«Die Natur wird das schon wieder richten»
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Ski-Saisonstart verschoben:«Die Natur wird das schon wieder richten»

Die Zukunft des Skisports
Kampf um jeden Zentimeter Schnee

Ohne Beschneiung geht in Wintersport-Regionen fast gar nichts mehr. Doch Wasser ist knapp, Strom teuer und die Zukunft der Branche ungewiss. Ein Augenschein in Andermatt.
Publiziert: 04.12.2022 um 00:36 Uhr
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Aktualisiert: 05.12.2022 um 08:07 Uhr
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Der Schnee fiel spät und spärlich. Selbst im Gotthardmassiv, der sonst so schneereichen Region, hat Frau Holle die mächtigen Gipfel und steinigen Täler in den vergangenen Wochen nur zaghaft überzuckert. Heuer ist es so wenig wie noch nie.
Foto: STEFAN BOHRER
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Sven ZauggRedaktor SonntagsBlick

Der Schnee fiel spät und spärlich. Selbst im Gotthardmassiv, der sonst so schneereichen Region, hat Frau Holle die mächtigen Gipfel und steinigen Täler in den vergangenen Wochen nur zaghaft überzuckert. Heuer ist es so wenig wie noch nie.

Carlo Danioth, der seit 35 Jahren die Pisten in Andermatt sicher macht, schüttelt den Kopf. «Du siehst ja noch jeden Felsbrocken, als wärs Herbst.» Nun gut, man mache halt das Beste daraus.

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Andermatt UR ist symptomatisch für das Dilemma des Wintersports: Klimawandel, Wasserknappheit, Naturschutz, Gästeschwund, Strommangel, Preisschlachten: Die Zeiten für den Schneesport sind hart, die Prognosen düster.

Dezember markiert Saisonbeginn

Und doch soll es bald losgehen. Der Dezember markiert traditionell den Saisonbeginn. «Zu Weihnachten ist das ganze Gebiet offen», verspricht Ignaz Zopp (55), der seit Januar die Geschicke des Skigebiets Andermatt-Sedrun lenkt.

Alles muss parat sein. Ob Schnee liegt oder nicht: Sportausrüster und Winterdestinationen kurbeln den Markt so früh wie möglich an. Unter anderem mit Skirennen, die knapp auf den Altweibersommer folgen.

Wie im Wallis, wo Olympiasieger Didier Défago (45) eine Abfahrtsstrecke zwischen Zermatt und Cervinia (I) in den Schnee zeichnete. Aus der Premiere im Oktober wurde nichts: Schneemangel verhinderte die Skiparty.

Im April wäre Schneedecke am dicksten

Christoph Marty (54), Klimatologe am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos GR, spricht von falschen Versprechen – und einem Paradox: «Alle wollen Weihnachten Ski fahren und im April, wenn die Schneedecke am dicksten wäre, hat niemand mehr Lust. Was zur Folge hat, dass für die Beschneiung im November sehr viel Energie verbraucht wird.»

In Andermatt kann die Hälfte der 120Pistenkilometer mit Schneekanonen und -lanzen beschneit werden. Kunstschnee ist der Schlüssel zum Saisonstart. Dafür braucht es Energie und Wasser – das eine ist teuer, das andere rar.

Der Bau eines beschneiten Pistenkilometers kostet eine Million Franken. Die Betriebskosten für die künstliche Beschneiung belaufen sich pro Saison zusätzlich auf 20'000 bis 30'000 Franken pro Kilometer.

Preise explodieren

Wegen der rasant gestiegenen Strompreise sind wie andernorts auch in Andermatt die Kosten für den Betrieb der Anlagen und die Beschneiung explodiert: Pro Saison von 1,2 Millionen auf zwei Millionen Franken. Und weil das Wasser in den Bergen kontingentiert ist, müssen Zopp und sein Team haushälterisch mit dem kostbaren Nass umgehen.

«Wir dürfen keinen Tropfen verschwenden, sonst bleiben einige Pisten auf dem Trockenen», sagt Zopp. Timing ist alles. Kalt muss es bleiben, sonst würde das teuer produzierte künstliche Weiss sofort wegschmelzen. «Mit dem zur Verfügung stehenden Kontingent ist derzeit nur eine punktuelle Beschneiung möglich», sagt Zopp – immerhin: Ohne Beschneiung nämlich, so der Chef, könne man den Laden gleich dichtmachen.

«Herbstliches Skifahren macht wenig Sinn»

Ohne Wasser kein Schnee, ohne Schnee keine Kunden, kein Geld, keine Arbeit.

Nachdenklich sagt Zopp: «Natürlich sehen auch wir ein, dass herbstliches Skifahren in Zukunft wohl wenig Sinn macht. Wir überlegen uns, den Saisonstart von Oktober auf November oder sogar Dezember zu verlegen.» Spruchreif indessen sei noch nichts.

Die 20 grössten Seilbahnunternehmen tätigen jährlich Investitionen im dreistelligen Millionenbereich. Um den Skibetrieb zu sichern, bestehende Anlagen zu erneuern und die künstliche Beschneiung effizienter zu machen, will auch Zopp in den kommenden Jahren weitere 110 Millionen Franken investieren.

Doch nicht allen Bergbahnen steht ein finanzkräftiger Investor zur Seite. Jede dritte Seilbahn kann die anstehenden Investitionen nicht mehr aus eigener Kraft stemmen – und überlebt nur dank Zuschüssen der öffentlichen Hand oder von privaten Geldgebern.

