Kollegen geben der Führung eine Mitverantwortung
Zwei Suizide erschüttern die Polizei Winterthur

Zwei Suizide innerhalb eines halben Jahres erschüttern die Stadtpolizei Winterthur. Ein Quartierpolizist setzt letzten Sommer seinem Leben ein Ende, ein zweiter macht dasselbe am Freitag auf dem Posten. Polizeikollegen sagen, Führungsversagen habe sie so weit getrieben.
Publiziert: 18.02.2022 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2022 um 08:09 Uhr
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In Winterthur kam es bei der Stadtpolizei in einem Jahr zu zwei Suiziden. Die Mitarbeitenden stehen unter Schock.
Foto: Céline Trachsel
Céline Trachsel

Die zwei gestandenen Quartierpolizisten hätten nur noch wenige Jahre bis zur Pensionierung gehabt. Dennoch entschieden sie sich für Suizid – weil es ihnen bei der Stadtpolizei Winterthur so schlecht ging, wie beide in ihren Abschiedsbriefen angegeben haben sollen. Dies laut einer Polizeiquelle gegenüber Blick.

Zum ersten Suizid kam es im Juli 2021. Der Mann ging wandern – und kehrte nicht mehr heim, wurde eine Woche lang vermisst. Dann wurde der Polizist im Gebirge tot aufgefunden. Er hatte sein Leben selber beendet. Zum nächsten Suizid kam es letzten Freitag. Auf dem Polizeiposten in der Altstadt von Winterthur setzte ein zweiter Quartierpolizist bei Dienstantritt seinem Leben ein Ende.

Der Mediendienst der Stadtpolizei bestätigt: «Am Freitag hat sich ein Mitarbeiter von uns das Leben genommen. Der Tod unseres langjährigen Mitarbeiters schockiert uns als Korps und als Menschen zutiefst.» Es werde eine Untersuchung eingeleitet.

«Schuld in der Führungskultur»

Viele aus dem Polizeikorps sind nicht nur traurig, sondern auch verärgert. Denn die Polizeikollegen von der Basis haben die angeblich Schuldigen für die beiden Suizide bereits ausgemacht: die Führungsetage.

Der Polizeibeamtenverband Winterthur (PBV) schreibt in einem internen Brief, der Blick vorliegt: «Der PBV hat heute einen Forderungskatalog an die Departementsvorsteherin Katrin Cometta und die Bereichsleitung der Stadtpolizei übergeben. Darin sprechen wir von Schock, Trauer, aber auch von Wut.» Und weiter: «Wir haben darin zum Ausdruck gebracht, dass viele Kolleginnen und Kollegen die Schuld in der Führungskultur und im Verhalten einzelner Personen sehen. Wir möchten, dass jetzt Verantwortung übernommen wird.» Führungsfehler müssten identifiziert, benannt und beseitigt werden, so die Forderung. «Eine solche Tragödie darf sich nicht wiederholen.»

«Er wurde drangsaliert»

Doch woher kam der Leidensdruck der beiden Männer? Im Sommer 2021 wurde die Quartierpolizei umstrukturiert. «Allen Quartierpolizisten wurde ein Mann vor die Nase gesetzt, den niemand für tragbar hielt», sagt ein Insider. Jener Polizist, der sich in den Bergen das Leben nahm, musste sich sein Gebiet mit dem unliebsamen neuen Chef teilen. «Sie hatten das Heu überhaupt nicht auf der gleichen Bühne», so der Insider. Zwei Wochen später brachte er sich um.

Die zurückgebliebenen Kollegen gelangten im August eine Führungsebene höher an den nächsten Vorgesetzten und verlangten Veränderungen. «Doch ihre Forderungen wurden kaum richtig angehört. Man sagte jeweils: ‹Nächste Frage›, ohne Antworten gegeben zu haben», so der Insider.

Der zweite Polizist, der sich am Freitag das Leben nahm, habe nach dem Vorfall resigniert. Er liess sich in den Innendienst versetzen, weil er mit der neuen Führung genauso wenig klarkam. «Er wurde drangsaliert», heisst es gegenüber Blick laut einer anderen Quelle. «Er war ständiger Kritik ausgesetzt, und man sagte ihm, der Fehler liege bei ihm. Mit über 60 Jahren sollte er sich komplett ändern, weil offenbar nichts gut genug war.» Der Mann bekam ein Burnout – und blieb dem Dienst bis zu seinem geplanten Neuanfang letzten Freitag fern.

Kommando anerkennt Zusammenhang zwischen beiden Todesfällen

Laut Blick-Informationen weilte der Kommandant der Stadtpolizei in den Ferien und brach sie bis Mitte Woche nicht ab. Sein Stellvertreter, der das Kommando ohnehin ab Mai übernimmt, musste Anfang Woche zu Gesprächen antreten. In internen Schriftwechseln wird er aber als «Teil des Problems» bezeichnet. Gesprochen wird von «falschen» und nach dem ersten Suizid «unterlassenen Führungsentscheiden».

Bei den Gesprächen gestand der stellvertretende Kommandant ein, dass zwischen den beiden Todesfällen ein Zusammenhang bestehe. Sofern der Stadtrat zusage, würden externe Berater zur Aufarbeitung beigezogen.

Stadträtin: «Weiteres Leid muss jetzt verhindert werden»

Und wie reagiert die Politik? Gegenüber Blick wollte sich die zuständige Stadträtin Katrin Cometta (GLP) aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht äussern. Den Stadtpolizisten kondolierte sie am Montag schriftlich. «Das ganze Wochenende habe ich trotz Wahlen kaum an etwas anderes gedacht als an den Suizid Ihres Kollegen», schreibt sie. Cometta habe den Mann persönlich gekannt und als beliebten und hilfsbereiten Quartierpolizisten erlebt. «Mich hat sein Tod bestürzt und aufgewühlt. Wie ungleich schwerer muss die Last für Sie sein. Sie haben einen Ihnen lieben Kollegen verloren, mit dem Sie teilweise über Jahrzehnte zusammengearbeitet haben.»

Sie spüre die Wut und beteuert, genau hinschauen zu wollen. «Aber wir sollten uns nicht verleiten lassen, vorschnelle Schlüsse zu ziehen», so Cometta. «Es soll auch niemand vorverurteilt werden. Weiteres Leid von weiteren Mitarbeitenden muss jetzt unbedingt verhindert werden.»

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Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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