Stellen Sie sich vor: Sie sitzen erstmals in ihrer Formel-1-Karriere in einem konkurrenzfähigen Auto und sind auf Anhieb voll auf Siegeskurs – doch dann werden Sie vom eigenen Team um den grössten Triumph der Karriere gebracht!
Genauso ergeht es George Russell (22) beim Sachir-GP in Bahrain. Der Brite rast als Ersatzmann im Weltmeister-Boliden von Lewis Hamilton (positiver Corona-Test) in der Wüste dem Sensations-Sieg entgegen. Doch dann herrscht an der Box das blanke Chaos: Die Mercedes-Crew bringt es beim Stopp fertig, Russell auf der rechten Seite die Reifen von Teamkollege Valtteri Bottas zu montieren.
Teamchef Toto Wolff tobt nach dem Desaster-GP bei TV-Sender Sky: «Das war einer der kolossalsten Fuck-ups, die wir je hatten!» Die Formel-1-Dominatoren stellen für einmal wie eine Gruppe Amateure an. Wolff: «Als für Valtteri keine Reifen da waren, wussten wir sofort, dass diese am Auto von George drauf sind.»
Funk-Lapsus bei den Mechanikern
Russell muss also nochmals an die Box, das Team korrigiert den Reifen-Patzer. Das Reglement erlaubt nicht, dem Teamkollegen zugeteilte Reifen zu fahren. Doch wie kam es zum Chaos? Auslöser war, dass die Mannschaft von Russell die Information, dass ihr Fahrer demnächst vor Bottas an die Box kommen würde, über Funk nicht verstehen konnte, weil der Fahrer selbst gerade am Funk sprach. Wolff sagt: «Die Jungs auf der rechten Seite haben den Funkspruch nicht gehört. Das darf nicht passieren. Aber es passiert halt auch in unserem Team. Das zeigt, dass Menschen an der Arbeit sind.»
Besonders bitter: Der Boxenstopp während der Safetycar-Phase wäre eigentlich gar nicht zwingend nötig gewesen. Russell hatte seinen Pflicht-Stopp hinter sich und hätte zum Sieg durchfahren können. Doch der geht dem britischen Talent endgültig durch die Lappen, als er nach einer Riesenaufholjagd schon wieder Zweiter ist – dann aber wegen eines Reifenschadens gleich nochmals an die Box muss. Rang 9 statt Rang 1!
Russell fassungslos, Bottas angezählt
Nach dem GP steigt Russell aus seinem Wagen und legt sich fassungslos auf den sandigen Boden. Später schreibt der «Sieger der Herzen» auf Twitter: «Brutal enttäuscht. Absolut brutal enttäuscht. Es sollte heute Abend einfach nicht sein. Aber ich bin stolz auf den Job, den wir da draussen erledigt haben.» Mit «da draussen» meint er aber kaum die Arbeit drinnen an der Mercedes-Box…
Für Enttäuschung sorgte auch der andere Mercedes-Fahrer. Bottas wird von Russell gehörig entzaubert. Das passt Wolff nicht. «Das muss ich mit ihm besprechen», sagt der Teamchef bei Sky, «er hat heute nicht geglänzt. Vielleicht ist die Luft draussen, nachdem die WM verloren ist – ich weiss es nicht.» Im August hat Mercedes den Vertrag mit Bottas «bis mindestens zum Ende der Saison 2021» verlängert.
Aber Mercedes-Junior Russell hat sich für spätestens 2022 im Werksteam aufgedrängt. Wolff: «Es wird nicht sein letzter Versuch sein, ein Rennen zu gewinnen. Es ist nur der Beginn eines Märchens, welches noch nicht geklappt hat. Ich würde sagen: A new star is born.»