Stéphane Henchoz, Sie spielten 11 Jahre auf der Insel, davon fast sechs in Liverpool und kennen den englischen Sportsgeist. Warum pfiffen die England-Fans im Halbfinal die Hymne von Dänemark aus?
Das hat mich schon auch sehr enttäuscht. Im Normalfall sind die englischen Fans Fussballkenner, stehen für Fairplay. Ich kann es mir nur mit dem sehnlichen Wunsch erklären, in den Final zu kommen. Ein einziges Mal diese Chance zu nutzen. Dass man so den Gegner destabilisieren kann.
Befürchten Sie, dass dies auch gegen Italien passiert?
Ja, die Gefahr besteht, dass am Sonntag wieder ein Teil des Publikums pfeift. Auch wenn jetzt Druck der Uefa nach dem eingeleiteten Verfahren da ist. Aus dem gleichen Grund wie beim Halbfinal: Man will diese einmalige Chance nutzen, Europameister zu werden. Und dafür alles machen, um Italien zu verunsichern.
Auch die Schwalbe von Raheem Sterling in der Verlängerung gegen Dänemark war nicht gerade ein Paradebeispiel für Fairness.
Ich habe viele Jahre in England gespielt. Ich sah Stürmer, die blieben sogar stehen, wenn man ihnen fast beide Beine gebrochen hat. Ich sagte immer, Engländer fallen nie. Aber das war dumm von ihnen. Es gehört zum Spiel-Management, dass man im richtigen Moment auch fällt. Schauen Sie die Italiener an, die fallen immer. Seit Jahren. Beeinflussen den Schiri. Sterling hat das gut gemacht. Endlich habens die Engländer auch gelernt. Wenn Sterling nicht fällt, gibts Penaltyschiessen.
Können Sie das moralisch gutheissen?
Ich sage nicht, dass es gut ist. Ich sage, dass es clever ist und dass es solche Momente braucht, um ein Turnier zu gewinnen.
Wars denn Penalty?
Nein. Ich war mir sicher, dass der Schiri und der VAR ihn zurücknehmen.
Wer gewinnt den Final?
Ich denke und hoffe England. Um Europameister zu werden, muss man pragmatisch spielen. Die Engländer sind geduldig geworden. Oft stand es lange 0:0 und dann schlugen sie zu. Sie wussten, dass ein Tor oft reicht. Die Italiener haben viele dieser Qualitäten auch – aber man spielt im Wembley, das ist ein enormer Vorteil für England.