Missstände in der Stadtpolizei Bülach
Anschreien, einschüchtern und abkanzeln

In Bülach kündigen Polizisten reihenweise. Die Rede ist von einem Klima der Angst. Im Zentrum der Kritik steht der Polizeichef.
Publiziert: 02.04.2023 um 11:51 Uhr
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Aktualisiert: 02.04.2023 um 12:00 Uhr
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Die Stimmung bei der Stadtpolizei Bülach ist am Boden – wegen des Chefs, wie Insider berichten.
Foto: Philippe Rossier
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Es brodelt in der Stadtpolizei Bülach. In den letzten sieben Monaten haben sieben Polizisten gekündigt, das ist ein Drittel der Belegschaft. Die Beamten flüchteten zu kleineren Polizeien, nahmen Jobs in anderen Kantonen an, verzichteten auf Dienstgrade und nahmen sogar einen tieferen Lohn in Kauf – alles nur, um Bülach hinter sich zu lassen.

In den letzten Wochen sprach SonntagsBlick mit drei aktiven Polizisten über die Missstände. Die Rede ist von einem Klima der Angst, von Einschüchterungen, und toxischem Führungsstil. Einer sagt es so: «Ich weiss nicht, ob die Bevölkerung uns noch vertrauen würde, wenn die wüsste, was bei uns läuft.»

Ein anderer sagt: «Man fährt das Korps an die Wand.»

Die Insider wollen anonym bleiben, weil sie dem Amtsgeheimnis unterstehen und nicht autorisiert sind, über Interna zu sprechen. Sämtliche Aussagen werden entweder von mehreren Quellen gestützt oder durch Dokumente belegt. Die Bülacher Stadtpolizei ist zuständig für neun Gemeinden und sorgt für die Sicherheit von fast 60'000 Einwohnern.

Das Problem, da sind sich alle einig, ist der Polizeichef. Die Vorwürfe sind happig:

Misstrauen gegenüber Mitarbeitenden
Wann immer es zu Konflikten mit Bürgern komme, gebe der Polizeichef grundsätzlich den Mitarbeitenden die Schuld. «Man wird nicht einmal angehört», sagt einer. So habe der Chef beispielsweise einen Polizisten vor der ganzen Mannschaft im Aufenthaltsraum angeschrien und abgekanzelt, weil es nach einem Einsatz zur Beschwerde gekommen war. «Es war erniedrigend.»

Kritikunfähigkeit
Wer vor dem Polizeichef Probleme anspreche, müsse mit Konsequenzen rechnen – auch mit einem personalrechtlichen Verfahren. Auch von Einschüchterungsversuchen ist die Rede.

Charakterschwächen
Der Polizeichef sei cholerisch, fühle sich von allem und jedem gleich bedroht und reagiere sofort aggressiv. Mehrere Quellen berichten von deplatzierten und herabwürdigenden Kommentaren gegenüber Mitarbeitenden.

«Man verzichtet dann auf eine Kontrolle»

Mit diesem Führungsstil habe der Chef ein System geschaffen, in dem Polizisten sich nicht mehr trauten, ihre Arbeit zu machen: «Man verzichtet dann auf eine Kontrolle, fährt weiter, damit man nicht in den Fokus gerät.» Arbeite man weiter wie gewohnt, müsse man damit rechnen, ins Büro des Vorgesetzten zitiert und angeschrien zu werden.

Der Bruch zwischen Korps und Polizeichef ist mittlerweile so tief, dass Mitarbeitende den Aufenthaltsraum verlassen, sobald der Vorgesetzte hereinkommt. Andere warten so lange mit dem Mittagessen, bis er den Raum verlassen hat.

Auslöser der Kündigungswelle war die Entlassung des stellvertretenden Polizeichefs. Er galt im Korps als Integrationsfigur, war für viele ein Vorbild. Einer sagt: «Er war der beste Chef, den ich je hatte.» Bei Konflikten sei er hinter seinen Mitarbeitenden gestanden, habe sich jeweils beide Seiten angehört und dann eine Lösung gefunden.

