Es ist noch nicht lange her, dass sich die Fans in Vancouver Papiersäcke über den Kopf stülpten, um die Darbietungen ihres Teams nicht sehen zu müssen, ihren betrübten Gesichtsausdruck zu verbergen oder zu protestieren. Und der Schweizer Pius Suter (27) musste sich vor der Saison von einem vorwitzigen Journalisten aus der Schweiz die Bemerkung gefallen lassen, dass er nach Chicago und Detroit erneut bei einem Team gelandet sei, bei dem er nicht so schnell den Stanley Cup gewinnen könne.
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«Man weiss es nie», sagte Suter damals schelmisch. Doch man kann davon ausgehen, dass auch er nicht damit gerechnet hat, dass die Canucks an die Spitze der Liga stürmen würden. Und doch steht Vancouver derzeit punktgleich hinter den Winnipeg Jets von Nino Niederreiter (31) zuoberst in den NHL-Standings.
Während nur ganz wenige die Canucks und die Jets vor der Saison auf der Rechnung hatten, zählen die Wettbüros nun beide zu den Mitfavoriten auf den Meistertitel.
Trainer kamen aus der Wüste
Sowohl Canucks als Jets fanden ihr Glück in der Wüste. Vancouver verpflichtete im Januar 2022 den langjährigen Coach der Arizona Coyotes, den ehemaligen Powerstürmer Rick Tocchet (59). Und Winnipeg holte sich einige Monate später Rick Bowness (68), der sich in Arizona dem Golfen und dem Vorruhestand widmete und die Anrufe von Jets-General-Manager Kevin Cheveldayoff zunächst ignorierte.
Als er sich dann durchrang, die Jets zu übernehmen, sagte er, dass nur ein Klub mit «guten Leuten» und einer starken Mannschaft für ihn infrage gekommen sei. Winnipeg hatte zwar schon lange über gute Spieler verfügt. Doch an der Einstellung und der Bereitschaft, Top-Goalie Connor Hellebuyck zu unterstützen, mangelte es.
Zügig setzte Bowness Captain Blake Wheeler, dem der Ruf des Stinkstiefels anhaftete, ab. Im letzten Juni zahlten die Jets den Stürmer dann aus – er spielt inzwischen für die New York Rangers. Mit der Verpflichtung von Niederreiter, den er schon lange im Auge hatte, stellte GM Cheveldayoff vor bald einem Jahr sicher, dass es Bowness mit einem weiteren Spieler der Kategorie «gute Leute» zu tun bekam. Wie zufrieden man mit dem Churer ist, zeigte die Verlängerung seines Vertrages um zwei Saisons mit einem Jahressalär von 4 Millionen Dollar.
Statistik-Jünger verweisen auf «Puck-Glück»
Unter Bowness haben die Jets die Balance zwischen Offensive und Defensive gefunden. Niemand bekommt weniger Gegentore (2,28 im Schnitt).
Die Canucks sind derweil offensiv das beste Team (3,82 pro Spiel). Wie die Jets (3,33), bei denen der Ex-Bieler Nikolaj Ehlers 15-mal und Niederreiter 12-mal getroffen haben, profitieren sie von einer grossen Tiefe im Kader. Getragen werden sie von drei hochtalentierten Spielern: Center Elias Pettersson (25, Sd), Offensivverteidiger Quinn Hughes, der mit 24 bereits Captain ist, und Goalie Thatcher Demko (28, beide USA).
Zudem sind der vielseitige Suter (8 Tore) und seine Kollegen überdurchschnittlich abschlussstark. 13,52 Prozent aller Schüsse aufs Tor landeten im Netz.
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Sowohl Canucks als Jets profitieren auch von dem, was Statistik-Jünger «Puck Luck» nennen. Dieses will man bestimmen können, indem man die Abwehrquote der Goalies und die Trefferquote zum sogenannten PDO addiert. Auch in dieser Kategorie sind Vancouver (105,1 %) und Winnipeg (102,8 %) Liga-Spitze. Wer Demko und Helleybuck im Tor hat und gleichzeitig gut schiesst, muss sich aber kaum allein aufs Glück verlassen.
Mit einem Vorsprung von 15 Punkten auf die Zone der Früh-zum-Golfen-Teams sollten die beiden kanadischen Überraschungsteams zumindest den Einzug in die Playoffs schaffen. Und vielleicht ist dann noch mehr drin. Man weiss es nie.