Auf einen Blick
- Immer mehr Jugendliche gehen ins Fitnessstudio
- Drei Gymnasiasten teilen ihre Erfahrungen mit Krafttraining und sozialen Medien
- 1,31 Millionen Schweizer waren 2023 Mitglied in einem Fitnesscenter
Charlies Adern treten dunkelblau hervor. In jeder Hand hält er eine Hantel à 12 Kilo. Er verzieht das Gesicht, beugt den Arm und führt die Hantel kontrolliert nach oben. «Komm, noch eine Wiederholung», feuert Ronnie ihn freundlich, aber bestimmt an. Mit zwei Fingern hebt er eine der Hanteln leicht an. «Gut gemacht, das waren zehn.»
Es ist Samstagnachmittag in einem Fitnessstudio im Zürcher Oberland. Für Charlie (18), Ronnie (17) und Luca (17) stehen heute Arme auf dem Programm. Der Freihantelbereich ist praktisch leer, neben den drei Jugendlichen trainieren nur zwei weitere Männer. Einer der beiden kennt Ronnie. «Amigo, du schaust gut aus», sagt er und gibt ihm zur Begrüssung einen Handschlag.
Schulgym zu voll
Ronnie, Charlie und Luca besuchen dasselbe Gymnasium. Luca war der Erste, den das Fitnessfieber gepackt hat: «Als ich 14 war, habe ich meine Eltern belagert, dass sie mir ein Fitnessabo zahlen.» Ronnie fing mit 16 mit dem Krafttraining an, genauso wie Charlie. Er sagt: «Vorher habe ich im Schulgym trainiert, aber das war mega überfüllt, deshalb bin ich hierhergekommen.»
Die drei sind nicht allein mit ihrem Hobby. Krafttraining wird hierzulande immer beliebter. Dass die Menschen sich nicht nur im Januar ein Fitnessabo als Neujahrsvorsatz lösen, zeigen Zahlen von Swiss Active, einem Branchenverband der Schweizer Fitnessanbieter. Mit der Ausnahme eines leichten Rückgangs während Corona verzeichnen Schweizer Fitnessstudios nämlich seit Jahren Zuwachs. 2023 waren 1,31 Millionen Menschen Mitglied in einem Fitnesscenter – 13 Prozent mehr als noch 2022.
Immer mehr Jugendliche gehen ins Gym
Und auch immer mehr Jugendliche greifen zu den Hanteln. Vor drei Jahren machten die unter 20-Jährigen noch rund 7 Prozent der Mitglieder aus. 2023 waren es 10,6 Prozent. Auch bei Active Fitness, der grössten Fitnesskette der Schweiz, heisst es auf Anfrage, dass die Zahl der jugendlichen Trainierenden in den letzten Jahren stetig zugenommen habe. Man beobachte bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Trend hin zu einem «Health-Style». Und auch Swiss-Active-Präsident Marcus Schwedhelm sagt: «Es ist grundsätzlich festzustellen, dass ein Fitnessabo für die jüngeren Generationen mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit geworden zu sein scheint und zum gesunden Lifestyle dazugehört.»
Charlie, Ronnie und Luca sind drei- bis viermal in der Woche im Fitnessstudio. Ronnie manchmal sogar siebenmal – «ich bin nicht der Normalfall», wirft er ein. Dabei geht es nicht nur um den Sport, sondern auch um das Soziale. Oft trainieren sie zusammen, bleiben zwei Stunden, oder länger, und reden viel, sagt Luca. Auch Charlie kommt ungern allein ins Fitnessstudio: «Ich komme auch hierher, um Freunde zu treffen. Zusammen ist die Atmosphäre viel besser.»
Die drei unterhalten sich vor allem zwischen den Übungen. Wenn sie einander nicht gerade anfeuern, hören sie Musik. Um den Hals tragen alle grosse Kopfhörer, die sie aufsetzen, sobald sie mit einer Übung beginnen. Ronnie zückt sein Handy und zeigt, welches Lied er gerade hört. Aus den Kopfhörern tönt «Poker Face» von Lady Gaga. Luca schüttelt nur den Kopf. Er hört am liebsten Hip-Hop.
Ronnie sitzt mittlerweile auf einer Bank, den Oberkörper über ein Polster gelehnt. In den Händen hält er eine Langhantel. Preacher Curls nennt sich die Übung. Die Challenge: Drop Sets. Also mit dem Gewicht immer weiter heruntergehen und so viele Wiederholungen machen, bis man nicht mehr kann. «Ich hätte mit 20 Kilo angefangen», sagt Luca – Ronnie hat 35 genommen. «Ich habe halt ein grosses Ego», sagt dieser halb ernst.
Kein Konkurrenzkampf
Ob sie sich als Konkurrenten sehen? Sie lachen. «Klar schaut man aufeinander und vergleicht sich», sagt Charlie. «Aber das ändert nichts an unserem Verhältnis.» «Wir motivieren uns gegenseitig», fügt Ronnie hinzu. Luca pflichtet ihm bei: «Ronnie stemmt zwar am meisten Gewicht, aber ich bin nicht neidisch. Im Gegenteil – es spornt mich an, genauso viel zu schaffen.»
