Darum gehts
- Bochum kämpft um Bundesliga-Verbleib. Trainer Hecking bringt Sicherheit und geniesst Respekt
- VfL Bochum strebt 100 Millionen Euro Umsatz für echte Konkurrenzfähigkeit an
- Bochums TV-Gelder betragen 40 Millionen, Kommerz soll gleichen Betrag generieren
Blick: Ein zweites Wunder wie bei Sieg in München hat es am Freitag nicht gegeben. Wie bewertet der Geschäftsführer dieses 1:3 in Leverkusen?
Ilja Kaenzig: Wenn wir an solchen Orten etwas holen wollen, müssen wir überperformen und quasi alle Chancen nutzen. Der Schiedsrichter muss einen perfekten Tag haben. Alles, aber auch alles muss stimmen. Das war trotz einer guten Leistung unsererseits nicht Fall. Die höhere Qualität des Gegners kommt dann zum Tragen. Das muss man anerkennen.
Es ist noch enger geworden.
Ja, aber das haben wir erwartet. Weshalb die Crunch Time für uns nun beginnt. Es wird wohl zehn bis zwölf Punkte aus den nächsten sieben Spielen brauchen.
Das war zu offensiv und frech für Bochum.
So könnte man es tatsächlich formulieren. Vielleicht kann man als VfL Bochum in der Bundesliga nicht mit Raute spielen, vielleicht ist das zu riskant. Weil man früher oder später hineinläuft. Dazu kam das wahnsinnige Pressing, das in der Vorbereitung klappte. Da dachten alle: Jetzt hat die Mannschaft das intus. Was nicht der Fall war. Nach sieben Spielen war der Druck von Öffentlichkeit, Medien, aber auch der Abstiegsdruck zu gross. Peter Zeidler tat mir leid. Er hat jede Sekunde genossen und mit Haut und Haaren die Bundesliga gelebt.
Aber wenn Sie sagen, dass Sie das komplexe Zeidler-System unterschätzt haben, liegt der Hauptfehler nicht bei den Verantwortlichen?
Klar. Wir haben Fehler gemacht, dazu müssen wir stehen. Das nutzt Peter Zeidler auch nichts. Er ist das Opfer, und das ist bitter. Wir hätten es halt vereinfachen müssen, wie gesagt. Was notabene eine Kunst ist, welche die wenigsten beherrschen.
Musste deshalb auch Sportchef Marc Lettau gehen?
Uns sind bereits in der Transferkampagne Fehler passiert. Uns allen! Gute Spieler kamen, die für unsere Situation aber erst mal nicht ideal waren. So was merkt man leider erst zu spät. Trotzdem haben wir entschieden, die Notbremse radikal zu ziehen. Im Sinn eines Restarts.
Haben Sie eigentlich Kontakt mit dem anderen Luzerner in der Bundesliga, Gladbach-Coach Gerry Seoane?
Erstaunlicherweise nicht. Wir kennen uns, klar. Aber wir sind uns nie über den Weg gelaufen. Dabei waren wir Gladbachs idealer Aufbaugegner, als die Ende Januar in der Krise waren ...
Mittlerweile ist ja auch Bochum ziemlich stabil, seit Dieter Hecking am Ruder ist. Man gewinnt auch mal bei Bayern München, was sonst niemand geschafft hat. Ein Turnaround, den Hecking eigentlich niemand zugetraut hatte. Wie hat er das geschafft?
Er bringt das hinein, was nur ein Trainer hineinbringen kann, der allein in der Bundesliga über 430 Spiele gecoacht hat. Er hat uns Sicherheit gegeben. Der Respekt war sofort da. Das war wie Magie! Gerade gegen die Grossen. Wir haben Leipzig und Leverkusen ein Unentschieden abgerungen, Dortmund und Bayern geschlagen.
Was braucht es für solche Coups?
Wir müssen überperformen. Oder wie es José Mourinho einst formuliert hat: Wenn man sich keinen Jagdhund leisten kann, um auf die Jagd zu gehen, muss man es halt mit der Katze machen (beide lachen laut).
