Ein Junge mit Ball unter dem Arm und der Zehn auf dem Rücken, wie er vor einer riesigen, übermächtig scheinenden Arena steht. Dieses Bild ziert Raheem Sterlings linker Unterarm.
Es zeigt ihn selbst – vor dem Wembley-Stadion, jener Stätte, von der er schon als kleiner Bub aus dem umliegenden Londoner Viertel geträumt hatte. Hier wollte er einst gross rauskommen.
Sein starker, rechter Fuss sollte ihm dabei behilflich sein. Mit diesem schiesst er sich tatsächlich in die Elite des englischen Fussballs. Und mit diesem ist ein zweites, bemerkenswertes Tattoo verbunden. Ein M16-Sturmgewehr, das fast die ganze Länge seines Unterschenkels einnimmt.
Der Hintergrund ist ein trauriger: Als der kleine Raheem zwei Jahre alt ist, wird sein Vater auf den Strassen von Jamaikas Hauptstadt Kingston erschossen. Um die Tragödie zu verarbeiten, hat er sich für die Flucht nach vorne entschieden – für ein Waffen-Tattoo, das ihn immer daran erinnert. «Ich habe mir geschworen, in meinem Leben niemals eine Waffe anzufassen. Ich schiesse mit meinem rechten Fuss», hat er einst erklärt.
Weg von den Strassenbanden
Der Gewalt aus dem Weg zu gehen, ist für den jungen Sterling damals gar nicht so einfach. Das Viertel Wembley im Nordwesten Londons ist nicht gerade die Vorzeigegegend der englischen Hauptstadt. Doch er schleicht sich durch, mit 15 verlässt er den Nachwuchs der Queens Park Rangers und geht zum FC Liverpool. Seine Mutter meint, Raheem «sollte weg aus diesem gewalttätigen Umfeld mit Strassenbanden».
Es ist der Anfang seines steilen Aufstiegs. Bei Liverpool zählt er rasch zu den talentiertesten Flügeln des Landes, heute ist er 26, ein Superstar bei Manchester City und gestandener, 65-facher Nationalspieler.
An dieser EM ist er wohl der wichtigste Akteur im Team der «Three Lions». Drei Turniertore, ein Assist! Dazu hat er mit einem schlitzohrigen Taucher nach minimalem Kontakt auch noch den Penalty im Halbfinal gegen Dänemark, den Harry Kane zum 2:1 verwandelte, herausgeholt (Video oben).
Jetzt steht er im EM-Final – und das Wembley scheint für ihn längst nicht mehr so übermächtig wie früher. Mit einer erneuten Top-Performance und dem Titel würde er seinem Tattoo und dem Viertel alle Ehre machen. (mpe)