CEO Ilja Kaenzig exklusiv über Abstiegskampf, Leverkusen und die EM
Bochum will Leverkusen die «Goldene Meisterschaft» vermasseln

Seit sechs Jahren ist Ilja Kaenzig CEO von Bundesligist VfL Bochum. Es ging von der zweiten in die erste Liga und dort heisst es Jahr für Jahr: Abstiegskampf pur. Auch heuer macht Bochum da mit und will nun gegen Leverkusen alles klarmachen. Wie 2023 ...
Publiziert: 08.05.2024 um 11:57 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2024 um 20:12 Uhr
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Ilja Kaenzig ist seit sechs Jahren CEO von Bundesligist VfL Bochum.
Foto: ALAIN KUNZ
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Alain KunzReporter Fussball

Nach den beiden Drama-Siegen im Kampf gegen den Abstieg seines VfL Bochum gegen Hoffenheim (3:2) und Union Berlin im ultimativen Relegationsschocker (4:3) hat Ilja Kaenzig wohl weitere graue Haare dazugewonnen, aber vor allem Zuversicht, dass der Ruhrpott-Klub auch nächste Saison erste Bundesliga spielen kann.

Zwischen diesen beiden Spielen macht der CEO des VfL die Brücke – 1. Mai sei Dank – in seiner Innerschweizer Heimat. Blick traf ihn in Rotkreuz ZG. Nun will man alles klarmachen – gegen Leverkusen. Und dabei schauen, wie es Verteidiger Keven Schlotterbeck formuliert, Leverkusen irgendwie den Zahn zu ziehen. Und dem Xhaka-Klub die sogenannte «Goldene Meisterschaft» im 50. Saisonspiel vermasseln.

Blick: Ilja Kaenzig, wie viel Nerven hat dieses 4:3 nach einer 3:0-Führung im ultimativen Relegationsschocker gegen Union gekostet?
Ilja Kaenzig: Herbert Grönemeyer singt ja «Bochum, Du hast’n Pulsschlag aus Stahl». Beim VfL braucht es echt Nerven aus Stahl. In diesem Spiel war das erst recht der Fall. Aber wenn es gut ausgeht, sind das die schönsten Tage.

Nach den beiden Siegen siehts viel besser aus. Der direkte Abstieg ist abgewendet. Gut ausgesehen hatte es aber schon einmal.
Ja. Nach 22 Spielen und dem Sieg gegen Bayern schienen wir gerettet zu sein. Doch acht Spiele ohne Sieg liessen uns wieder abstürzen. Aber vor der Saison hätten alle gesagt, dass diese Position für uns normal ist.

Die Relegation wäre tricky.
Absolut. Auch wenn in den letzten Jahren nur Union so aufstieg. Aber Bochum ist als Zweitligist auch einst in der Relegation gegen Gladbach gescheitert. Die jüngsten Erinnerungen sind also nicht so gut. Als Bundesligist hat der VfL schon mal eine Relegation für sich entschieden. Das ist aber über 30 Jahre her.

Braucht Bochum den Abstiegskampf?
Nach dem Bayern-Spiel haben alle durchgeschnauft. Plötzlich fehlte die Galligkeit. Offenbar muss uns das Wasser bis zum Hals stehen. Wenn nur fünf Prozent fehlen, reicht das nicht. Unser Ex-Trainer Thomas Letsch hatte schon recht, als er sagte: «Abstiegskampf ist gut.» Wir müssen in diesem Modus sein, um entsprechend zu performen.

Wie nimmt Sie das persönlich mit? Oder sind Sie zu weit von der ersten Mannschaft weg?
Nein. Wir sind eine kleine Organisation. Wenn es hart auf hart geht, rücken alle nochmals näher zusammen. Auch die lokalen Medien sind dann nicht nur kritisch. Das ist ein Teil des Mythos’ VfL Bochum. Und auch deshalb nimmt es alle extrem mit. Das entlädt sich dann im Positiven mit einer massiven Wucht bei den Heimspielen. Unser Stadion ist auch deshalb eines der lautesten in der Liga. Und vor dem Kracher gegen Union kamen 5000 Fans zum Abschlusstraining, um dem Team ihren bedingungslosen Support zu demonstrieren. Ein Gänsehaut-Moment!