Überraschender Rausschmiss

Im August 2022 wurde der Stellvertreter per sofort freigestellt. Er musste innerhalb weniger Stunden sein Büro räumen, konnte sich nicht einmal verabschieden. Der Chef erteilte den Mitarbeitenden einen Maulkorb. In einem Schreiben zur Kündigung seines ehemaligen Stellvertreters heisst es: «Diese interne Mitteilung ist vertraulich zu behandeln und darf nicht nach aussen kommuniziert werden. Dies gilt auch für Partnerorganisationen und Verwaltung.»

Die Kündigung bleibt für das Korps unverständlich. In Sitzungen und Fragerunden stellt sich später heraus: Strafrechtliche Gründe für die Entlassung gab es keine. Die Insider vermuten, der Vorgesetzte habe sich von seinem Stellvertreter bedroht gefühlt: Der hatte wenige Monate vor seiner Entlassung in einem Gespräch dessen Führungsstil kritisiert.

Besagter Polizeichef führt die Stadtpolizei seit 2015. Die Stadtregierung war überzeugt, mit ihm «eine qualifizierte und engagierte Persönlichkeit» ernannt zu haben. Im Interview mit dem «Zürcher Unterländer» bezeichnete sich der neue Chef als «offener Typ, der mit fast jedem auskommt». Er sei stets um «faire Lösungen» bemüht.

Bezug zum Korps verloren

Mit der Corona-Pandemie, so heisst es unter den befragten Mitarbeitenden, hätten sich die Führungsprobleme verschlimmert. «Wir mussten ins Büro, während er im Homeoffice sass.» Der Chef habe in dieser Zeit vollends den Bezug zu seinem Korps verloren. Bereits 2021 kündigten mindestens vier Mitarbeiter. Neuzugänge oder Interessierte wurden schon damals vor dem Führungsstil des Chefs gewarnt. Einer der Insider: «Man sagte mir, ich würde es bereuen.»

Es braucht sehr viel, damit Polizistinnen und Polizisten ihr Schweigen brechen. Die Personen, mit denen SonntagsBlick gesprochen hat, haben Angst vor Repressionen, Angst, keine Anstellung mehr zu finden.

«Lieber bin ich still»

Wer kuscht, wird befördert, wer Kritik äussert, abgekanzelt: So funktionieren viele Polizeikorps auch heute noch. Vielerorts führt das zu einer Kultur, in der Probleme totgeschwiegen werden – teilweise mit fatalen Folgen für Mitarbeitende. Ein Beispiel von vielen ist die Stadtpolizei Winterthur. Dort kam es im vergangenen Jahr in kurzem Abstand zu zwei Suiziden lang gedienter Polizisten. Gegen einen der beiden lief ein Verfahren, nachdem er seinen Vorgesetzten kritisiert hatte. Der betroffene Polizist wurde krankgeschrieben und musste aus der Zeitung erfahren, dass er versetzt werden soll. Kurz darauf nahm er sich das Leben.

Ein externer Untersuchungsbericht zeigte später gravierende Mängel in der Führungskultur der Stadtpolizei auf: Kritik an Vorgesetzten werde nicht geduldet, Hierarchie und Loyalität sei wichtiger als Kompetenz; Problem würden nicht angegangen, sondern unter den Teppich gekehrt.

Einer der Bülacher Polizisten sagt: «Ich habe früher den Fehler gemacht, Führungsprobleme anzusprechen.» Dann liess man ihn wissen, er solle sich gar nicht erst um interne Stellen bemühen. «Ich habe gelernt: Lieber bin ich still.» Will sich ein Betroffener wehren oder Hilfe holen, sollte eigentlich der Polizeibeamtenverband weiterhelfen. «Aber wenn man sich dort meldet, kriegt der Chef das mit», sagt ein zweiter. Die Probleme seien strukturell. «Uns fehlt eine anonyme Meldestelle.»

