Professor Vetterli erklärt
So verändern die schmelzenden Gletscher unser Ökosystem

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und Professor für Informatik. Diese Woche erklärt er, welche Bedrohung das Gletscherschmelzen für die Schweizer darstellt.
Publiziert: 11.08.2021 um 08:34 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2021 um 09:18 Uhr
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Martin Vetterli ist Präsident der EPFL und Professor für Informatik.
Foto: François Wavre | lundi13
Martin Vetterli

Meine letzte Skitour im Frühjahr führte mich zum Konkordiaplatz, wo sich drei stattliche Gletscher zum Grossen Aletschgletscher vereinen. Der Platz gilt als Herzstück des grössten Gletschergebiets der Alpen, das 2001 zum Unesco-Weltnaturerbe erkoren wurde. Umgeben von mehreren Viertausendern bietet er einen überwältigenden Ausblick.

Hoch über dem Konkordiaplatz thront die Konkordiahütte. Als diese 1877 erbaut wurde, stand sie nur fünfzig Meter über dem Platz. Seither ist der Gletscher massiv geschrumpft. Mittlerweile müssen rund 150 Meter über einen steilen Leiterweg überwunden werden, um zur Hütte zu gelangen.

Gletscher gehören zu den eindrücklichsten Zeugen des Klimawandels.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ziehen sie sich wegen der steigenden Temperaturen immer weiter zurück. Nach Angaben des World Glacier Monitoring Service nimmt die Dicke der Eisgiganten jährlich zwischen einem halben und einem ganzen Meter ab. Und das Schmelzen beschleunigt sich zusehends: Abgesehen von ein paar wenigen Orten schrumpfen die Gletscher rund um den Globus immer schneller.

Das Schmelzwasser trägt dazu bei, dass der Meeresspiegel immer rascher ansteigt. Aktuelle Daten weisen darauf hin, dass rund 200 Millionen Menschen in Küstenregionen leben, denen bis Ende dieses Jahrhunderts regelmässig Überflutungen drohen. Für reiche Länder wird das zwar teuer, aber sie werden Lösungen finden. Ärmere Länder werden sich dagegen einen aufwendigen Küstenschutz nicht leisten können.

Auch ohne Meeranstoss ist die Schweiz von der Gletscherschmelze betroffen. Der Rückzug der Eisgiganten verändert das Ökosystem in den Alpen: Schneelandschaften werden irreparabel zu Fels- oder Steinwüsten, und der Mythos vom ewigen Eis geht für immer verloren.

Zudem kommen mit dem Schwinden der Gletscher erhebliche Herausforderungen auf uns zu, insbesondere für die Landwirtschaft, Trinkwasserversorgung und Stromproduktion. Momentan führt die Gletscherschmelze noch dazu, dass mehr Wasser fliesst. Aber auch die Schweizer Gletscher werden immer kleiner. Sind sie einmal weg, wird dieser Strom versiegen. Insbesondere trockenen Regionen wird das überschüssige Gletscherwasser ziemlich fehlen.

Das war auch mal anders. Im 17. Jahrhundert galt der damals noch vorrückende Grosse Aletschgletscher als Bedrohung. Deshalb legten die Bewohnerinnen und Bewohner von Fieschertal und Fiesch 1678 das Gelübde ab, tugendhaft zu leben und gegen das Wachstum des Gletschers zu beten. Das Gelübde wurde vom damaligen Papst beglaubigt.

Inzwischen haben sich die Dinge geändert. Das rasante Schmelzen des ewigen Eises bedroht die Lebensgrundlage der Bergbewohner: der Aletschgletscher soll darum wieder wachsen. Also wurden die Fieschertaler und Fiescher 2009 erneut beim Papst vorstellig. Sie baten darum, das Gelübde umkehren zu dürfen und neu für das Wachstum des Gletschers zu beten. Auch dieser Wunsch wurde genehmigt.

Ob sich der Gletscherschwund mit Beten bannen lässt, bleibt dahingestellt. Was sicher helfen würde: dass wir den Klimawandel in den Griff bekommen.

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