EM-Medaillengewinner ohne Schweizer Pass! Die Story um den begnadeten Läufer ist einzigartig. Sein Lebensweg passt nicht in ein herkömmliches Schema. Als Neunjähriger muss er miterleben, wie Soldaten seine Eltern umbringen, als Vollwaise aus dem Südsudan wird er zum Flüchtling und gelangt auf Umwegen in die Ostschweiz, wo er eine neue Heimat gefunden hat. Jetzt steht er als Weltklasseläufer auf einem EM-Podest.

Frühestens 2032 ist die Einbürgerung denkbar

Lobalu schlägt schon in seinem ersten Grossevent als Leichtathletik-Schweizer zu. Die Freigabe, für die Schweiz zu starten, bekam der Ex-Flüchtling erst einen Monat vor der EM. Das Reglement des Weltverbands erlaubt es, auch ohne den Pass für seine neue Heimat zu starten. Denn er kann die Einbürgerung frühestens 2032 beantragen.

Dass er auch dann noch in der Schweiz lebt, ist wenig zweifelhaft. «Die Schweiz ist meine Heimat. Diese Medaille ist für alle, die hinter mir stehen und die mir auf meinem Weg geholfen haben», sagt Lobalu nach seinem allerersten Rennen im roten Nationaldress. Die Schweizer Fahne hängt über der Schulter, als er im Stadionbauch mit den Journalisten spricht. Am liebsten hätte er die Fahne nach dem Zieleinlauf dem ganzen Stadio Olimpico gezeigt. «Ich wollte eine Ehrenrunde machen, doch leider gab es zu wenig Zeit dafür», sagt er lachend. Der Zeitplan an der EM ist eng getaktet.

Auch für Lobalu selber. Er läuft am Mittwoch in Rom auch noch über 10’000 Meter. Mit klarem Ziel: Die zweite EM-Medaille zu holen. «Ich denke, im 10er habe ich eine grosse Chance auf den Sieg.» Europameister Lobalu? Gut möglich, dass das Leichtathletik-Märchen schon am Mittwoch ein nächstes denkwürdiges Kapitel hinzubekommt.

Lobalu fährt die Ellbogen aus

Dass an Titelkämpfen viel taktischer gelaufen wird als sonst, hat er nun bereits im 5000er gelernt. «Ich kannte das nicht. Niemand will führen, es wird viel mit den Ellbogen gearbeitet. Nach dem dritten Schlag war mir klar: In einem solchen Rennen gibts keine Kollegen, also habe ich auch begonnen, auszuteilen», schildert Lobalu.

Sein Sonderstatus als Schweizer Athlet ohne Pass wird ihn nun weiter begleiten. Für die Olympischen Spiele in Paris braucht es noch eine Einwilligung vom IOC. Lobalu: «Damit beschäftige ich mich nach der EM.» Und auch für die WM 2025 in Japan wirds kompliziert. Ohne Pass darf Lobalu durch seinen Flüchtlingsstatus eigentlich nur in Europa reisen.

Aber Gedanken an jeglichen Papierkram sind an diesem Sonntag um 19.25 Uhr ganz weit weg, wenn Lobalu bei der Medaillenzeremonie auf der Bühne vor dem Stadion seine EM-Bronze umgehängt bekommt.

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