Sie sind Amerikaner. Wer macht die bessere Klimapolitik, die USA oder die Schweiz?
Anthony Patt: Das ist eine schwierige Frage, weil praktisch jeder Bundesstaat in den USA eine eigene Klimapolitik hat. Aber: Die Klimapolitik in Kalifornien ist meiner Meinung nach die wahrscheinlich beste der Welt.
Warum?
Kalifornien hat sich klare Ziele gesetzt und setzt in vielen Sektoren auf Technologie. Dort sehen die Leute den Klimawandel – aus meiner Sicht richtigerweise – vor allem als Technologie-Problem und den Wandel als Gewinn. Das hilft der Politik.
Und was ist mit der Schweiz?
Die Schweiz ist im Stromsektor gut unterwegs. Dort sind wir dank der Berge praktisch kohlenstofffrei. Aber sonst hat man noch ziemlich wenig gemacht.
Trotzdem beendet Umweltministerin Simonetta Sommaruga jetzt die Zusammenarbeit mit dem beratenden Organ in Fragen der Klimaänderung (OcCC).
Das Organ besteht vor allem aus Naturwissenschaftlern, die sagen können, was es braucht, um den Klimawandel einzudämmen. Das war in einer Zeit sinnvoll, in der wir uns Ziele setzen mussten. Jetzt müssen wir herausfinden, wie wir diese erreichen. Und welche Massnahmen politisch mehrheitsfähig sind.
Da kommen Sie ins Spiel. Als Experte in Klimapolitik haben Sie Sommaruga auf ihren Wunsch hin Vorschläge unterbreitet.
Sommaruga holt sich die Meinungen von verschiedenen Fachpersonen ein, um zu entscheiden, welcher Weg der beste ist. Ich denke, mich hat sie angefragt, weil ich einer jener Wissenschaftler bin, die am Nutzen von Lenkungsabgaben zweifeln.
Ökonominnen und Ökonomen sind aber davon überzeugt.
Ja, aber oft werden politische Faktoren dabei ausser Acht gelassen. Bringt man diese ins Spiel, merkt man, dass Preissignale im Vergleich zu anderen Massnahmen wenig bringen. Ein gutes Beispiel sind Elektroautos.
Erklären Sie!
Allein in den letzten fünf Jahren sind die Batterien für E-Autos um rund 80 Prozent günstiger geworden. Das bringt ihnen einen Marktvorteil gegenüber Verbrennungsmotoren. Trotzdem kaufen jetzt nicht alle E-Autos. Viele Leute haben zu Hause keine Lademöglichkeit oder sie fragen sich, ob es an den Autobahnen genügend Schnellladestationen gibt. Es sind also nicht nur die Preise, die mitspielen. Ein Ausbau der Infrastruktur würde die Transformation in der Mobilität viel schneller beschleunigen als Lenkungsabgaben.
Aber das ist doch viel teurer und aufwendiger.
Natürlich würde uns das am Anfang etwas kosten. Aber würden wir beispielsweise jedes Auto in der Stadt Zürich durch ein E-Auto ersetzen, hätten wir hier auch weniger Luftverschmutzung. Die dadurch eingesparten Gesundheitskosten wären nach unseren Berechnungen höher als jene für den Bau der Ladestationen. Weitere wirksame Instrumente sind zum Beispiel Quoten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Synthetisches Kerosin ist aktuell zehnmal so teuer wie fossiles. Investieren wir aber heute und bauen Anlagen für die Herstellung, könnten wir in 20 Jahren klimaneutral fliegen. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, dass Firmen investieren? Mit einem sehr hohen Preis auf CO2 würden die Preise für alternatives Kerosin sehr schnell fallen. Aber eine Zeit lang wäre Fliegen zwei-, dreimal teurer als heute – das ist politisch nicht durchsetzbar.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Denkbar wäre eine Strategie, die auch im Stromsektor für die Förderung von Fotovoltaik genutzt wird. Man führt eine kaum merkbare Preiserhöhung auf das Fliegen insgesamt ein und kriegt dadurch eine Menge Geld, das in die Herstellung von erneuerbarem Kerosin fliesst. Das ist viel einfacher durchsetzbar, als den fossilen Treibstoff so stark zu besteuern, dass er teurer wird als synthetischer.
Ein Instrument, das die EU wie auch die Schweiz für den Flugsektor vorschlagen, ist die sogenannte Beimischquote.
Dabei schreibt der Staat den Treibstofflieferanten einen Mindestanteil an Kerosin vor, der aus erneuerbaren Quellen kommen muss. Die Firmen kaufen also einen kleinen Teil des Kerosins auf dem erneuerbaren Markt mit höheren Preisen ein, den Rest auf dem fossilen mit tieferen Preisen. Für den Verbraucher bedeutet das am Schluss nur eine sehr kleine Preiserhöhung. Dieses Modell wird auch von der Flugbranche unterstützt.
