Krisenmodus bei der Stadtpolizei Winterthur – schon wieder: Seit diesem Mai ist die Hälfte der Geschäftsleitung krankgeschrieben, darunter auch der stellvertretende Kommandant. Die Betroffenen leiden unter Schlafstörungen und Burnout-ähnlichen Symptomen. Der Grund ist laut Insidern ein Arbeitskonflikt im Kader.
Nicht wenige Polizeioffiziere stören sich am Führungsstil ihres neuen Kommandanten Anjan Sartory (50), der seit Februar im Amt ist. Er führe autoritär, entmündige Kadermitarbeitende und fordere Mitglieder auf, öffentlich für ihn Solidarität zu bekunden.
Mittlerweile laufen personalrechtliche Verfahren, mehrere Anwälte sind involviert. Ende Juni wurde beim Bezirksrat eine Aufsichtsbeschwerde wegen Missständen in der Führung der Stadtpolizei eingereicht. Nicht nur der Stadtrat, sondern auch die zuständige Kommission ist informiert.
All dies berichten zwei voneinander unabhängige Quellen aus dem nahen Umfeld der Stadtpolizei Winterthur. Dem SonntagsBlick liegen zudem verschiedene Dokumente vor, welche die Vorgänge belegen. Die Stadtpolizei und das zuständige Departement bestätigen lediglich, dass vier Personen in der erweiterten Geschäftsleitung, die 14 Personen umfasst, krankgeschrieben sind.* Die Geschäftsleitung umfasst ohne den Kommandanten 8 Personen.
Interne Arbeitskonflikte führen zur Krankmeldungen
Sartory ist seit diesem Februar Kommandant der Stadtpolizei. Er wurde ernannt, um einen Kulturwandel herbeizuführen – einen Neustart für eine Polizei, bei der in den letzten Jahren eine Krise auf die nächste folgte, was in zwei Suiziden im Korps gipfelte.
Gemäss den befragten Quellen ist man jedoch vom geforderten Kulturwandel weit entfernt. «Seit der neue Kommandant da ist, zerfleischt sich das Korps in Machtkämpfen. Teamwork ist passé. Eine Schrei- und Wutkultur sowie Misstrauen prägen das Bild», sagt einer der Insider. Sartory wird als Mikromanager beschrieben, der Abteilungsleiter entmündige. Diese würden teilweise aus Sitzungen ausgeschlossen oder kämen an solchen nicht zu Wort. Die Rede ist von einem autoritären, «preussischen» Führungsstil. Anjan Sartory wolle entgegen seiner offiziellen Du-Kultur im Kader mit «Herr Kommandant» angesprochen werden.
Mitarbeitende müssten öffentlich ihre Solidarität gegenüber dem neuen Chef bekunden. Kürzlich hing in der Cafeteria der Stadtpolizei ein Plakat mit dem Titel: «Wir unterstützen unseren Kommandanten.» Wer die Cafeteria betrat, sei indirekt aufgefordert worden zu signieren. Das Plakat hängt jetzt im Büro des Chefs. «Es herrscht wieder eine Angstkultur», sagt eine involvierte Person.
Eskaliert sein soll die Situation, nachdem der «Landbote» Anfang April darüber berichtet hatte, dass Kaderleute an die städtische Ombudsstelle gelangt waren, um ihren Missmut über den Führungsstil des Kommandanten auszudrücken. Fünf Tage nach dem Bericht im «Landboten» soll es an einer Kadersitzung zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen sein. «An diesem Tag ging alles kaputt, was kaputtgehen kann», sagt eine Person. Die «Verräter», die an die Ombudsstelle gelangten, seien aufgefordert worden, sich zu outen.
Direkt nach der Sitzung hat sich eine Person aus der Geschäftsleitung krankschreiben lassen, sie befindet sich in psychologischer Behandlung. Kurz darauf soll zwei Angestellten mit der Kündigung gedroht worden sein, in einem Fall mit der fristlosen. Beide haben sich einen Anwalt genommen und sind seither ebenfalls krankgeschrieben. Mehr noch: Ein Polizist soll inzwischen im Auftrag einer Kaderperson wegen möglicher Amtsgeheimnisverletzungen gegen jene Gruppe ermitteln, die im April an die Ombudsstelle gelangt war.
Die Stadtpolizei dementiert und schreibt, dass man aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Betroffenen keine weiteren Angaben machen könne. Eine Untersuchung sei ihr nicht bekannt.
