Hat die Nationalbank die Krise bei der Credit Suisse gut gemeistert? «Nein, hat sie nicht», sagt der emeritierte Bankenprofessor Hans Geiger. Und die Basler Professorin und Bankenexpertin Monika Roth findet, dass die Notenbank unter der Führung von Thomas Jordan «erstaunlich naiv» und «wenig alert» gehandelt habe.
Tatsächlich: Blättert man durch die jüngste Publikation der Nationalbank, den 46-seitigen Bericht zur Finanzstabilität, erhält man den Eindruck, dass die obersten Finanzwächter die Probleme der Credit Suisse nicht auf dem Radar hatten. Lakonisch hält der am Donnerstag publizierte Bericht fest: «Die Ursache der Krise der Credit Suisse war nicht ein makroökonomischer Schock, wie er in den Stressszenarien der SNB angenommen wird.»
Mehr zum Credit-Suisse-Debakel
Dass die Bank an einer tiefen Vertrauenskrise zugrunde gehen könnte, lag offenbar ausserhalb des Vorstellungsrahmens der Nationalbank. Im Blick hatten die Aufseher Kennzahlen wie die Eigenkapitalquote und die Liquidität, die sich bis zuletzt stets im grünen Bereich befanden. Im Nachhinein stellt die SNB verwundert fest: Die Einhaltung der Eigenmittelvorschriften sei zwar notwendig, «aber nicht hinreichend, um das Vertrauen in eine Bank zu gewährleisten».
Oberaufseher verhielten sich passiv
Der Bericht analysiert präzise, wie die Bank zuerst die Erträge und dann das Vertrauen der Märkte und der Kunden verlor, was schliesslich zum Bank Run führte. Doch vor bald einem Jahr, als das Drama seinen Lauf nahm, verhielt sich die Nationalbank passiv. SNB-Präsident Thomas Jordan und sein Vize Martin Schlegel unternahmen nichts, um der CS bei einem drohenden Liquiditätsproblem frühzeitig unter die Arme zu greifen. Selbst im Oktober, als die Kunden bereits massiv Gelder abzogen, verhielten sich die Oberaufseher passiv.
Als sich die Krise Mitte März massiv zuspitzte, war die Nationalbank völlig unvorbereitet. Der gesetzliche Rahmen für die massiven Liquiditätshilfen, der sogenannte Public Liquidity Backstop, musste per Notrecht eingeführt werden. Hätten Thomas Jordan und Martin Schlegel die Vertrauenskrise antizipiert, hätten sie das entsprechende Instrumentarium gemeinsam mit dem Bund schon Monate vorher vorbereiten können.
Hildebrand – der Architekt der Rettung
«Spätestens im Oktober 2022 hätte die SNB reagieren müssen», sagt Bankenprofessor Geiger. Doch die Spitze der Notenbank habe «offensichtlich kein Verständnis vom Bankgeschäft», sagt er. Geiger ist überzeugt: «Mit Philipp Hildebrand wäre das nicht passiert.»
Dieser war von 2002 bis 2012 im Direktorium der SNB, die letzten zwei Jahre als Präsident, bevor er zurücktreten musste. Von 2007 bis 2009 leitete er das sogenannte II. Departement, das für die Finanzstabilität zuständig ist. Er war damals also in der gleichen Rolle wie Martin Schlegel heute.
Hildebrand, der heute bei Blackrock arbeitet, gilt als Architekt der UBS-Rettung von 2008. Auf eigene Initiative trommelte er die entscheidenden Leute zusammen und bereitete in geheimen Sitzungen die Rettung der Grossbank vor. Hildebrand und der damalige Chef der Bankenkommission, Daniel Zuberbühler, trafen sich an den verschiedensten Orten, um die geplante Rettung geheim zu halten, auch vor der USB.
«Wir sind da für die Ewigkeit»
Als Lehman Brothers im 15. September 2008 zusammenbrach, war die Krisengruppe bereit und legte einen Plan auf den Tisch, der die Grossbank vor dem sicheren Untergang bewahrte. Die SNB kaufte der UBS ihre illiquiden Hypothekenpapiere im Umfang von über 30 Milliarden Franken ab. Als SNB-Präsident Jean-Pierre Roth am 16. Oktober 2008 vor die Medien trat und das Rettungspaket verkündete, sagte er die legendären Worte: «Wir sind da für die Ewigkeit.» Roths Worte hatten nötig Gewicht, um das Vertrauen wiederherzustellen.
Von Thomas Jordan kamen keine vertrauensbildenden Worte. Ist es die fehlende Weitsicht, die man in Krisenzeiten braucht? Ist es das fehlende Verständnis für das Bankgeschäft, wie Geiger sagt? Jordan sei zwar ein hervorragender Geldtheoretiker, der virtuos mit den Instrumenten der Geldpolitik spielen könne. Als Notenbanker sei er aber auch für die Finanzstabilität zuständig, wo ein tiefes Verständnis der Finanzmärkte und ihrer Akteure wichtig sei. In dieser Disziplin habe er versagt.
Philipp Hildebrand arbeitete in drei verschiedenen Finanzinstituten, bevor er von Bruno Gehrig – ebenfalls ein Notenbanker mit praktischer Erfahrung – zur Nationalbank geholt wurde. Der Geldtheoretiker und Professor Thomas Jordan hingegen hat noch nie in einer Bank gearbeitet. Er und sein Vize Schlegel sind direkt von der Universität zur Nationalbank gekommen und haben nie etwas anderes gesehen. Jordan ist seit 26 Jahren bei der SNB, Schlegel seit 20 Jahren.
Im Direktorium der Nationalbank ist derzeit eine Stelle vakant. Die Nachfolge von Andréa Maechler ist noch offen. Laut Geiger wäre es von Vorteil, wenn eine Kandidatin oder ein Kandidat praktische Erfahrung aus dem Bankgeschäft mitbringen würde. «Warum nicht Zeno Staub, den langjährigen CEO von Vontobel?» Der wolle zwar in die Politik, wäre aber ein hervorragender Ersatz. «Oder von mir aus Alain Berset», sagt Geiger. Das sind Leute, die Probleme lösen können und sich nicht scheuen, auch mal zum Telefonhörer zu greifen.
* Der Journalist Beat Schmid schreibt im SonntagsBlick über Finanzthemen. Er ist Herausgeber des Onlinemediums tippinpoint.ch