Professor Vetterli erklärt
So lösen wir das Plastik-Problem

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und Professor für Informatik. Diese Woche schreibt er über innovative Lösungen für das Plastikproblem.
Publiziert: 28.06.2021 um 10:34 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2021 um 08:51 Uhr
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Martin Vetterli ist Präsident der EPFL und Professor für Informatik.
Foto: François Wavre | lundi13
Martin Vetterli

… in einem Königreich auf einer weit entfernten Insel. Die Insel war ein kleines Paradies mit milden Temperaturen und üppiger Vegetation. Das Wasser war klar und die Luft rein. Bäume, Gärten und Felder strotzten vor frischen Speisen, und auch Feuerholz gab es massenhaft. Kurzum: Die Inselbewohner führten ein träges und glückliches Leben im Überfluss.

Doch langsam begannen sich auf der ganzen Insel Essensreste zu türmen, dichter Brandrauch erfüllte die Luft, und die ehemals klaren Seen wurden trübe und braun. Das Paradies wurde allmählich zur Hölle.

Aus dieser kurzen Geschichte lernen wir gleich zwei Dinge. Erstens: Was umsonst ist, wird verschwendet. Zweitens: Nichts ist wirklich umsonst. Manchmal sind die Kosten einfach versteckt oder tauchen erst später in einer anderen Form auf.

Nehmen wir Plastik. Dieses Wundermaterial ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Kunststoff kostet beinahe nichts und ist dazu auch noch praktisch, beständig und vielseitig einsetzbar. Dementsprechend nimmt die Plastikproduktion seit 70 Jahren stetig zu. Mittlerweile werden weltweit 370 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr hergestellt. Davon gelangen rund elf Prozent in unsere Gewässer, wo sie das Leben unzähliger Tiere in Gefahr bringen und jährlich volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe verursachen. Kosten, welche schlussendlich von der Gesellschaft getragen werden.

Durch die konsequente Anwendung des 3R-Prinzips – reduce, reuse and recycle – liesse sich das Plastikproblem zu einem grossen Teil vermeiden. Die Forschenden des ETH-Bereichs arbeiten kontinuierlich an neuen technischen Lösungen in allen drei Kategorien. Ziel ist es, die Kunststoffproduktion in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft überzuführen.

Verschiedene der innovativen Lösungen sind bereits marktreif. So zum Beispiel die Technologie des EPFL-Start-ups DePoly. Dem Jungunternehmen ist es gelungen, ein chemisches Verfahren zu entwickeln, welches PET-Kunststoffe vollständig in ihre Bestandteile zerlegt, die sich dann wieder ohne Qualitätsverlust zu neuwertigen Materialien zusammensetzen lassen. Die von DePoly entwickelte Technologie ist in mehrerer Hinsicht bahnbrechend: Sie schafft es, auch minderwertigen und verunreinigten PET-Müll aufzuarbeiten, der bis anhin vernichtet wurde. Der Prozess läuft bei Raumtemperatur ab und braucht daher wenig Energie. Und die benötigten Chemikalien sind rezyklierbar.

Andere Start-ups des ETH-Bereichs packen das Plastikproblem an der Wurzel. Sie arbeiten an Technologien, die es möglich machen, Kunststoff durch abbaubare, nachhaltig produzierte Materialien oder natürliche Abfallprodukte zu ersetzen.

Doch Technologien allein werden das Plastikproblem nicht lösen. Die nachhaltigste und effektivste Methode, um Müll zu reduzieren, ist immer noch, den Konsum zu vermindern. Das haben sich übrigens auch die Bewohner der weit entfernten Insel zu Herzen genommen. So konnten sie ihr kleines Paradies erhalten. Und sie lebten glücklich und zufrieden.

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