«In diesem Moment habe ich einen Teil von mir verloren, es war, als ob man ein Stück meines Körpers abreissen würde», sagt Gabriel H.* (67) zu «La Liberté». Der 9. März hat sein Leben auf den Kopf gestellt. Seine Tochter Christine H.* (28) wird seitdem im Bereich Col de Tête Blanche vermisst.
Sie war mit ihrem Freund Louis B.* (†27) und deren Familie in Zermatt gestartet, um über die Haute Route nach Arolla VS zu kommen. Doch so weit kam die Gruppe nicht. Zu schlecht wurde das Wetter. Um kurz nach 17 Uhr setzte die Gruppe einen Notruf ab. Sechs private Rettungshelikopter sowie zwei Super Pumas der Armee standen daraufhin bei der Suchaktion im Einsatz. Dazu Dutzende Spezialisten für die Rettung im Gebirge. Ohne Erfolg.
«Niemand kann eine einzige Nacht in einer solchen Umgebung überleben»
«Die Retter kamen am Samstagabend zurück und sagten, dass sie nicht an die Stelle herankommen konnten. Am nächsten Tag fanden sie fünf Leichen, aber eine Sechste war nicht mehr da. Ich dachte sofort, dass es sich um meine Christine handelte. Sie haben ihre Tasche und ihre Skier gefunden, aber nicht sie», so Gabriel H. weiter zur «La Liberté».
In dem Moment wusste er: Er hat seine Tochter verloren. Offiziell gilt sie noch als vermisst. Aber Grabiel H. macht sich keine Hoffnungen auf ein Wunder. «Niemand kann eine einzige Nacht in einer solchen Umgebung überleben.»
«Sie lebte auf der Überholspur»
Auch dass die Leiche seiner Tochter bald gefunden wird, glaubt er nicht. Erst letzte Woche fiel jede Menge Neuschnee in dem Bereich, wo Christine H. vermutet wird. Kurz nach der Tragödie zügelte er für eine Woche. Er wollte alleine sein mit seinem Schmerz, der Trauer. Jetzt hat er die Kraft, über seinen Verlust zu sprechen und seiner Tochter zu gedenken.
Christine H. sei schon immer sportlich gewesen. Schwimmen, Wandern, Fitness-Kurse. Und schliesslich kam das Klettern dazu. Sie wollte bei allem, was sie macht, die Beste sein. «Sie lebte auf der Überholspur.»
«Sie waren vom schlechten Wetter überrascht worden»
Zwei Tage vor der Tragödie in den Walliser Alpen habe er seine Tochter das letzte Mal gesehen. «Sie sagte mir, sie wolle Zermatt-Arolla machen, und ich fragte sie, ob sie sich wegen des Wetters sicher sei. Sie sagte mir, ich solle mir keine Sorgen machen.»
Doch dann passierte das Schlimmste: Die Gruppe geriet in einen Sturm. Christine H. rief um 17.19 Uhr den Notruf. «Sie waren vom schlechten Wetter überrascht worden. Ich habe gehört, wenn dort oben der Föhn aufkommt, kann man keine drei Meter weit sehen. Die Bergretter haben mir später erzählt, dass sie nicht einmal den ersten Seilläufer sehen konnten. Ich denke, dass sie sich auf der Suche nach einem Netz verirrt hat und in eine Gletscherspalte gefallen ist.»
Er zündet immer eine Kerze für sie an
Christine H. und ihrer Schwester hatte Gabriel H. jeweils einen goldenen Anhänger für ihre Kette geschenkt. «Christine H. trug sie die ganze Zeit, aber kurz bevor sie zu dieser Tour aufbrach, liess sie sie bei ihrer Schwester zurück. Das hat vielleicht nicht viel zu bedeuten, aber ich kann nicht anders, als darin ein vorausschauendes Zeichen zu sehen.»
Um den schrecklichen Verlust zu ertragen, geht Gabriel H. viel reiten. Und nicht nur das: «Jedes Mal, wenn ich eine Kapelle sehe, zünde ich eine Kerze an. Ich sage mir, dass es so ist, dass es Schicksal ist, dass es geschrieben wurde.»
*Namen geändert