Beobachter kritisieren Saudi-WM scharf
«Stirb zuerst – und ich bezahle dich später»

Saudi-Arabien erhält am Mittwoch den Zuschlag für die Fussball-WM 2034. Das Land erreicht derzeit die von der Fifa geforderten Standards bei Menschenrechten nicht. Aber die westlichen Fussballverbände nicken die Wahl ab.
Publiziert: 11.12.2024 um 12:16 Uhr
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Aktualisiert: 11.12.2024 um 14:35 Uhr
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Zwei, die sich verstehen: Prinz Mohammed bin Salman, Machthaber von Saudi-Arabien, und Gianni Infantino, Präsident des Weltfussballverbands Fifa.
Foto: keystone-sda.ch
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Florian RazReporter Fussball

Versprochen war ihm ein Job als Kellner. Gelandet ist er als Lastenträger in einer Fabrik. Anstatt der vorgeschriebenen 8 Stunden arbeitete er 14 Stunden am Tag.

Der Monatslohn von 346 Dollar? Kam entweder gar nicht oder nur mit Verspätung. Als er seinen Arbeitgeber zur Rede stellte, sagte ihm der: «Stirb zuerst – und ich bezahle dich später.»

Diese Geschichte erzählt ein nepalesischer Gastarbeiter in einem Bericht von Human Rights Watch über seine Zeit in Saudi-Arabien. Er ist einer von vielen, der von Lohndiebstahl, Ausbeutung oder gar Zwangsarbeit berichtet.

Kurz bevor die Fifa die Weltmeisterschaft 2034 nach Saudi-Arabien vergibt, melden sich mehrere Menschenrechtsorganisationen. Und üben schwere Kritik am Weltfussballverband, weil der sich zu wenig für Menschenrechte einsetze.

Das Land macht zu wenig gegen Zwangsarbeit und Diskriminierung

Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie. Starker Mann ist Prinz Mohammed bin Salman, dessen Staatssicherheit hart gegen Kritiker vorgeht. Als Gesetz gilt die Scharia, das islamische Recht.

Frauen dürfen nur mit Zustimmung eines männlichen Vormunds heiraten. Weigern sie sich «ohne berechtigten Grund», mit ihrem Ehemann Sex zu haben, können sie ihr Recht auf Unterhalt verlieren. Gleichgeschlechtlicher Sex ist illegal. Gastarbeiter sind durch das Kafala-System von ihren Arbeitgebern abhängig und können die Stelle nicht frei wechseln.

Soeben hat die Internationale Arbeitsorganisation der UNO eine Beschwerde gegen Saudi-Arabien entgegengenommen. Darin wird moniert, das Land gehe ungenügend gegen Zwangsarbeit vor, unternehme zu wenig gegen Lohndiebstahl und Diskriminierung und verbiete Gewerkschaften.

Von der Fifa gabs ein tolles Zeugnis

Freie Medien gibt es nicht. Wer Kritik äussert, muss mit Gefängnis rechnen. Die saudische Menschenrechtsaktivistin Lina al-Hathloul erzählt: «Heute werden Leute verhaftet, wenn sie nur schon auf den sozialen Medien über ihre Arbeitslosigkeit berichten.»

Ihre Schwester Loujain al-Hathloul etwa hat sich gegen das Fahrverbot für Frauen und für das Ende der männlichen Vormundschaft eingesetzt. Sie sass dafür ab 2018 rund drei Jahre im Gefängnis, berichtete von Folter und steht noch heute unter einer Ausreisesperre.

Die Fifa selber hat der saudischen Bewerbung trotzdem ein glänzendes Zeugnis ausgestellt. Von 500 möglichen Punkten gab es 419,8. Die Menschenrechtslage wird dabei als «mittleres Risiko» eingestuft, ist aber nicht in die Punktzahl eingeflossen. Obwohl sich die Fifa selber vorschreibt, dass sie bei der Vergabe von grossen Turnieren grosses Gewicht auf die Menschenrechte legt.

«Sie haben den Plan, einen Plan zu haben»

Wer den Fifa-Bericht liest, kann auf die Idee kommen, dass selbst die Verfasser daran zweifeln, dass Saudi-Arabien die Ziele erreichen kann. «Erhebliche Anstrengungen und viel Zeit» seien nötig, um die vorgeschriebenen Standards zu erreichen.

Auffällig ist, dass in der saudischen Bewerbung kaum konkrete Massnahmen aufgelistet werden. Dafür ganz viele vage Versprechen. So heisst es: «Wir sind bestrebt, diskriminierende Praktiken zu vermeiden.»

Michael Page von Human Rights Watch sagt: «Das Positivste, das wir über die saudischen Behörden sagen können, ist, dass sie den Plan haben, einen Plan zu haben.»

Viele Versprechen – wie in Katar

Mit der Kritik konfrontiert, verweist die Fifa so lange auf den laufenden Prozess. Sie will erst die Abstimmung abwarten. Dabei gibt es keine Zweifel daran, dass Saudi-Arabien 2034 die WM ausrichten wird. Es gibt null Gegenkandidaten. Und die westeuropäischen Fussballverbände, die nach der WM-Vergabe nach Katar noch laut protestiert haben, schweigen.

Auch der Schweizerische Fussballverband wird für Saudi-Arabien stimmen. Sein Präsident Dominique Blanc nennt einen Punkt, der von den Befürwortern immer wieder angeführt wird: Die Endrunde werde dem Land helfen, sich zu reformieren.

Ähnliches wurde auch über die WM in Katar gesagt. Dort kam es tatsächlich zu Reformen des Arbeitsrechts. Wenn auch erst, als die meisten Bauprojekte beendet waren. Heute gelten die modernisierten Gesetze weiterhin, es hapert aber laut Beobachtern bei der Umsetzung.

«Das Regime wird gerne sagen, dass alle Kritiker Rassisten sind»

Ein anderes Argument für eine WM in Saudi-Arabien wurde von Oliver Bierhoff ins Feld geführt. Der ehemalige Manager des deutschen Nationalteams befand, der Westen solle nicht dauernd «mit erhobenem Zeigefinger» durch die Welt laufen und jedem sagen, «was er machen muss».

Lina al-Hathloul, sagt dazu: «Das saudische Regime wird gerne sagen, dass alle westlichen Kritiker an einer WM in Saudi-Arabien Rassisten sind.» Die Anwältin sieht es etwas anders: «Rassistisch ist es, wenn sich der Westen nicht um Gastarbeiter kümmert, weil sie nicht Europäer sind. Rassistisch ist es, wenn die politischen Gefangenen in saudischen Gefängnissen weniger zählen, weil sie Araber sind.»

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