Ilja Kaenzig wird am 21. Juni 1973 in Sursee LU geboren. Der Sohn einer russischen Mutter und eines Schweizer Vaters studiert in Lausanne Betriebswirtschaft und kommt 1994 ins Fussballbusiness, als er parallel zu seinem Studium bei GC unter den Fittichen von Erich Vogel Transfer-Koordinator ist. 1998 geht er zu Bayer Leverkusen, wo er zuerst Nachwuchschef und bald Koordinator Gesamtfussball wird. Dort heisst sein Mentor Reiner Calmund. 2004 engagiert ihn Hannover 96 als Geschäftsführer und Sportchef. 2010 wird er Sportchef der Blick-Gruppe. Ein halbes Jahr später ruft YB, wo Kaenzig CEO sowohl der AG wie auch des Stade de Suisse wird. Nach zwei Jahren trennen sich die Wege im Zuge der Umstrukturierungen und wegen Erfolglosigkeit trotz grosser Investitionen. Von 2015 bis 2018 ist Kaenzig CEO des französischen Zweitligisten Sochaux. Er geht zum deutschen Zweitligisten Bochum, wo er seit März 2018 offiziell Geschäftsführer Finanzen, Organisation, Marketing, Vermarktung und Kommunikation der VfL Bochum 1848 GmbH & Co. KGaA und Sprecher der Geschäftsführung ist. 2021 steigt der VfL in die erste Bundesliga auf. Im Juli 2024 verlängert Kaenzig seinen Vertrag vorzeitig bis 2029 und wird alleiniger Geschäftsführer.
Ilja Kaenzig wird am 21. Juni 1973 in Sursee LU geboren. Der Sohn einer russischen Mutter und eines Schweizer Vaters studiert in Lausanne Betriebswirtschaft und kommt 1994 ins Fussballbusiness, als er parallel zu seinem Studium bei GC unter den Fittichen von Erich Vogel Transfer-Koordinator ist. 1998 geht er zu Bayer Leverkusen, wo er zuerst Nachwuchschef und bald Koordinator Gesamtfussball wird. Dort heisst sein Mentor Reiner Calmund. 2004 engagiert ihn Hannover 96 als Geschäftsführer und Sportchef. 2010 wird er Sportchef der Blick-Gruppe. Ein halbes Jahr später ruft YB, wo Kaenzig CEO sowohl der AG wie auch des Stade de Suisse wird. Nach zwei Jahren trennen sich die Wege im Zuge der Umstrukturierungen und wegen Erfolglosigkeit trotz grosser Investitionen. Von 2015 bis 2018 ist Kaenzig CEO des französischen Zweitligisten Sochaux. Er geht zum deutschen Zweitligisten Bochum, wo er seit März 2018 offiziell Geschäftsführer Finanzen, Organisation, Marketing, Vermarktung und Kommunikation der VfL Bochum 1848 GmbH & Co. KGaA und Sprecher der Geschäftsführung ist. 2021 steigt der VfL in die erste Bundesliga auf. Im Juli 2024 verlängert Kaenzig seinen Vertrag vorzeitig bis 2029 und wird alleiniger Geschäftsführer.
Wessen Idee war es, Hecking zu holen?
Eine Trainerwahl ist immer eine Vereinsentscheidung. Aber ich habe sehr viele Stunden investiert, zu überlegen, wer der richtige Mann sein könnte. Ich ging stundenlang auf der Terrasse meines Büros hin und her, rauchend, und habe Ideen generiert, Ideen verworfen.
Terrasse? Tönt nobel für den VfL. Mit Ausblick? Auf Stadtpark oder Friedhof?
Der Ausblick geht aufs Stadiondach und die Flutlichtmasten, also schon Fussballromantik. Wir wollten einen Trainer mit grosser Erfahrung. Es gibt in Deutschland nicht so viele Senior Coaches. Das bezieht sich auf die Erfahrung, nicht aufs Alter! Als ich dann die Info erhielt, dass das Trainerfeuer in Hecking immer noch lodert, obwohl er vier Jahre lang in Nürnberg hauptsächlich als Sportvorstand gearbeitet hatte, machte ich mich gleich auf zu ihm. Rosen schneiden und mit den Hunden Gassi gehen – das kann es für ihn noch nicht sein. Das habe ich gleich gespürt. Er wollte es allen nochmals zeigen. Kurioserweise hatte er immer gehofft, dass das mit Bochum eines Tages klappt.
Wie denn das?