Ist schlicht nicht mehr möglich für Bochum als das Überleben in der Liga?
Wir haben einen grossen Rückstand auf die anderen abzuarbeiten, erleben aber einen ungebremsten Trend nach oben. Der Verein hat sich massiv entwickelt und stellt seine beste Version aller Zeiten dar, in allen Bereichen. Dank unseres Dreiklangs.

Ilja Kaenzig

Ilja Kaenzig wird am 21. Juni 1973 in Sursee LU geboren. Der Sohn einer russischen Mutter und eines Schweizer Vaters studiert in Lausanne Betriebswirtschaft und kommt 1994 ins Fussballbusiness, als er parallel zu seinem Studium bei GC unter den Fittichen von Erich Vogel Transfer-Koordinator ist. 1998 geht er zu Bayer Leverkusen, wo er zuerst Nachwuchschef und bald Koordinator Gesamtfussball wird. Dort heisst sein Mentor Reiner Calmund. 2004 wird er bei Hannover 96 Geschäftsführer und Sportchef. 2010 wird er Sportchef der Blick-Gruppe. Ein halbes Jahr später ruft YB, wo Kaenzig CEO sowohl der AG wie auch des Stade de Suisse wird. Nach zwei Jahren trennen sich die Wege im Zuge der Umstrukturierungen. Von 2015 bis 2018 ist Kaenzig CEO des französischen Zweitligisten Sochaux. Und nun, seit März 2018, ist er offiziell Geschäftsführer Finanzen, Organisation, Marketing, Vermarktung und Kommunikation der VfL Bochum 1848 GmbH & Co. KGaA und Sprecher der Geschäftsführung. Allerdings reichen drei Buchstaben, um es kürzer zu sagen: CEO.

Ilja Kaenzig wird am 21. Juni 1973 in Sursee LU geboren. Der Sohn einer russischen Mutter und eines Schweizer Vaters studiert in Lausanne Betriebswirtschaft und kommt 1994 ins Fussballbusiness, als er parallel zu seinem Studium bei GC unter den Fittichen von Erich Vogel Transfer-Koordinator ist. 1998 geht er zu Bayer Leverkusen, wo er zuerst Nachwuchschef und bald Koordinator Gesamtfussball wird. Dort heisst sein Mentor Reiner Calmund. 2004 wird er bei Hannover 96 Geschäftsführer und Sportchef. 2010 wird er Sportchef der Blick-Gruppe. Ein halbes Jahr später ruft YB, wo Kaenzig CEO sowohl der AG wie auch des Stade de Suisse wird. Nach zwei Jahren trennen sich die Wege im Zuge der Umstrukturierungen. Von 2015 bis 2018 ist Kaenzig CEO des französischen Zweitligisten Sochaux. Und nun, seit März 2018, ist er offiziell Geschäftsführer Finanzen, Organisation, Marketing, Vermarktung und Kommunikation der VfL Bochum 1848 GmbH & Co. KGaA und Sprecher der Geschäftsführung. Allerdings reichen drei Buchstaben, um es kürzer zu sagen: CEO.

Dreiklang?
Effizienz, Qualität und Kontinuität. Wir müssen Effizienzmeister sein. Wenn wir schon weniger haben als andere, müssen wir viel mehr daraus machen. Dann brauchen wir jeden Tag mehr Qualität. Diese finden wir in den kleinen Dingen. Wer im Fussball die Basics perfekt macht, schlägt schon viel Konkurrenz. Und Kontinuität ist ein Wettbewerbsvorteil für uns. Am Ende des Tages braucht es auch Schlachtenglück. Zumindest in meinen sechs Jahren stelle ich fest, dass ein guter Stern über diesem Klub leuchtet. Wir haben uns einen gewissen Kredit beim Fussballgott erarbeitet. Es kam immer zu guten Wendungen, als es eng wurde.

