«Ergebnisse inakzeptabel»
F1-Urgestein Beat Zehnder spricht Klartext

Seit 26 Jahren arbeitet Beat Zehnder (54) bei Sauber als Formel-1-Teammanager. Aber ein solches Jahr mit einer existenzbedrohenden Krise und einem immensen Aufwand für Geisterrennen hat der Zürcher noch nie erlebt.
Publiziert: 28.07.2020 um 01:23 Uhr
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Beat Zehnder ist seit 26 Jahren bei Sauber tätig.
Foto: Lukas Gorys
Matthias Dubach

Maskenpflicht, keine Fans, einen Haufen Corona-Tests, im Hotel eingesperrt und auf der Strecke langsame Sauber-Autos: Macht Ihnen die Formel 1 so noch Spass?
Beat Zehnder:
Man kann lange lamentieren. Aber es war vor allem wichtig, dass die Formel 1 ein Zeichen setzen konnte. Inklusive Formel 2, Formel 3 und Porsche-Supercup sind mehrere tausend Personen vor Ort. Doch bisher gabs keinen einzigen Corona-Fall, alles läuft reibungslos. Man kann stolz darauf sein, dass wir das überhaupt zum Laufen gebracht haben.

Jetzt müssen nur noch die Sauber-Boliden laufen …
Wir haben dieses Jahr früh realisiert, dass unser Gesamtpaket nicht dem Erhofften entspricht. Wir müssen jetzt besser arbeiten als die Konkurrenz. Unser bisheriges Abschneiden, vor allem in Budapest, ist nicht akzeptabel.

Kimi Räikkönen startete in Ungarn erstmals in seiner Karriere vom letzten Platz. Verleidet ihm so die Formel 1?
Kimi ist ein Racer. Er arbeitet genauso hart wie immer. Natürlich hat er keine Freude, als Letzter loszufahren. Aber das hat niemand im Team. Wir alle wollen uns möglichst rasch verbessern.

Liegts am schwachen Ferrari-Motor?
Es liegt am Gesamtpaket. Was wir noch nicht ganz verstehen, ist der Unterschied zwischen der Quali und dem Rennen. Auf eine Runde bekommen wir das Auto nicht hin, doch bei den schnellsten Rennrunden in Ungarn stehen Giovinazzi an elfter und Kimi an zwölfter Stelle. Da sind wir fähig, sogar auf alten Reifen gute Mittelfeldzeiten zu fahren. In Spielberg wars ähnlich. Wir analysieren intensiv, warum das so ist.

Weil auch 2021 mit den 2020er Autos gefahren wird, droht mit dem C39 auch die nächste Saison bachab zu gehen.
Wir müssen positiv bleiben. Natürlich ist uns bewusst, dass es nun womöglich gleich zwei schwierige Jahre gibt. Aber etwas Entwicklung ist möglich. Man hat für die verschiedenen Technikbereiche eine gewisse Anzahl Token (eine Art Gutschein, d.Red.) zur Verfügung. Die setzt man ein, wenn man etwas abändern will. Auch die Windkanalstunden wurden stark reduziert. Ich bin aber sehr froh, dass sich alle Teams geeinigt haben, die Einführung der neuen Auto-Generation auf 2022 zu verschieben.

Weshalb?
Weil in keinem anderen Bereich eines Teams mehr Einsparungen möglich sind. Zum Glück haben es auch die grossen Rennställe eingesehen, wie stark uns alle die Corona-Krise finanziell trifft. Uns brechen viele Einnahmen weg. Die GP-Promoter verdienen ohne Zuschauer nichts, also bekommen auch wir weniger. Zudem wollen auch das Fernsehen und Sponsoren über Reduktionen reden, weil die Saison erst im Juli startete.

Bedroht die Krise die Existenz von Sauber?
Der Eigentümer (die Investmentfirma Longbow Finance, d.Red.) hat sehr früh signalisiert, dass er gemeinsam mit uns die Krise meistern will. Das war wichtig und gab der Belegschaft viel Sicherheit, dass ihre Jobs nicht bedroht sind.

Sonst wärs zu Entlassungen gekommen?
Man hätte sich mehr Sorgen machen müssen, aber das ist ja in unzähligen KMUs in anderen Sportarten und vielen anderen Wirtschaftszweigen genauso.

