Es ist gegen halb zwei Uhr im dicken Bauch des Berliner Olympiastadions, als das Defilee des Europameisters in der Mixed Zone, der Begegnungszone zwischen Spielern und Journalisten, mehr oder weniger offiziell beendet wird. Dann tanzen nämlich zuerst Dani Olmo (26) und dann Captain Álvaro Morata (31) durch die Gänge. Dabei ist es ohrenbetäubend laut. Der Spielführer scheint auch der DJ zu sein. Jedenfalls hält er den fetten Ghettoblaster in der Hand, aus der eine Technoversion von «Eviva España» dröhnt. Auch bei diesen beiden stand auf dem Rücken der roten Shirts nicht etwa ihr Name, sondern unbescheiden «Reyes de Europa», Könige Europas.
Stehenbleiben und etwas sagen, mögen die beiden nicht. Andere hingegen tun das. Allen voran Mikel Oyarzabal (27), der Europameister-Macher, mit dem man nicht gerechnet hatte. Es sei das Grösste, diesen Titel gewonnen zu haben. Er sei glücklich, gemacht zu haben, was sein Job ist: ein Tor zu erzielen. Es sei aber einfach nur sein Beitrag ans grosse Ganze gewesen. «Denn wir sind in diesen 45 Tagen zu einer Familie geworden.»
Oyarzabal stammt aus Eibar im Baskenland. Seit 2014 kickt er für Real Sociedad San Sebastian. Ein Klub auch aus der autonomen Gemeinschaft Baskenland. In 280 LaLiga-Spielen hat er 76 Mal getroffen. Für Spanien machte er 38 Länderspiele und traf 13-mal. Er stand auch gegen die Schweiz zweimal auf dem Platz: in der Nations League 2020 und im EM-Viertelfinal 2021. Neben der gestrigen Trophäe wurde er spanischer Cupsieger und U21-Europameister.
Offside ist Offside
Natürlich warf sein Siegtor wieder Fragen auf, vor allem aufseiten der Besiegten. Denn nur um Millimeter stand Oyarzabal nach dem Traumpass von Marc Cucurella nicht im Offside. Es ist eine indes unsinnige Diskussion. Entweder man hat und will die Technologie und vertraut ihr – oder man hat sie nicht. Und wenn man sie will, dann gehören knappe Entscheide dazu. Ein Kilometer pro Stunde zu viel auf der Strasse führt auch zu einer Strafe, obwohl das auch nur schwer nachvollziehbar erscheinen mag.
Übrigens: Hätte Bayern 2020 nicht Leroy Sané von Manchester City weglotsen können – Oyarzabal war der nächste Mann auf der Münchner Kandidatenliste.
Die drei aus dem Baskenland
Was Oyarzabal spannend macht, ist seine baskische Herkunft. Denn bei den spanischen Titeln vom 2008 bis 2012 waren es immer Spieler vom Barcelona oder aus Madrid, die die Pokalgaranten waren. Nun sind es neben Oyarzabal sogar zwei weitere aus dem Baskenland: Nico Williams (22), der das erste Tor schoss, und Goalie Unai Simon (27), der mit seiner Parade bei der unfassbaren dreifachen englischen Kopfball-Chance in der letzten Minute gegen Declan Rice auch seinen Beitrag leistete.
Simon stammt aus Vitoria-Gasteiz, der baskischen Hauptstadt, und spielt seit 2015 für Athletic Bilbao, also den Klub, der nur Spieler, die aus den Baskenregionen aus Spanien oder Frankreich stammen oder in dortigen Juniorenvereinen ausgebildet wurden, in seinen Reihen will. Noch massgeblicheren Anteil am EM-Titel hatte Simon im vorweggenommenen Final, also im Viertelfinal gegen Deutschland. Und, ja: Auch uns hat er schon wehgetan. Sehr wehgetan sogar, als er im Penaltyschiessen im EM-Viertelfinal 2021 die Elfer von Manuel Akanji und Fabian Schär hielt.
Willliams geht wohl zu Barça
Der Dritte im Basken-Bunde ist Williams. Im Final bester Mann auf dem Platz. Er stammt aus Pamplona, was nicht im Baskenland liegt, aber Williams wechselt im Alter von elf Jahren zu Athletic Bilbao, wo er fussballerisch ausgebildet wird. Deshalb darf er für die Basken ran, für die er noch heute spielt. Williams nach dem Triumph: «Wir haben gelitten wie Tiere. Aber es hat sich gelohnt. Ich hoffe, einer der Besten in der Saison und in diesem Turnier zu sein.»
Die Hoffnung wird erfüllt! Er war der offizielle Mann des Spiels. Nun darf er sich wohl bald auf eine fette Lohnerhöhung freuen, denn sein Wechsel zu Barcelona scheint beschlossene Sache. Dank der fixen Ausstiegsklausel von 60 Millionen Euro. Doch Barça muss zuerst Spieler verkaufen, damit sich Hansi Flick über sein neues Juwel freuen kann. So wollen es die spanischen Financial-Fairplay-Vorschriften. Und die Katalanen sind hoch verschuldet! Dem Vernehmen nach sollen dies Raphinha (27, Vertrag bis 2027), Ferran Torres (24, 2027) und Ansu Fati (21, 2027) sein. Für einen Mann der Qualitätsstufe Williams wird freigeschaufelt. Man kann es nachvollziehen.