Wettrüsten beim Wintersport
Seilbahnen investieren 400 Millionen Franken

Der Wettbewerb unter den Tourismus-
Regionen ist voll entbrannt. Gekämpft wird mit Millionen für den Ausbau der Infrastruktur – vor allem zur Anbindung an den öffentlichen Verkehr.
Publiziert: 07.12.2019 um 23:37 Uhr
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Aktualisiert: 08.12.2019 um 09:31 Uhr
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Die Familie Arnold dreht die ersten Kurven auf den Pisten der Aletsch-Arena: Von links Tochter Annic, Walter Arnold, Austauschschülerin Georgia und Mutter Daniela.
Foto: ANDREA SOLTERMANN
Cyrill Pinto

Aus dem Kanton Zug mit der Bahn ins Wallis und von dort mit der Seilbahn auf die Piste: Was für viele umständlich klingt, ist für Familie Arnold aus Cham ZG selbst­verständlich – und überhaupt nicht stressig: «Ski und Taschen geben wir bei uns zu Hause ab, die SBB liefern das Gepäck direkt ins Chalet auf der Bettmeralp», sagt Walter Arnold.

Gern reist die vierköpfige Familie so in die Berge. Unterwegs haben sie bloss einen kleinen Rucksack dabei. «Unser Skiwochenende beginnt schon beim Einsteigen in den Zug in Cham», lacht Daniela Arnold und zieht auf der frisch präparierten Piste ihre Schwünge.

Immer mehr Skitouristen nutzen für die Fahrt in den Wintersport den öffentlichen Verkehr. Die Bergbahnen reagieren mit Millioneninvesti­tionen – vor allem für die Anbindung an den ÖV. So auch die Aletsch Arena in Fiesch VS, ein Zusammenschluss der Skiorte Riederalp, Bettmeralp und Fiescheralp. Die lassen sich ihr neues Terminal mit Anbindung an die Bahn 47 Millionen Franken kosten.

In acht Minuten auf die Fiescheralp

Ein nagelneuer Bahnhof ist entstanden, gestern wurde offiziell Eröffnung gefeiert. Gleich oberhalb besteigen die Gäste blitzblanke Gondeln, die sie in acht Minuten auf die Fiescheralp befördern. Für die Betreiber bedeutet die neue Anlage eine höhere Kapazität, für die Arnolds Zeitersparnis: Sie sind heute viel schneller auf der Piste als früher.

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Ähnlich mühelos gelangten in den letzten beiden Skisaisons wieder mehr Gäste in die Schweizer Wintersportorte – zuvor war die Auslastung jahrelang rückläufig: Nach dem Höchststand von 29 Millionen sogenannter Skier-Days in der Saison 2008/09 schmolz diese Kennzahl bis 2016/17 auf 20 Millionen zusammen. Erst im letzten Jahr wurden wieder 25 Millionen erreicht.

Wenn Andreas Keller vom Verband Seilbahnen Schweiz erklärt, warum das Geschäft mit dem Schnee so wechselhaft ist, zitiert er gern die drei W – Wetter, Währung und Wirtschaftslage.

Mit einheimischen Gästen Frankenschock kompensiert

Tatsächlich gab es bereits zu Beginn der zwei zurückliegenden Saisons viel Schnee. Sonnige Wochenenden im Februar und März kamen hinzu. Die gute Wirtschaftslage erlaubte vielen, sich Skiferien zu leisten. Und den Frankenschock kompensierten die Wintersportorte durch einen Zuwachs bei den einheimischen Gästen: War der Anteil von Schweizern und Ausländern vor sechs Jahren noch gleich, stieg die Quote der Schweizer Gäste inzwischen auf 64 Prozent. Statt am Strand in Bali surfen die Schweizer wieder vermehrt über heimische Schneehänge.

Die mageren Jahre nach der Wirtschaftskrise von 2008 führten bei Seilbahnbetreibern zu einem regelrechten Rückstand der Investitionen – den bauen sie nun ab: Allein in diesem Jahr investieren sie 400 Millionen Franken, eine Rekordsumme!

Andreas Keller von Seilbahnen Schweiz: «Nach dem Investitionsstau der Krisenjahre hat sich die finanzielle Lage bei diversen Unternehmen verbessert. Deshalb wird nun wieder mehr investiert.» Alte Anlagen weichen modernen Sessellifts: Wo bis in die 1990er Holzsitze genügten, bieten sie nun Alcan­tara-Ledersessel mit integrierter Sitzheizung und Gratis-WLAN.

Verdrängungskampf im Alpenbogen

Viel Geld geht auch in Beschneiungsanlagen und die dazugehörigen Speicherseen. Darüber hinaus setzen die Bahnen hohe Summen ein, um ihre Anlagen an den öffentlichen Verkehr anzubinden. Die neuen Bahnterminals in Fiesch und Grindelwald BE gelten als Leuchtturmprojekte der Branche, als wegweisend für die künftige Entwicklung.