So wird es aber dauern, bis wir wirklich klimaneutral fliegen.
Ja, so braucht es 20 Jahre, bis wir so viel Solaranlagen gebaut haben, um genug Kerosin für den weltweiten Bedarf produzieren zu können. Schneller geht es nicht.
Anthony Patt (56) ist seit 2013 Professor für Klimapolitik am Institut für Umweltentscheidungen der ETH. Er hat einen Doktortitel in Zivilrecht der Duke University (North Carolina, USA) sowie einen Doktortitel in Public Policy der Universität Harvard. Patt ist koordinierender Hauptautor des «Intergovernmental Panel on Climate Change» (IPCC) im Bereich Klimapolitik. Er lebt mit seiner Familie im Zürcher Oberland.
Anthony Patt (56) ist seit 2013 Professor für Klimapolitik am Institut für Umweltentscheidungen der ETH. Er hat einen Doktortitel in Zivilrecht der Duke University (North Carolina, USA) sowie einen Doktortitel in Public Policy der Universität Harvard. Patt ist koordinierender Hauptautor des «Intergovernmental Panel on Climate Change» (IPCC) im Bereich Klimapolitik. Er lebt mit seiner Familie im Zürcher Oberland.
Mal ehrlich: Diese Zeit haben wir doch nicht mehr!
Möchten wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen – was sehr gut wäre –, eigentlich nicht, nein. Dannhaben wir eher noch zehn Jahre. Aber wir können schummeln, indem wir intensiv an der CO₂-Entfernung aus der Luft arbeiten. Dieser Weg ist nicht perfekt, aber mehrheitsfähig. Das 1,5-Grad-Ziel wäre zwar machbar und auch bezahlbar. Aber die Frage ist, ob die Leute das wollen.
Warum tun sie es nicht?
Die meisten von uns treffen Entscheidungen aufgrund von Emotionen, unserem Bauchgefühl. Ich vermute, die meisten Wähler hatten ein ungutes Gefühl beim Gedanken, dass Benzin teurer werden könnte. Das rationale Argument, dass E-Autos so schnell so populär werden, dass die meisten Leute sowieso nicht mehr lange Benzin kaufen werden, fühlt sich nur für jene Leute richtig an, die bereits ein Elektroauto gekauft haben oder kurz davor sind. Das ist immer noch eine Minderheit.
Das OcCC schlägt ein persönliches CO₂-Konto für alle vor: Bei jedem Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung wie dem Fliegen wird uns etwas davon abgezogen. Was halten Sie davon?
Ich finde das keine gute Idee. So ein Vorschlag löst direkt wieder Ängste aus. Und er überträgt die Verantwortung komplett auf die Konsumenten. Dabei ist das System das Problem.
Aber kann es denn ohne Verzicht funktionieren?
Ja.
Wir können also weitermachen wie bisher und trotzdem die Klimakrise in den Griff bekommen?
Es gibt eine Menge anderer Probleme, etwa den Verlust der Biodiversität. Meiner Meinung nach müssen wir langfristig unseren Konsum schon ändern, um sie in den Griff zu bekommen. Aber um das Klimaproblem zu lösen, nicht. Dafür verantwortlich sind vor allem drei Quellen: unser Energieverbrauch, die Abholzung der Wälder und die Landwirtschaft. Die ersten beiden Bereiche lassen sich ohne Verzicht klimaneutral gestalten.
Und was ist mit der Landwirtschaft?
Ein Teil der Emissionen stammt dort aus der Düngung und der Methanausscheidung der Kühe. Für diese Emissionen haben wir keine technologische Lösung parat. Das bedeutet, dass wir sie reduzieren müssen. Das kann man mit einer Veränderung des Konsumverhaltens tun, etwa indem wir etwas weniger Fleisch essen. Oder indem wir CO₂ aus der Luft filtern. Darauf werden wir in Zukunft wohl setzen.
Wäre es nicht weniger riskant, unsere Konsumgewohnheiten zu ändern?
Natürlich, aber das ist politisch eben schwieriger durchzusetzen.
Letzte Woche hat der Bundesrat die Eckwerte für die neue Klima-Gesetzesvorlage präsentiert. Was halten Sie davon?
Insgesamt halte ich es für einen guten Plan und denke, dass er mehrheitsfähig ist. Um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, wird aber mehr nötig sein. Am Ende braucht es vor 2050 in Kraft tretende Verbote für die Nutzung fossiler Brennstoffe.
Sind solche Verbote denn politisch umsetzbar?
Zum jetzigen Zeitpunkt eher nicht. Wenn aber bis 2030 fast jedes verkaufte Auto ein E-Wagen ist, wird ein Verkaufsverbot für neue Benzin- oder Dieselfahrzeuge politisch möglich sein, vielleicht sogar leicht – weil genügend Leute dann schon verstehen, dass das ohne grossen Verzicht geht.