Den Vorwurf des Arbeitskonflikts weist die Stadtpolizei «entschieden zurück»: Die Mehrheit der Offiziere stehe hinter dem Kommandanten. Die Vorwürfe liessen sich nach einer sorgfältigen Abklärung nicht erhärten. Anjan Sartory: «Ich pflege einen ausgesprochen kooperativen Führungsstil.» Die Behauptung, er wolle als «Herr Kommandant» angesprochen werden, weist er als «grotesk» zurück. Beim Plakat habe es sich «offensichtlich» um eine «spontane Reaktion der Mitarbeitenden» gehandelt, die ihre Solidarität ausdrücken wollten.
Zustand hält seit mehreren Jahren an
Kritik gibt es jedoch nicht nur am Führungsstil des Kommandanten, sondern auch an seiner Ernennung: Gegen Sartory läuft ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauchs. Er war Einsatzleiter bei den sogenannten St. Galler Osterkrawallen im Frühling 2021. Die Polizei griff damals rigoros durch, sprach 650 Wegweisungen aus, verhaftete mehrere Dutzend meist jugendliche Personen. Nach der Beschwerde eines jungen Mannes wird nun seit zwei Jahren ermittelt. Der beschuldigte Sartory steht als Einsatzleiter besonders im Fokus. Ein Urteil liegt noch nicht vor.
Wie lässt sich das verantworten – auch im Hinblick, dass für Polizeiaspiranten und -aspirantinnen ein Verfahren als Ausschlusskriterium gilt? Sicherheitsvorsteherin Katrin Cometta (47) schreibt, für einen Polizeikader bestehe eine «erhöhte Gefahr, nach Einsätzen in Strafverfahren involviert zu werden». Das Verfahren sei bekannt, der Kommandant habe dies auch transparent gemacht. «Der Stadtrat hat in Kenntnis des konkreten Falles entschieden, Anjan Sartory anzustellen.»
Kritik ertönt auch in Richtung der politisch Verantwortlichen, Stadträtin Cometta. Die grünliberale Politikerin sei sich des Ausmasses des Problems für Winterthur immer noch nicht bewusst, heisst es aus dem Umfeld der betroffenen Beamten.
Fakt ist: Bei der Stadtpolizei reiht sich seit Jahren ein Problem ans andere. Anfang 2017 war die Hälfte der damaligen Chefs krankgeschrieben – unter ihnen auch der damalige Kommandant. 2019 wurde über eine Personalumfrage mit sehr schlechten Zufriedenheitswerten und anhaltend vielen Burnout-Fällen berichtet.
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Während Katrin Comettas Amtszeit verschärften sich die Probleme. Nachdem sich im Juli 2021 und Februar 2022 zwei Quartierpolizisten das Leben genommen hatten, gab es Kritik an Comettas Reaktion: Nach dem ersten Suizid sprach sie etwa nicht mit dem betroffenen Team, sondern verliess sich auf die Zusicherungen der Führung, dass man die Sache im Griff habe. Später beschrieb sie dies zwar als Fehler, aber gemäss «Landbote» habe sie damit in der Polizei viel Vertrauen verspielt.
Als sich im Februar der zweite Polizist auf der Wache das Leben nahm, weigerte sie sich «aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes», inhaltliche Fragen zu beantworten, und schickte den bekannten Medienanwalt Andreas Meili vor. Später liess die Politikerin – nach öffentlichem Druck – eine Administrativuntersuchung eröffnen.
In ihrem eigenen Departement heisst es, sie sei der Aufgabe nicht gewachsen. 2022 haben vier der fünf Mitarbeitenden ihres Stabs gekündigt.
Ende des Jahres 2022 schliesslich zeigten die Ergebnisse der erwähnten Administrativuntersuchung gravierende Probleme in der Kultur und ein über Jahre andauerndes Führungsversagen auf. Kritik werde nicht geduldet, Hierarchie sei wichtiger als Kompetenz. Probleme wurden nicht angegangen, sondern «unter den Teppich gekehrt». So vernichtend diese Erkenntnisse auch waren, Konsequenzen hatte der Bericht keine.
Auch jetzt, wo im Korps wieder Krisenmodus herrscht, ist die Stadträtin überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein: «Die sehr kurzfristige Eskalation» müsse als disruptiver Prozess im Führungswandel verstanden werden und sei kaum auf ein massives Fehlverhalten in der Führung des neuen Kommandanten zurückzuführen. «Der Kommandant geniesst das volle Vertrauen von mir, dem Stadtrat, des Kaders und vor allem auch der Mitarbeitenden.»
*In einer ersten Version des Artikels von Sonntagsvormittag stand, die Stadtpolizei und das zuständige Departement würden bestätigen, dass vier von acht Personen in der Geschäftsleitung krankgeschrieben sind. Korrekt ist, dass die Stadtpolizei lediglich bestätigt, dass vier Personen in der erweiterten Geschäftsleitung, die 14 Personen umfasst, krankgeschrieben sind.