Der Bundesrat schnürte ein Millionen-Rettungspaket für den Profisport. Macht Sauber davon Gebrauch?
Bei uns sind ja nur die zwei Fahrer Profisportler, und einer von ihnen lebt im Ausland… (lacht). Wir sind ein KMU mit rund 500 Mitarbeitern, wir haben für alle Firmen der Sauber-Gruppe stufenweise Kurzarbeit beantragt. Das war eine extreme finanzielle Entlastung. Wir waren von Ende März bis 25. Mai in Kurzarbeit und haben seither wieder stufenweise hochgefahren.

Dann erschien der neue Rennkalender und Sie hatten so viel Arbeit wie noch nie.
Der administrative Aufwand ist wahnsinnig gross. Es gibt nicht nur von der F1 und von der FIA viele Auflagen. Sondern auch von den jeweiligen nationalen Gesundheitsbehörden.

Wie gross ist die Angst, dass ein vergessenes Detail grosse Auswirkung haben kann?
Die schwingt bei derart vielen Listen und Formularen immer mit. Und jede neue Info zieht einen Rattenschwanz von Änderungen mit sich. Vergisst man was, führt das vielleicht dazu, dass man nicht ins Land einreisen kann oder dass der Zutritt an die Rennstrecke verboten wird.

Ein Beispiel, bitte!
Beim ersten Rennen in Spielberg waren einige Leute von uns am Mittwoch an der Strecke, am Donnerstag waren sie plötzlich gesperrt. Es hiess, sie seien nicht getestet worden. Es hat mich dann einige Stunden gekostet, das Gegenteil zu beweisen. Aber ich verstehe, dass es Probleme geben kann, wenn Infos über tausende Personen zusammenfliessen und zudem teilweise noch Excel-Listen manuell abgetippt werden.

Sie mussten die vielen Reisen fürs ganze Team neu planen. Haben sie für die Absagen und Verschiebungen von Hotels und Flügen ein Vermögen bezahlt?
Die Stornierungsgebühren belaufen sich auf wenige tausend Franken.

So wenig? Kein Wunder, würde Ihnen BLICK-Formel-1-Legende Roger Benoit gerne den Logistik-Nobelpreis verleihen.
(lacht) Das ist mein Leben, ich mache den Job seit 25 Jahren. Mit der Zeit lernt man schon einige Kniffs kennen. Ohne jahrzehntelange Beziehungen zu Hotels und Fluggesellschaften, wo wir grosse Auftragsvolumen haben, ist das natürlich nicht möglich. Seit 2002 habe ich in den Hotelverträgen aber sowieso auch Pandemien als höhere Gewalt mit drin.

Sie organisieren auch die Corona-Testerei im Team. Wie oft wird getestet?
Am Mittwoch und Sonntag. Den Mittwoch habe ich eingerichtet, um genug Zeit für Nachtests zu haben. Denn rund 5 Prozent enden im Labor ohne schlüssiges Resultat, also weder negativ noch positiv. Der Aufwand ist massiv. Aber er lohnt sich. Denn wir können Rennen fahren.

Zu den vielen Tests kommt das strikte Leben in der Blase.
Das ist eine riesige Herausforderung. Drei Wochen am Stück zu arbeiten und nur zwischen Hotel und Strecke zu pendeln, kannten wir bisher nicht. Gegen den Lagerkoller haben wir in Spielberg einen Tag mit Aktivitäten wie Kart-Fahren, Badminton oder Segway-Touren organisiert. Alles in den Kleingruppen, die auch sonst zusammen ist.

Was, wenn sich trotzdem jemand mit Covid-19 ansteckt?
Früher oder später werden wir in der Formel 1 einen positiven Fall haben. Ich hoffe, nicht bei uns. Das ist reine Wahrscheinlichkeitsrechnung, denn wir haben ja Kontakte, vor allem an den Flughäfen, wo wir für uns eine Maskenpflicht gemacht haben. Wir fliegen jetzt mit eigenen Charter-Fliegern. Das kostet zwar mehr Geld, aber wir wollen die Kontakte zur Aussenwelt minimieren.

Aber nun waren die Mechaniker und Ingenieure eine Woche daheim. Galt für sie ein Ausgangsverbot?
Ich kann und will ja nicht wie im Schullager alles kontrollieren. Es wäre fahrlässig, wenn sich einer nicht an die Spielregeln halten würde und deshalb positiv getestet wird. Aber ich habe vollstes Vertrauen in unsere Leute, wir haben stark für das Thema sensibilisiert.

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