«Das Schlimmste ist, dass die Zeit stillzustehen scheint»
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Binsack über Schneesturm:«Das Schlimmste ist, dass die Zeit stillzustehen scheint»

Das Protokoll des Todesdramas
Das waren die letzten Minuten der Skitour an der Tête Blanche

Mindestens fünf Tourengänger sterben in den Walliser Alpen. Wie konnte das geschehen? Blick zeichnet auf, was über die Geschehnisse bekannt ist.
Publiziert: 12.03.2024 um 17:40 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2024 um 07:19 Uhr
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Überreste des Todesdramas: Helfer untersuchen am Tête Blanche das Schneeloch, das sich die verzweifelten Tourengänger während des Sturmes gegraben hatten.
Foto: Screenshot Video Polizei Wallis
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Sandro ZulianReporter News

Vor einer Kirche in Vex VS brennen am Dienstagmorgen Grabkerzen. Am Abend zuvor versammelten sich hier Hunderte Menschen, um den drei Brüdern aus Vex, die zwischen Zermatt VS und Arolla VS bei einer Skitour ums Leben kamen, zu gedenken. «Kinder des Dorfes» wurden sie hier genannt. Sie waren wohlbekannt. Eine Dorfbewohnerin nennt sie gegenüber der «Berner Zeitung» «une famille en or», eine goldene Familie. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Vex sind noch immer fassungslos. Fünf Menschen starben am Wochenende während einer ambitionierten Skitour. Die sechste Person wird noch vermisst. Wie konnte so eine Tragödie passieren? Blick zeichnet die Geschehnisse nach. 

Samstag, 9. März, 10 Uhr – Zermatt

Seit Stunden schon sind die Tourengänger unterwegs. Startort war Zermatt VS am frühen Morgen. Ihr ambitioniertes Ziel: Innert einem Tag auf der Haute Route von Zermatt bis nach Arolla VS. Eine schwierige Tour über hochalpines Gelände und Gletscher – 2000 Höhenmeter galt es zu überwinden. Mindestens einer der Tourengänger nahm schon einmal an der legendären «Patrouille des Glaciers» teil. Die Gruppe ist erfahren.

Die Gruppe war von Zermatt in Richtung Arolla unterwegs.
Foto: Blick Grafik

Samstag, 9. März, 13 Uhr – Zwischen Zermatt und Arolla

Die leicht ausgerüstete Gruppe von fünf Männern und einer Frau ist unterwegs. Doch die Wetterverhältnisse verschlechtern sich zunehmend. «Es ist verrückt. Man sieht es kommen, eine Wand aus Wolken», sagt ein Bergtourengänger gegenüber Blick über das Aufziehen eines Unwetters in den Bergen. An diesem Tag warnte Meteoschweiz vor Windböen von bis zu 130 Kilometern pro Stunde und viel Niederschlag. Der exponierte Sektor am Tête Blanche bietet keinerlei Schutzmöglichkeiten.

Samstag, 9. März, 16.03 Uhr – Arolla

Kurz nach 16 Uhr nimmt ein besorgtes Familienmitglied das Telefon in die Hand und wählt die Nummer der Kantonalen Walliser Rettungsorganisationen KWRO. Sie hat die Gruppe der Berggänger in Arolla vergeblich erwartet und befürchtet jetzt das Schlimmste.

Samstag, 9. März, 17.19 Uhr – Tête Blanche 3590 m.ü.M.

Die Befürchtungen bewahrheiten sich. Ein Mitglied der Skitourengruppe setzt um 17.19 Uhr einen Notruf ab. Die verstreuten und orientierungslosen Tourengänger stehen mitten in einem riesigen Hang und wissen weder vor noch zurück. Der Nebel ist dick, der eisige Wind peitscht ins Gesicht. Verzweifelt versuchen sie, ein Not-Biwak zu erstellen. Aufgrund der ambitionierten Route haben die sechs mutmasslich keine Biwak-Säcke dabei. So buddeln sie sich behelfsmässig ein Loch, um dem Wind und der Kälte zu entkommen. Doch die leichten Lawinenschaufeln, die sie dabei haben, können gegen die dicke Schneedecke wenig ausrichten. So rotten sie sich zusammen und harren aus.

Walliser Kantonspolizei sucht nach der letzten vermissten Person
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Aufnahmen aus Helikopter:Hier wird die letzte vermisste Person gesucht

Samstag, 9. März, 18.20 Uhr – Zermatt

Eine Rettungskolonne macht sich von Zermatt aus auf den Weg, die verlorene Gruppe zu finden. Doch auf 3000 Metern über Meer, rund 500 Meter unterhalb der Verunglückten, kehren die Retter wieder um. Das Wetter ist zu gefährlich. 

Samstag, 9. März, 21 Uhr – KWRO, Sierre VS

In Absprache mit den Familien entscheiden die Kantonalen Walliser Rettungsorganisationen KWRO, die Rettungsversuche auf dem Landweg zu unterbrechen. Das schlechte Wetter, die Lawinengefahr, die Kälte, der Wind und der Nebel – der Aufstieg ist nicht sicher genug.

Externe Inhalte
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Sonntag, 10. März, 5 Uhr – KWRO, Sierre

Den Spezialisten gelingt es, Mobilfunkdaten, GPS, Angaben der Familien und soziale Netzwerke der Verunglückten auszuwerten. So bestimmen sie den wahrscheinlichen Aufenthaltsort der Berggänger. Spezialteams aus Zermatt und Sitten unterstützen die Bergspezialisten der Kantonspolizei und wagen den Aufstieg. 

Sonntag, 10. März, 11.42 Uhr – Sitten VS

Die Polizei informiert die Öffentlichkeit: Es werde auf der Skitourenroute zwischen Zermatt und Arolla aktiv nach sechs vermissten Personen gesucht. Es würden zahlreiche technische Mittel zur Lokalisierung der Skitourengänger eingesetzt. «Die Wetterbedingungen sind derzeit sehr schlecht, was den Einsatz der Rettungskräfte sehr schwierig macht.»

Sonntag, 10. März, 13 Uhr – unbekannter Ort

Ein Helikopter vom Typ Super Puma der Schweizer Armee hebt ab und unterstützt die Walliser Einsatzkräfte. 

Sonntag, 10. März, 19.30 Uhr – Dent-Blanche-Hütte

Ein Rettungsteam, bestehend aus zwei Spezialisten, einem Arzt und einem Polizisten der Gebirgsgruppe wird in der Nähe der Dent-Blanche-Hütte abgesetzt. Sie arbeiten sich in Richtung des Unglückssektors vor. 

Sonntag, 10. März, 21.20 Uhr – Tête Blanche

Die Retter erreichen das weitläufige, weisse Feld am Tête Blanche. Sie entdecken fünf der sechs vermissten Personen. Die traurige Gewissheit: Keine zeigt ein Lebenszeichen. Die Tourengänger trugen dünne Rennanzüge und waren nur leicht ausgestattet. Die fünf Personen müssen in Panik versucht haben, sich eine schützende Höhle zu bauen. Danach sind sie wohl erfroren.

Montag, 11. März, 04.51 Uhr Sitten

Die Walliser Kantonspolizei bestätigt: Fünf der sechs vermissten Personen wurden leblos aufgefunden. Die sechste Person – gemäss Todesanzeigen die Frau – konnte noch nicht gefunden werden. Die Suche nach ihr ist noch im Gange.


 

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