Und so weit wie Leverkusen zu kommen, ist ohnehin utopisch.
Das ist es. Das ist eine andere Dimension, finanziell und sportlich. Wir müssen vielmehr Mainz, Augsburg oder Union als Vorbild nehmen. Da sind die Voraussetzungen ähnlich.

Also soll man um Europa spielen können.
Das tun wir doch aktuell. Die Bundesliga ist unsere Champions League. (schmunzelt)

War der Trainerwechsel von Thomas Letsch zu Heiko Butscher auch eine gute Wendung?
Das wird man in den nächsten Wochen ermessen können. Wenn man nach zwei Spielen sagt, der Trainerwechsel habe nichts gebracht, ist das unfair. Heiko Butscher hat nun zwei entscheidende Spiele gewonnen. Also scheint sich die Wendung tatsächlich als gut zu erweisen.

Wie stark waren Sie in die Entlassung des Ende letzte Saison noch als Retter gefeierten Letsch involviert?
Bei einer so gewichtigen Entscheidung müssen alle gleicher Meinung sein und Verantwortung übernehmen. Egal, ob sie nun näher oder weiter vom Sport entfernt sind. Die Verantwortung für einen Trainerwechsel ist nicht teilbar.

Die Trainersuche war ja auch nicht einfach mit den Absagen von Peter Stöger, mit dem alles klar schien, und Stefan Kuntz. Urs Fischer wollte auch nicht.
Es war in der Tat nicht einfach. Aber unsere Erfolgsformel stimmt trotzdem nach wie vor.

Was meinen Sie damit?
Ich bin überzeugt, dass eine Erfolgsformel im Fussball klare Strukturen vorgibt. Ein Verein muss heute berechenbar und verlässlich sein. Nicht nur im Organigramm. Daraus erwächst Vertrauen und daraus wiederum Ruhe, was die Grundvoraussetzung für Kontinuität ist. Dies ist der Erfolgsfaktor Nummer eins im heutigen Fussball. Man kann an den Tabellen ablesen, wo diese Erfolgsformel aufgeht.

Zum Beispiel?
Man nehme Leverkusen und stelle fest: Da ist CEO Fernando Carro, dann Sportchef Simon Rolfes, dann Trainer Xabi Alonso. Ein kleiner, schlagkräftiger «Inner Circle».

Wie in der Schweiz bei YB.
Genau. Deshalb sind die Berner top. Aber es gilt auch bei anderen, wie Lugano oder Winterthur.

Bayern steht doch derart weit über den anderen, dass das Kasperletheater dort egal ist.
Selbst die Bayern können Unruhe nicht permanent wegstecken. Vielmehr muss man den Hut ziehen, dass sie trotzdem so stabil geblieben sind in den letzten drei Saisons. Aber da sieht man wieder, dass sich Finanzkraft relativiert, wenn bei der Konkurrenz trotz geringerem Budget alles zusammenpasst, die Erfolgsformel aufgeht.

Wie stark haben Sie sich mit Ihrem Ex-Klub Leverkusen gefreut?
Stark! Es sind noch viele Mitarbeiter von damals im Klub, die Kontinuität ist gross. Und auch Rudi und Calli sind gefühlt immer noch irgendwo da. Zu ihnen habe ich nach wie vor regelmässig Kontakt. Und zu Fernando Carro habe ich auch ein gutes Verhältnis.

Wie ist das Leverkusen-Märchen zu erklären?
Im Klub stimmte alles. Von der Struktur habe ich schon gesprochen. Dazu kommt ein Top-Coach. Eine Top-Mannschaft. Top-Schlüsselspieler wie Granit Xhaka. Und die diesjährige Mannschaft ist in den Schlüsselmomenten nervenstärker als die damals. Möglicherweise, weil sie lockerer ist, da sie aus einer Verfolgerposition hinter Dortmund und Leipzig starten konnte. Jetzt hoffe ich, dass sich der Kreis schliesst.