«Ich habe ambitionierte Ziele», sagt Ronnie. «Ich will Muskeln zulegen und besser aussehen.» Das deckt sich mit einer Befragung von Gesundheitsförderung Schweiz zum Körperbild von Jugendlichen. Während bei den Mädchen das Gewicht im Vordergrund stand, gaben 77 Prozent der Knaben an, dass sie mehr Muskeln wollen.
Soziale Medien und Körperideale
Dass der Druck auf Männer immer grösser wird, einem gewissen Körperideal zu entsprechen, beobachtet auch Roland Müller, Fitnesstrainer und Fachpsychologe für Psychotherapie bei der Fachstelle PEP, die sich für die Prävention von Essverhaltensstörungen, Adipositas und Fitnesssucht einsetzt. «Besonders betroffen sind junge Männer», sagt Müller. Er verweist auf Studien des US-amerikanischen Psychiatrieprofessors Harrison Pope. Laut ihm empfinden ältere Generationen weniger Unzufriedenheit mit ihrem Körperbild als jüngere, da sie seltener mit idealisierten Körpernormen konfrontiert werden.
Dabei spielen vor allem die sozialen Medien eine Rolle. «Zum Fitnesslifestyle gehört es dazu, Inhalte von Fitness-Influencern zu konsumieren», sagt Moritz Engel. Er forscht an der Universität Bern zu der Thematik Körperbild, Körperwahrnehmung und Social Media im Jugendkontext. Zwar können diese inspirierend wirken, aber eben auch einen negativen Effekt auf das Körperbild von Jugendlichen haben.
IMAGE-ERROR (inline_Image_6420766353528370879)Dieses Phänomen kennen auch die drei Jugendlichen, denn auf Plattformen wie Youtube, Tiktok oder Instagram ist eine ganze Industrie rund um den Körperkult entstanden. «Wenn ich einen neuen Trainingsplan brauche, schaue ich mir ein Video von Jeff Nippard an», sagt Luca. «Das ist einer der wenigen, der keine Steroide nimmt», fügt Ronnie hinzu.
Viele Fitness-Influencer geben zwar mittlerweile offen zu, wenn sie Steroide verwenden. Dennoch fördern sie weiterhin unrealistische Körperideale. «Das erzeugt enormen Druck, weil viele glauben, selbst Steroide nehmen zu müssen, um ein ähnliches Aussehen zu erreichen», erklärt Ronnie. Er, Charlie und Luca setzen ausschliesslich auf Proteinpulver und -riegel. Dennoch kennen sie mehr als eine Handvoll Menschen, die zu Anabolika greifen. Ronnie: «Der jüngste Fall, den ich kenne, ist ein 14-Jähriger, der bereits Steroide verwendet.»
Charlie meint, es sei schön, einen muskulösen Körper zu haben, fügt aber hinzu: «Wenn das nur mit Steroiden möglich ist, möchte ich das nicht.» Luca stimmt zu und sagt: «Ich finde solche Körper unglaublich faszinierend, aber für mich sind sie eher wie abstrakte Kunstwerke. Bodybuilding wäre nichts für mich.» Mittlerweile hat er Tiktok von seinem Handy gelöscht. Auch Ronnie beschreibt den Einfluss sozialer Medien: «Es entsteht definitiv ein gewisser Druck. Irgendwann sieht man nur noch diese extremen Bodybuilder-Körper. Das kann einen schon runterziehen. Unterbewusst hat das sicher einen Effekt auf die eigene Körperwahrnehmung.»
Muskeln und Selbstbewusstsein
Trotzdem: Sowohl Sportwissenschaftler Moritz Engel als auch Fitnesstrainer und Psychologe Roland Müller betonen, dass Krafttraining grundsätzlich gesund ist – auch im Jugendalter. Annahmen, dass Krafttraining bei jungen Menschen unwirksam ist oder das Wachstum hemmt, sind mittlerweile widerlegt worden. Studien zeigen auch, dass Krafttraining auch auf die psychische Gesundheit einen positiven Einfluss hat.
Er sei früher scheu und zurückhaltend gewesen, erklärt Ronnie. Mit dem Trainieren hat er angefangen, um Selbstbewusstsein aufzubauen. «Es hilft mega, wenn man sich wohler fühlt im eigenen Körper.» Auch Charlie findet, dass Trainieren selbstbewusster macht. «Und man fühlt sich danach besser, als wenn man nur zu Hause rumgehangen und nichts gemacht hätte.»
«Machen wir noch Trizeps, Jungs?», fragt Ronnie. «Ich würde lieber Schultern machen», sagt Luca. Schere, Stein, Papier entscheidet: Der Trizeps wird trainiert. Nach dem letzten Satz klopft Ronnie Luca auf den Rücken. «Gut gemacht, du hast es geschafft.»