Wer kuscht, wird befördert, wer Kritik äussert, abgekanzelt: So funktionieren viele Polizeikorps auch heute noch. Vielerorts führt das zu einer Kultur, in der Probleme totgeschwiegen werden – teilweise mit fatalen Folgen für Mitarbeitende. Ein Beispiel von vielen ist die Stadtpolizei Winterthur. Dort kam es im vergangenen Jahr in kurzem Abstand zu zwei Suiziden lang gedienter Polizisten. Gegen einen der beiden lief ein Verfahren, nachdem er seinen Vorgesetzten kritisiert hatte. Der betroffene Polizist wurde krankgeschrieben und musste aus der Zeitung erfahren, dass er versetzt werden soll. Kurz darauf nahm er sich das Leben.

Ein externer Untersuchungsbericht zeigte später gravierende Mängel in der Führungskultur der Stadtpolizei auf: Kritik an Vorgesetzten werde nicht geduldet, Hierarchie und Loyalität sei wichtiger als Kompetenz; Problem würden nicht angegangen, sondern unter den Teppich gekehrt.

Einer der Bülacher Polizisten sagt: «Ich habe früher den Fehler gemacht, Führungsprobleme anzusprechen.» Dann liess man ihn wissen, er solle sich gar nicht erst um interne Stellen bemühen. «Ich habe gelernt: Lieber bin ich still.» Will sich ein Betroffener wehren oder Hilfe holen, sollte eigentlich der Polizeibeamtenverband weiterhelfen. «Aber wenn man sich dort meldet, kriegt der Chef das mit», sagt ein zweiter. Die Probleme seien strukturell. «Uns fehlt eine anonyme Meldestelle.»

Der Chef sei bestens vernetzt, sagen alle. Er gibt Kurse in der Polizeischule, ist laut Linkedin Vorstandsmitglied in der Vereinigung Kommunaler Polizeikorps des Kantons Zürich und des Personalverbands der Stadt Bülach. Gegenüber Arbeitskollegen soll er sich einmal als «unantastbar» bezeichnet haben. Ein Telefonanruf genüge, sagen die Informanten, um einen ungeliebten Mitarbeiter daran zu hindern, bei einem anderen Korps unterzukommen.

Patrouillen fallen aus

Die Folgen der Kündigungswelle sind gravierend: Akuter Personalmangel hat dazu geführt, dass spätestens seit Anfang Jahr Patrouillen gestrichen werden mussten und vereinzelt Polizisten sogar allein auf Patrouille geschickt wurden – sicherheitstechnisch ein absolutes No-Go.

Polizisten vom Schalterdienst müssen neu auch auf Patrouille gehen, wie es heisst. Mitarbeitenden sei nahegelegt worden, auf Ferien zu verzichten. Überzeit darf nicht mehr abgebaut werden. Am Mittwoch nahm das Korps an einem Workshop teil, um zu klären, wie man mit dem aktuellen Bestand über den Sommer kommen soll.

Kann die Stadtpolizei in ihrer momentanen Verfassung ihren Auftrag noch wahrnehmen? «Ich denke nicht, nein», sagt einer.

Der Personaldienst der Stadt Bülach deponierte vor einigen Wochen beim Stadtschreiber, dass aus der Stadtpolizei Bülach auffallend viele Zwischenzeugnisse verlangt würden und die Fluktuation ungewöhnlich hoch sei. Gemäss Recherchen haben der zuständige Stadtrat Daniel Ammann und Abteilungsleiter Roland Engeler mindestens seit einigen Wochen Kenntnis von der Situation. Geschehen ist bisher nichts.

SonntagsBlick hat den Polizeichef und dessen Vorgesetzte mit sämtlichen Vorwürfen konfrontiert. Einzig Abteilungsleiter Roland Engeler nimmt summarisch Stellung. In jüngster Zeit habe es mehrere Abgänge bei der Stadtpolizei Bülach gegeben. Dies aus «unterschiedlichsten Beweggründen». Zu personalrechtlichen und führungstechnischen Fragen gebe man wegen Daten- und Persönlichkeitsschutz grundsätzlich keine Auskunft. Personalvorgänge bearbeite man nach den Vorschriften des städtischen Personalrechts.

Der Einsatz der Mitarbeitenden erfolge stets der Situation angepasst sowie unter Berücksichtigung des Eigenschutzes. Der Auftrag der Stadtpolizei werde «vollumfänglich» und «jederzeit» erfüllt.

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