Welcher Kreis?
Nun, die letzte Niederlage von Leverkusen war in Bochum. Wir spielen noch gegen sie …

Das Europa-League-Halbfinal-Rückspiel gegen die AS Roma steht an und der Pokalfinal rückt immer näher. Da scheint das nicht unrealistisch. Auch wenn Leverkusen unbezwingbar scheint.
Letzte Saison brauchten wir im letzten Saisonspiel einen Sieg gegen Leverkusen, um drin zu bleiben. Jetzt ist die Aufgabenstellung vielleicht identisch. Das wäre natürlich ein spektakuläres Drehbuch. Doch dafür muss der angesprochene gute Stern verdammt hell leuchten an diesem Tag.

Wie lange läuft Ihr Vertrag noch?
Ein Jahr.

Dann werden Sie sieben Jahre im Ruhrpott tätig gewesen sein. Verlängern Sie? Oder gibts eine neue Challenge?
Die Frage ehrt mich, weil sie nur gestellt wird, wenn man einen guten Job macht. Ich hoffe, ich werde diesem Anspruch auch noch länger als nur ein Jahr gerecht.

Ist eine Rückkehr zu YB ein Thema, sollte Christoph Spycher in die Bundesliga wechseln?
Nein.

Sie arbeiten im EM-Land 2024. Spürt man die Euphorie schon? Immerhin gehts in sechs Wochen los.
Die spürt man. Dank einem Mann: Julian Nagelsmann. Er kam, überlegte kurz und fand die Lösung, wie die ganze Nation seine Message verstehen kann. Und wie er sie hinter sich bringen konnte.

Was war seine Message?
Er steht eigentlich für Komplexität im Fussball. Aber für diese Mission hat er sich neu erfunden und den Fussball vereinfacht. Er nimmt Spieler ins Kader, die nicht zum Establishment gehörten. Frische Spieler. Leute von Heidenheim zum Beispiel. Und er hat transportiert, dass jeder Spieler seine Aufgabe hat und diese bewältigen muss. Sonst ist er draussen. Das haben alle kapiert. Und er hat mit der Rückkehr von Toni Kroos auch alles richtig gemacht. Dazu kommt sein Selbstvertrauen. Nun sehen sich die Deutschen als einen der Favoriten. Nach Ende der Saison wird die Euphorie-Post abgehen!

Holen die Deutschen den Titel?
Den Tipp würde ich abgeben. Dank der machbaren Gruppe werden sie ins Rollen kommen. Und nicht mehr zu stoppen sein.

Machbare Gruppe? Und wir?
Es kommen ja zwei bis drei weiter. Und das schaffen wir. Ich freue mich riesig auf die historische Begegnung gegen Deutschland, für die ich zufällig sogar Tickets habe kaufen können. Und dann geht es darum, auch mal einen Viertelfinal zu überstehen. Nicht nur einen Achtelfinal. Das ist jetzt mutig, so eine Erwartungshaltung zu äussern, das ist mir klar. Als Aussenstehender darf ich das.

Kommt aber darauf an, wer in den Achtelfinals wartet. Das könnte Italien oder Spanien sein.
Ohne Exploit wird man nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Wales hat es 2016 geschafft. Aber dazu muss alles perfekt zusammenpassen.

Woran hapert es denn?
Nehmen wir die WM in Katar. Da gab es Ausfälle, weil angeblich Spieler wegen einer Klimaanlage krank wurden. Beim Qualispiel in Sion gab es ablenkende Diskussionen um die Qualität des Trainingsplatzes. Solche Dinge haben beispielsweise die Österreicher mit dem Perfektionisten Ralf Rangnick in den Griff bekommen, also muss es auch uns gelingen.

Und Sie werden mit dem Schweizer Schal ins Stadion gehen? Oder doch mit einem Bundesadler darauf?
Also bitte. Das ist ja wohl klar …

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