Irgendwann mussten sich Markus Oppliger (63) und seine Mitarbeitenden fragen: Wie weiter? Das war 2018, nach drei schlechten Wintern. Dreimal kein Schnee, dreimal ein Defizit.
Die Bahn brauchte dringend Unterstützung, denn selbst in guten Jahren sah es nicht gut aus. «In einem durchschnittlichen Winter verloren wir 500'000 bis 800'000 Franken pro Jahr», sagt Oppliger, früher Wirtschaftsprüfer, heute Verwaltungsratspräsident der Pizolbahnen.
Schweizer Skigebiete in der Krise
Die Gemeinde half für einige Jahre aus, doch auch das war begrenzt. Und die Vorzeichen wurden nicht besser. Liegt am Pizol bis Weihnachten nicht genügend Schnee, klafft nächste Saison ein noch dickeres Loch im Budget als ohnehin schon. Eines war klar: Ohne Beschneiung gibt es keine Zukunft.
Eine echte Lösung musste her, und zwar schnell.
Das Pizolgebiet ist mit seinen Problemen nicht alleine: Viele Schweizer Skigebiete sind in der Krise. Da ist einerseits der Klimawandel, der die Schneefallgrenze nach oben treibt – und die Gebiete zu teuren Investitionen in Beschneiungsanlagen zwingt. Und da sind andererseits die Preise, die in den letzten Jahren nur eine Richtung kannten: nach oben. Gemäss einer Marktanalyse von 2017 kostete Schweizerinnen und Schweizer ein Skitag durchschnittlich 170 Franken. Eine Woche Skiferien für eine vierköpfige Familie: 4760 Franken.
Immer weniger Leute auf den Skis
Immer mehr Menschen sagen dem Schweizer Nationalsport ab. Während die Bergbahnen in den 90ern regelmässig auf über 30 Millionen Skier Days kamen, waren es im letzten Jahr nur noch 22,3 Millionen Tage. Besser wird es kaum: Die Babyboomer steigen aus, die Jungen sind nicht mehr automatisch mit dem Schnee gross geworden. In dieser Saison droht wegen der Inflation auch noch der wichtigste Auslandmarkt, Deutschland, einzubrechen.
Es sind die kleinen und mittleren Gebiete, die sich nun zusehends existenziellen Problemen stellen müssen. Gebiete wie Ratzi im Kanton Uri, Sattel-Hochstuckli in Schwyz – oder eben Pizol SG. Mit zwölf Anlagen ist Pizol mittelgross, mittlere Schneehöhe. Das bedeutet hohe Fixkosten, wenig Schneesicherheit.
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«Sie müssen umsatteln, es schaffen, im Sommer rentabel zu werden, oder öffentliche Gelder beantragen», sagt Jürg Stettler, Tourismusexperte an der Hochschule Luzern. Die Frage «Wie lange noch?» stelle sich spätestens dann, wenn Anlagen oder Konzessionen erneuert werden müssen. Denn das ist richtig teuer.
Viel Überzeugungsarbeit
Oppliger und sein Team fingen also an zu rechnen, arbeiteten Szenarien aus. Szenario 1 – der grosse Wurf, eine direkte Gondel zur Pizolhütte samt Hotel – war mit 150 Millionen Franken chancenlos. «Da hätten wir einen Sawiris gebraucht.» Szenario 2 – reduzieren, eine Zubringerbahn schliessen, entweder nur Sommer oder nur Winter – eine finanzielle Sackgasse. Szenario 3 – weitermachen wie bis anhin – langsamer, aber unausweichlicher Tod. Nur eine Rechnung ging auf: Szenario 4 – Status quo plus. «Alles bleibt, wie es ist, aber wir investieren in eine Beschneiungsanlage.»
2020 stellte man den Plan den Gemeinden vor und erklärte auch gleich, wie viel es kosten würde: 12,5 Millionen Franken. Damit wäre die Beschneiung bezahlt und der Betrieb mittelfristig sichergestellt. «Die erste Reaktion war: ‹Hallo?!›»
Für Oppliger und Co. hiess es nun: überzeugen. Sie führten Dutzende «intensivste» Gespräche, besuchten Vereine, Gemeinderäte, Skiklubs, Gemeindeversammlungen. «Wir waren wie Wanderprediger.» Schlaflose Nächte inklusive. Aber Oppliger, von Berufes wegen Rechnungen, Risiken und Verkaufen gewohnt, kam mit seinem Plan durch.
Nach vier Bürgerversammlungen und zwei Urnenabstimmungen sagte diesen Juni nun auch die letzte Gemeinde, Fläsch GR, Ja zum Riesenprojekt. «Zwei Tage später fingen wir an zu baggern.» Bei der Pizolhütte entsteht ein Speichersee, der Wasser im Umfang von 500'000 Badewannen fasst. «Ende 2024 können wir erstmals so richtig viel Wasser ins System einspeisen.»
Sollen Skigebiete subventioniert werden?
Die Diskussion, die Pizol bereits hinter sich hat, werden einige Gemeinden bald führen müssen: Was sind uns unsere Skigebiete wert? Subventionen hätten in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, sagt Experte Stettler. «Bei den meisten Neubauprojekten sind heute öffentliche Gelder im Spiel.» Selbst in grossen Gebieten ist das der Fall: In Andermatt beispielsweise wurde der 130 Millionen Franken teure Ausbau des Skigebiets massgeblich durch Beiträge der öffentlichen Hand mitfinanziert. In Laax GR unterstützt der Kanton mit mehreren Millionen eine neue Gondelbahn.
Stettler sieht diese Entwicklung skeptisch. Er sagt, der Tourismus habe eine wirtschaftliche Bedeutung und gewisse Bahnen erfüllten einen Transportauftrag – das legitimiere eine öffentliche Mitfinanzierung. «Die Frage ist jedoch, in welchem Umfang.» Denn das Skifahren an sich sei ein privates Vergnügen.
Pizol soll in Zukunft auf eigenen Beinen stehen
Oppliger sagt es so: «Wir stellen nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch einen wesentlichen Wert an Lebensqualität dar. Wenn ein Hallenbad oder Fussballplatz von der öffentlichen Hand finanziert wird – warum wir nicht?» 2007 waren es die Gemeinden, das Volk und die Regierung, die unbedingt beide Zubringer bauen wollten. «Damit sind wir auch ein Stück weit Infrastruktur.»
Das Fernziel sei es, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Dafür setze man vermehrt auch aufs Sommergeschäft, dessen Umsatz man in den letzten Jahren habe verdreifachen können. Mit neuen Wander-, Bike- und Erlebniswegen, Krimi-Postenlauf und vielleicht sogar irgendwann einer 1000 Meter langen Hängebrücke über dem Valeistobel. Eine Vision, sagt Oppliger. «Aber die Beschneiung war zuerst auch eine Vision.»