Glaziologen schlagen Alarm
Gletscher verlieren in einer Woche 300 Mio Tonnen Eis!

Noch nie war die Schneelage auf den Gletschern im Wallis so dramatisch wie derzeit. Weil es zu wenig geschneit hat und zu früh zu heiss war. Mit der Folge, dass die Schweizer Gletscher dieses Jahr mehr schmelzen könnten als jemals zuvor.
Publiziert: 29.06.2022 um 19:32 Uhr
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Aktualisiert: 30.06.2022 um 14:36 Uhr
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Experten schlagen Alarm: Auf den Gletschern in Saas-Fee und Zermatt liegt so wenig Schnee wie noch nie im Juni.
Foto: keystone-sda.ch
Fabian Vogt

Die Walliser Gletscher sind weltberühmt. Auch im Sommer. Dann trainieren Ski-Superstars wie Mikaela Shiffrin (USA, 27) oder unser Slalom-Ass Ramon Zenhäusern (30) in Saas-Fee und Zermatt. Auch Beat Feuz (35) bleibt lieber im Wallis, statt nach Chile zu reisen.

Im Herbst 2021 zählten die Verantwortlichen der Saastal Bergbahnen bis zu 1000 Athletinnen und Athleten pro Tag, die sich auf die neue Saison vorbereiteten. Doch dieses Jahr steht das Sommer-Training der Wintersportler auf der Kippe, berichtet der «Walliser Bote».

«Die Situation ist dramatisch»

Noch nie habe Ende Juni so wenig Schnee auf den Gletschern gelegen wie derzeit. Allein zwischen dem 15. und 21. Juni hätten die Schweizer Gletscher 300 Millionen Tonnen an Eis und Schnee verloren, wie aktuelle Daten des Schweizerischen Gletschermessnetzes Glamos zeigen würden. Glaziologen würden die Situation als dramatisch bezeichnen.

Aber was bedeutet das? Matthias Huss, Leiter des Schweizer Gletschermessnetzes Glamosan der ETH Zürich, beschönigt gegenüber Blick nichts: «Eine Situation wie heute habe ich noch nie erlebt. Sie ist dramatisch und macht mir persönlich grosse Sorgen.»

Zu wenig Schnee, zu viel Sonne, Saharastaub

Huss erklärt, dass auf den Gletschern im Sommer normalerweise der Schnee wegschmilzt, der im Winter fällt. Zwar sei die Bilanz wegen des Klimawandels schon länger nicht mehr ausgeglichen und unter dem Strich würden die Gletscher jährlich aktuell rund 2 Prozent ihres Gesamtvolumes verlieren, aber dieses Jahr könnte es noch schlimmer kommen: «Wir befinden uns leider auf Rekordkurs», sagt Huss.

Schuld daran seien drei Faktoren: Ein Winter, in dem auf der Alpensüdseite – im Tessin und dem südlichen Wallis – extrem wenig Schnee fiel, wodurch die Schutzdecke über dem Gletschereis bereits von Beginn weg dünner war als in normalen Jahren. Eine sehr frühe Hitzewelle mit Temperaturen über 30 Grad bereits im Mai, gefolgt vom Rekord-Juni. Und grosse Mengen Saharastaub, die im März auf dem Schnee abgelagert wurden und diesen dunkler gefärbt haben. Mit der Folge, dass weniger Sonnenstrahlung reflektiert und der Schnee noch schneller schmilzt.

Wenn das so weitergeht, könnte der Negativrekord aus dem Jahr 2003 gebrochen werden, ist Huss überzeugt. Damals verloren die Gletscher fast 4 Prozent ihrer Gesamtmasse.

«Gletscher sehen bereits aus wie sonst im August»

Normalerweise würden die Gletscher bis im Mai an Masse zulegen und noch im Juni bis zu 90 Prozent mit Schnee bedeckt sein. «Heute sehen sie aber so aus wie sonst im August», sagt Huss. Ob sich das bis Ende Jahr einpendelt, hänge einzig vom Wetter ab. «Je mehr Sonnenstunden, je heisser die Temperatur, umso schneller schmilzt der Schnee und das Eis», sagt der Glaziologe, der aus beruflicher Sicht auf einen kühlen Sommer hofft.

Am Wetter dieses Sommers können wir nichts mehr ändern. Gibt es aber grundsätzlich etwas, womit der Zerfall unserer Gletscher verlangsamt werden kann? «Nur den Klimaschutz», sagt Huss, der auch an der Universität Freiburg und bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft arbeitet. Nur wenn die ganze Welt über Jahrzehnte zusammenarbeite, könnte ein Teil der Gletscher erhalten werden.

«Wir können rund 40 Prozent retten»

«Wird das Pariser Klima-Abkommen umgesetzt, können wir rund 40 Prozent der heutigen Gletschermasse in der Schweiz retten», sagt Huss. Falls kein Klimaschutz betrieben wird, könnten sie allerdings bis zum Ende des Jahrhunderts ganz verschwunden sein.

Das Endresultat dürfte dazwischen liegen. Weil die Bemühungen in Richtung erneuerbare Energien und andere Umweltthemen intensiviert würden, könnten durchaus Teile der Gletscher gerettet werden, mutmasst Huss. Nachfolgende Generationen müssen aber, wenn sie die heute mächtigen, weissen Gletscher bestaunen möchten, immer höher hinaufschauen, um zwischen den Steinmassen das Eis zu entdecken.

Dann können sich auch die nächsten Shiffrins, Zenhäuserns oder Feuz endgültig nicht mehr im Wallis auf den Winter vorbereiten.

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