Bei Klubs, die um die ersten Plätze spielen, war er schon. Zu Klubs, bei denen er emotional nichts spürt, wollte er nicht gehen. Aber ein Klub mit Kultstatus wie Bochum, das würde ihn reizen. Zumal seine Mutter und Tochter in der Nähe wohnen und er aus dem zwanzig Minuten entfernten Castrop-Rauxel kommt. Es war so was wie ein Nach-Hause-Kommen.
Schafft er das Wunder, Bochum oben zu halten?
Wenn noch 14 Spiele ausstehend wären, hätte ich null Zweifel. Aber es stehen nun mal nur noch sieben aus. Kiel und Heidenheim punkten immer wieder. Es wird verdammt eng werden. Es wird Drama. Wie letzte Saison, wie bei uns fast in jedem Spiel. Es gibt immer weitere Steigerungen von Drama in Bochum.
Bochum hat mit Trainer Dieter Hecking um zwei Jahre verlängert. Aber nur für den Fall des Ligaerhalts. Schliessen Sie eine Verlängerung für den Fall des Abstiegs aus?
Nein, keinesfalls. Aber das Mindset von Dieter ist im Moment nur auf die Bundesliga ausgerichtet. Für uns ist alles vorstellbar.
Zurück zum Drama: Eines wäre, wenn das Schiedsgericht als dritte Instanz den Forfait-Sieg von Bochum bei Union Berlin wegen des Feuerzeugwurfs gegen Ihren Goalie Patrick Drewes noch umstossen würde.
Davon gehe ich nicht aus. Aber wir bleiben demütig, es kommt, wie es kommt.
Der Abstieg wäre aber schon eine Enttäuschung. Das Budget von Bochum ist nicht mehr ein Mini-Budget.
Wenn man den Lizenzetat anschaut, also die Spielerlöhne, sind wir vor Kiel und wohl auf Augenhöhe mit Heidenheim und Pauli. Die Aufsteiger nehmen immer mehr Geld in die Hand. Das ist explodiert. Wir müssen nach wie vor überperformen. Es wird uns niemand den Jagdhund kaufen. Auch nicht nächste oder übernächste Saison.
Aber 100 Millionen beträgt der VfL-Umsatz nicht?
Nein. Das ist aber unser Ziel. Der Klub hat sich wirtschaftlich hervorragend entwickelt. In der 2. Liga haben wir mit 30 Millionen begonnen. Jetzt sind es 90. Bei 100 Millionen Umsatz und davon der Hälfte als Spielerlöhne wären wir zukünftig auch mit den stärksten Aufsteigern konkurrenzfähig.
Mainz – das Vorbild für Bochum?
Das Mindeste, was Bochum eines Tages erreichen muss, ist, was Mainz, Augsburg und Union erreicht haben. Zumal unsere Voraussetzungen eher besser sind. Wir sind potenziell grösser von der Reichweite.
Sie haben nun Zeit für die Erreichung dieser Ziele, nachdem Sie Ihren Vertrag jüngst bis 2029 verlängert haben.
Die Zustimmung zu dem, was wir tun, ist sehr, sehr hoch. Das Umfeld glaubt fest an unser Projekt. Finanziell, strukturell und kommunikativ sieht man die beste Version des VfL aller Zeiten. Es fehlen noch grössere Transfererlöse – und natürlich ein paar Punkte, aber um die geht es ja …
Aber der VfL war einst europäisch.
Die Bundesliga ist unsere Champions League. Und im Abstiegskampf über Europa zu reden, ist nicht angebracht. Aber klar, Heidenheim hat es auch geschafft. Wenn also jemand in zehn Jahren zurückschaut – dann wird er vielleicht auch internationale Spiele sehen.
Wie kann ein kleiner Bundesligist wie der VfL mehr Geld generieren?
Wir erhalten aktuell 40 Millionen an TV-Geldern. Die Abteilung Kommerz muss eines Tages gleich viel generieren mit Zuschauern, Sponsoring, Merchandising. Dazu braucht es 20 Millionen Transfererlöse pro Jahr. Das ist das, was Mainz und Augsburg aktuell übertreffen, also keine Hexerei. Mit 100 bis 120 Millionen wäre man konkurrenzfähig.
Sprechen wir über unseren Fussball. Den aus der Schweiz. Der in der grössten Krise seit Jahrzehnten steckt. Die Nati ist miserabel. Im Uefa-Ranking sind wir abgestürzt, von 12 auf 17. Was läuft da schief?
