Als der finnische Schiedsrichter Mikko Kaukokari keine Anstalten machte, seinem Wunsch nachzukommen und die Uhr zu überprüfen, verzog sich das Gesicht von Marc Crawford zur Fratze. Und er brüllte: «Verdammt, du hast alles für die getan, du Schw***lutscher, komm schon!» Die schwulenfeindliche, verbale Entgleisung bei der 2:3-Pleite gegen Biel vom Mittwoch hatte Konsequenzen: Der ZSC-Coach wurde vorsorglich für das gestrige Spiel gegen die SCRJ Lakers gesperrt.
Darüber, dass der 62-Jährige «eine rote Linie überschritten» hatte, wie es Liga-Direktor Denis Vaucher nannte, gibt es kaum zwei Meinungen. Lions-CEO Peter Zahner sagt: «Da gibt es nichts zu beschönigen. Crawford ist einsichtig und hat sich bei den nötigen Stellen entschuldigt, intern und extern.» Der Kanadier selbst reagierte nicht auf eine Anfrage.
Wer schon mit Crawford gesprochen hat und sieht, wie er an der Bande ausflippt, hat Mühe zu glauben, dass es sich dabei um dieselbe Person handelt. Man fühlt sich an den mehrfach verfilmten Klassiker «Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde» von Robert Louis Stevenson aus dem Jahr 1886 erinnert. Crawford verwandelt sich zwar nicht wie der Arzt Dr. Jekyll in eine mörderische Figur, doch auch er hat zwei Gesichter.
«Die anständigste vulgäre Person»
Während er an der Bande oder in der Kabine zum primitiven Wüterich werden kann, ist er abseits der Wettkampf-Atmosphäre ein kultivierter Mensch. Der Sohn eines Farmers ist charmant und humorvoll. Er spricht mit weicher, sanfter Stimme, als würde er seine Worte in Samt hüllen, interessiert sich für Land und Leute. Über Kinofilme könnte er stundenlang sprechen. Zu seinem Favoriten zählen das US-Drama «The Shawshank Redemption», «The Sound of Music» mit Julie Andrews oder «Einer flog über das Kuckucksnest» mit Jack Nicholson. Seine Mutter hatte ihn schon als Jungen für Filme begeistert. Im Kinosaal fliessen bei ihm durchaus mal Tränen.
Seine gute Seite zeigte Crawford vor einigen Jahren, als er sich für einen «Roast» zur Verfügung stellte und damit 36’000 Dollar für ein Zentrum missbrauchter Kinder gesammelt wurden. Bei diesem Anlass durften Leute aus der Hockey-Szene über ihn herziehen und Scherze auf Kosten des zweifachen Vaters machen. Der ehemalige SCB- und damalige Ottawa-Coach Guy Boucher sagte über seinen Assistenten: «Wenn er mit Schiedsrichtern spricht, sind sie so zuvorkommend zu ihm. Dann realisiere ich, dass er die anständigste vulgäre Person ist, die ich je gesehen habe.»
Die vulgäre Seite Crawfords? Das ist jene des Mannes, der Schiedsrichter beschimpft, die Kontrolle verliert. Jene des Trainers, dem sämtliche Sicherungen durchbrennen, wenn seine Mannschaft verliert.
Er soll Spieler aufgeheizt, getreten und gewürgt haben
Aus seiner Zeit in der NHL, wo er wie in Zürich (2014) den Meistertitel (mit Colorado 1996) holte, gibt es mehrere unwürdige Beispiele. Da war der Fall aus dem Jahr 2004, als Vancouver-Stürmer Todd Bertuzzi Colorados Steve Moore brutal niederstreckte, nachdem ihn Crawford («Er muss den Preis bezahlen») aufgeheizt haben soll. Und ehemalige Spieler erhoben 2019 gravierende Vorwürfe aus den Jahren 2006–08, als er in Los Angeles an der Bande stand. Er soll Spieler auf der Bank getreten haben. Und Verteidiger Brent Sopel erklärte, der Coach habe ihn gewürgt und verbal erniedrigt.
Crawford wurde darauf als Assistenztrainer in Chicago zwischenzeitlich suspendiert, ehe er sich öffentlich entschuldigte: Er sei zu weit gegangen und habe «inakzeptable Wörter» verwendet. Crawford begab sich in Therapie. Er suchte das Gespräch mit seinen Opfern, um Wiedergutmachung zu leisten. «Es war nie böse Absicht. Es ging darum, Spieler zu motivieren. Aber was ich für einen geeigneten Tonfall halte, ist für jemand anderen vielleicht nicht okay. Das musste ich erst lernen. Und ja, ich denke, ich bin milder geworden», sagte Crawford, als er nach Weihnachten zu den Lions zurückkehrte. «Die Zeit der Diktatoren ist lange vorbei.»
Aus seiner ersten Zeit in Zürich von 2012 bis 16 sind zumindest keine gravierenden Vorwürfe an die Öffentlichkeit gedrungen. Doch Crawford drehte auch damals mehrfach im roten Bereich. Dabei war die legendäre Episode in den Playoffs 2015 mit Kevin Schläpfer verhältnismässig amüsant, als er dem Biel-Coach zurief: «Hey, schau dich doch an, Hollywood!»
«Alle hassen ihn», sagte ein Spieler 2016
Nach Niederlagen flogen Gegenstände. Er fluchte, dass niemand auf die Idee kam, dass er einst bei Nonnen in der katholischen Schule gelernt hatte. Er wütete in der Kabine und im Trainerbüro und mochte sich kaum mehr beruhigen, ehe er sich dann doch wieder gefasst vor die wartenden Medienleute stellte und mit sanfter Stimme und Kalkül sprach.
Doch beim grossen Teil der Mannschaft war er am Schluss damals unten durch. So sagte ein Spieler auf dem Weg zum peinlichen 0:4-Out des Quali-Siegers gegen den SCB: «Alle hassen ihn.» Und auch CEO Peter Zahner war nicht mehr gut auf ihn zu sprechen.
Sechseinhalb Jahre später hatte man in Zürich alles vergessen. Man erinnerte sich vor allem an «Dr. Jekyll» Crawford, an das gute Eishockey, das unter ihm gespielt wurde, den Meistertitel und den Cupsieg sowie an die jungen Spieler, die er gefördert hatte. Und die Mannschaft wollte ausdrücklich einen Trainer, der ihr sagt, was sie zu tun hat und was sie falsch macht. Das macht der Kanadier. Und zwar nicht nur leise, wie Spieler berichten.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | HC Davos | 29 | 31 | 57 | |
2 | ZSC Lions | 26 | 31 | 55 | |
3 | Lausanne HC | 28 | 2 | 50 | |
4 | SC Bern | 28 | 18 | 49 | |
5 | EHC Kloten | 29 | -5 | 47 | |
6 | EV Zug | 28 | 19 | 46 | |
7 | EHC Biel | 28 | 4 | 40 | |
8 | HC Ambri-Piotta | 28 | -11 | 39 | |
9 | HC Fribourg-Gottéron | 29 | -6 | 39 | |
10 | SCL Tigers | 27 | 1 | 38 | |
11 | Genève-Servette HC | 26 | 1 | 36 | |
12 | HC Lugano | 27 | -22 | 33 | |
13 | SC Rapperswil-Jona Lakers | 29 | -20 | 33 | |
14 | HC Ajoie | 28 | -43 | 23 |