Man sieht sich als systemrelevant

In Andermatt jedoch hat der weltgrösste Skigebietsbetreiber, Vail Resorts, dieses Jahr die Mehrheit von Samih Sawiris (65) am Skigebiet Andermatt-Sedrun übernommen – und lässt Millionen sprudeln. Zopp spricht von einem «Glücksfall». Man sei schliesslich für die Region «systemrelevant». Ein Satz, den die Branche wie ein Mantra wiederholt.

Nicht zu Unrecht: Schweizweit generiert der Wintertourismus rund fünf Milliarden Franken Einnahmen pro Jahr und ist für die Bevölkerung in den Alpentälern ein wichtiger Wirtschaftszweig. Jeder fünfte Franken in den Berggebieten wird durch den Tourismus generiert. Jede vierte Person in den Alpen arbeitet für den Tourismus – direkt oder indirekt. In Bergregionen wie dem Wallis und Graubünden macht der Wintertourismus mehr als zehn Prozent des Bruttinlandprodukts aus.

Skisaison dürfte fast einen Monat kürzer werden

Unbeeindruckt von der «Systemrelevanz» zeigt sich indes die Umwelt. Klimatologe Christoph Marty: «Mit der Klimaerwärmung dürfte die Skisaison einen halben bis einen Monat kürzer werden als heute.» Besonders in Lagen unterhalb von 1300 Metern sei ein signifikanter Trend zu schneearmen Wintern zu beobachten. Auch in mittleren und hohen Lagen wird die Schneedecke zusehends dünner.

Was Frau Holle nicht schafft, zaubern inzwischen die Schneemacher von Technoalpin auf die Pisten. Die Firma aus Bozen (I), weltweit führende Herstellerin von Beschneiungsanlagen, lässt jährlich rund 2500 Schneekanonen vom Stapel, die von Aspen (USA) bis Andermatt zum Einsatz kommen.

Die Schweiz sei ein besonders attraktiver Markt, frohlockt Technoalpin-Geschäftsleitungsmitglied Martin Hofer (42): «Eine Mehrzahl der Schweizer Skigebiete schneit bisher entweder in Etappen oder nicht flächendeckend. Insofern sind die Anlagen von der möglichen Performance oft noch nicht am Limit.» Während hier 54 Prozent der Pisten beschneit werden, sind es in Österreich bereits 70 Prozent.

Einsprachen und Beschwerden

Der Bau einer Beschneiungsanlage ist allerdings kein Kinderspiel: Finanzierung, Bewilligung, Energie, Wasser – der Weg ist weit und steinig. «Von der Projektierung bis zur Realisierung eines Grossprojekts in Millionenhöhe vergehen nicht selten acht Jahre», erklärt Hofer.

In der Schweiz kann sich der Bau einer Beschneiungsanlage noch aus anderen Gründen hinziehen. Grund dafür sind Einsprachen und Beschwerden. Teilweise liegen grosse Projekte bis zu einem Jahrzehnt auf Eis.

So war es in Elm GL: Mit dem verheissungsvollen Vorhaben «Futuro» sollte die Zukunft des kleinen Skigebiets gesichert werden. Ein Speichersee, drei Pumpstationen, 9,5 Kilometer Leitungen und 110 bis 130 Beschneiungsaggregate waren geplant. Die neuen Pisten hätten 2020/21 in Betrieb gehen sollen. Technoalpin hätte Material und Expertise geliefert. Hätte …

Doch WWF, Pro Natura und Birdlife machten dem Millionenvorhaben einen dicken Strich durch die Rechnung. Die Naturschutzverbände schleiften das Projekt bis vor das Verwaltungsgericht. Und dieses hielt fest: Der Ausbau und die damit verbundene Intensivierung des Skibetriebs werde dazu führen, dass die im Jagdbanngebiet lebenden Wildtiere auf unbestimmte Zeit in ihren Lebensräumen gestört würden. Das Vorhaben sei nicht zonenkonform. Zurück zum Absender.

Heikle Situation

Anruf bei Stefan Elmer, Chef der Sportbahnen Elm. «Wir wollen nicht über das Projekt reden; einen Besuch lehnen wir ab.» Man wolle nicht noch Öl ins Feuer giessen, zu heikel sei die Situation. Im Frühling könne man vielleicht mehr sagen. Vielleicht.

Möglicherweise braucht es irgendwann auch gar keine Beschneiungsanlagen mehr. Dann nämlich, wenn es in Elm zu warm ist oder schon früher, wenn niemand mehr Ski fahren will.

Dieses Szenario, so absurd es klingt, könnte Wirklichkeit werden, sagt Laurent Vanat. Er ist Autor des internationalen Berichts über Schnee- und Bergtourismus.

1,5 Millionen Logiernächte verloren

Allein zwischen 2010 und 2020 haben die Wintersportorte demnach 1,5 Millionen Logiernächte verloren. Ein Grund: Ausländische Gäste bleiben den Schweizer Alpen in zunehmendem Masse fern. Der Durchschnitt ausländischer Gäste auf den Pisten sei unter die 40-Prozent-Marke gesunken. Vanat: «Hinzu kommt, dass die Schweizer Skibranche mit demselben demografischen Problem konfrontiert ist wie die in- und ausländische Kundschaft. Babyboomer gehen in den Ruhestand und die neuen Generationen sind weniger sportbegeistert.» Der langfristige Trend: Immer weniger Gäste auf den Pisten.

Man stellte sich vor: Es ist Winter und niemand geht Ski fahren. Dagegen helfen dann auch keine Schneekanonen mehr.

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