Es kam schon zu einigen äusserst unglücklichen Konstellationen wie dem Ausscheiden von Lugano. Und die Länder, die nun an der Schweiz vorbeigezogen sind wie Norwegen, waren vor kurzem auch weg vom Fenster. Das kann sich schnell wieder ändern. Und das ist auch mit relativ wenig Geld möglich. Sturm Graz zum Beispiel ist mit Handarbeit, fähigen Leuten und schlauen Verkäufen an die Spitze gelangt. Ein gut geführter Verein braucht weniger als die Hälfte des Lohnbudgets eines schlecht geführten, das zeigen Analysen. Man nehme die Beispiele Brighton, Brentford oder Bournemouth in der besten Liga der Welt. Oder Stade Brest in Frankreich. Das sind Klubs, die kleiner sind als Bochum. Die Super League ist ja kompetitiv, extrem sogar.
Aber die Qualität stimmt nicht.
Okay, aber am Ende spielt man für die Leute. Und wenn die Stadien gut ausgelastet sind, was die meisten sind, kommen auch Sponsoren. Die Schweiz ist auch auf dem Transferradar gut präsent. Beispiel: Ein Luca Jaquez wechselt direkt zum VfB Stuttgart. Das ist beeindruckend. Es ist vom Mindset her ein Riesenschritt, wenn FCL-Präsident Josef Bieri sagt, man verkaufe die besten Spieler nicht mehr innerhalb der Schweiz. Das gabs früher nicht.
Das ist wunderbar, ja. Aber es spielen klar zu wenige junge Schweizer, nicht mal in der Challenge League …
Das ist ein Punkt. Man kann nur noch Spieler verkaufen, die absolut top sind. Also braucht es mehr Klubs wie den FC Luzern, der auf die eigenen setzt! Mehr Sportchefs wie Remo Meyer, den man reifen liess und der nun einen tollen Job macht. Die hervorragende Ausbildung in der Schweiz muss kapitalisiert werden. Sonst macht das keinen Sinn.
Sie sind während der Natipause kurz in der Schweiz. Sonst sieht Sie Ihre Familie aber ganz selten. Ist das kein Problem in der Perspektive von weiteren vier Jahren Ruhrpott?
Die Familie hat sich daran gewöhnt und kennt das ja gar nicht mehr anders. Aber im Ernst: Der Spielplan lässt trotzdem genug Heimatbesuche zu. Die Beziehung leidet nicht. Meine Frau und ich sind 26 Jahre zusammen. Das hat sich eingespielt.
Sie werden sich auch bald einspielen müssen, mit einem neuen Gschpänli. Sie sollen einen Sportchef neben sich erhalten.
Wir hatten von Beginn weg gesagt, dass der Trainer und ich die Transfers im Winter machen und wir danach den neuen Sportchef suchen. Dieser Job ist in Bochum nicht einfach, denn das ist echtes Handwerk hier. Es soll ein erfahrener Mann sein. Wir haben keine Marge für Fehler. Und es muss einer sein, der akzeptiert, dass er mit der Katze auf die Jagd gehen muss anstatt mit dem Jagdhund. Und das auch noch meist bei Regenwetter …
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Bayern München | 27 | 52 | 65 | |
2 | Bayer Leverkusen | 27 | 28 | 59 | |
3 | Eintracht Frankfurt | 27 | 15 | 48 | |
4 | FSV Mainz | 27 | 14 | 45 | |
5 | Borussia Mönchengladbach | 27 | 4 | 43 | |
6 | RB Leipzig | 27 | 7 | 42 | |
7 | SC Freiburg | 27 | -3 | 42 | |
8 | FC Augsburg | 27 | -6 | 39 | |
9 | VfL Wolfsburg | 27 | 8 | 38 | |
10 | Borussia Dortmund | 27 | 6 | 38 | |
11 | VfB Stuttgart | 27 | 3 | 37 | |
12 | Werder Bremen | 27 | -10 | 36 | |
13 | Union Berlin | 27 | -15 | 30 | |
14 | TSG Hoffenheim | 27 | -16 | 27 | |
15 | FC St. Pauli | 27 | -11 | 25 | |
16 | 1. FC Heidenheim 1846 | 27 | -20 | 22 | |
17 | VfL Bochum | 27 | -27 | 20 | |
18 | Holstein Kiel | 27 | -29 | 17 |