Der Schweizer Wintersport in Zahlen
  • 80 Speicherseen für den Wintersport gibt es in der Schweiz.
  • 10'000 Personen finden im Wintertourismus eine Beschäftigung
  • 400'000'000 Franken werden 2019 in Skisportprojekte investiert
  • 1 Milliarde Franken werden jährlich mit Wintersport umgesetzt
  • 80 Speicherseen für den Wintersport gibt es in der Schweiz.
  • 10'000 Personen finden im Wintertourismus eine Beschäftigung
  • 400'000'000 Franken werden 2019 in Skisportprojekte investiert
  • 1 Milliarde Franken werden jährlich mit Wintersport umgesetzt

Die Schweizer Wintersportorte müssen mit Destinationen überall in den Alpen konkurrieren – denn auch anderswo investieren Bahnen kräftig in den Wintersport: allein 754 Millionen Euro sind es in Österreich. Im gesamten Alpenbogen ist ein riesiger Verdrängungskampf im Gange, den auch Schweizer Destinationen untereinander austragen. Nur wenige Topdestinationen können sich dieses Wettrüsten aus eigener Kraft leisten – immer häufiger muss der Steuerzahler aushelfen.

Dabei zeitigt der massive Ausbau des alpinen Wintertourismus auch negative Folgen. Carmen de Jong von der französischen Universität Strassburg, die seit Jahren die Auswirkungen des Skitourismus auf die Natur im Oberengadin studiert, hat sich auf deren Erforschung spezialisiert. Zu SonntagsBlick sagt die Wasserspezialistin: «Skitourismus ist weit davon entfernt, nachhaltig zu sein.» Um überhaupt eine fahrbare Unterlage für Snowboarder, Schlittler und Skifahrer zu erhalten, braucht es drei Tage mit mindestens drei Grad minus. Solche Perioden sind mit dem extremen Anstieg der Temperaturen in den Alpen seltener geworden; die Saison fällt immer häufiger ins Wasser.

200 Liter Diesel pro Pistenfahrzeug-Einsatz

Die kalten Phasen in den Bergen werden immer kürzer. Selbst hoch gelegene Wintersport-Regionen wie Zermatt VS reagieren darauf mit flächendeckender Pistenbeschneiung. Um die Lanzen mit Wasser zu versorgen, entstanden überall in den Alpen neue Speicherseen – allein in der Schweiz existieren inzwischen 80 solcher Becken, weitere 30 sind geplant. «Den Becken müssen oft Moore weichen, die werden unwiderruflich zerstört», sagt Hydrologin de Jong. Der Wasserverlust durch Verdunstung und poröse Leitungen beträgt bis zu 40 Prozent. Und damit der Schnee länger hält, pressen ihn Heerscharen von Pistenfahrzeugen Nacht für Nacht wieder zusammen. Ein einziges verbraucht pro Einsatz 200 Liter Diesel – bei entsprechend hohem CO2-Ausstoss.

Die steigende Konzentration des Klimagases in der Atmosphäre wiederum führt dazu, dass die Zahl der Tage sinkt, an denen es auch ohne Schneekanonen schneit. So wunderbar es auf unseren Skipisten ist: Der Teufelskreis ist perfekt.

Es geht auch ohne Schneekanonen!

Kommentar von Cyrill Pinto, News-Redaktor

Wer in diesem Sommer von der Fiescheralp nach Betten spazierte, sah das hässliche Ding: ein neues Speicherbecken, das oberhalb des malerischen Bettmersees entstand. Inzwischen schiebt sich ein etwa 100 Meter langer Erdwall in die Landschaft.

Das Becken soll kostbares Wasser für die Wintersaison zurückhalten. Für die Zeit, wenn die Betreiber des Skigebiets 
Unmengen davon für ihre Beschneiungsanlagen brauchen.

In tiefer gelegenen Skigebieten des deutschen Schwarzwalds karrt man 
Wasser inzwischen sogar per Lastwagen heran. Es wird immer augenfälliger: Alles muss sich dem Skisport unterordnen, vor allem betroffen ist die Landschaft.

Von Mitte Dezember bis Ostern muss eine weisse Unterlage her – auf Biegen und Brechen! Noch die höchstgelegenen Skigebiete lassen ihre Schneekanonen fast flächendeckend arbeiten. Das kostet. Im ganzen Alpenbogen setzen Bergbahnen Milliarden dafür ein – oft Geld, das sie eigentlich nicht haben. Denn es fehlt später für Investitionen in den Sommertourismus.

Die alpinen Fremdenverkehrsregionen stehen sich selbst im Weg. Auch kleinere Gebiete 
könnten mit einem intelligenten Winterkonzept, das nicht nur auf Skisport 
setzt, Gäste in die Berge locken: Winterwandern, Schneeschuhlaufen oder Ski­touren gelten als nachhaltige Trend­sportarten.

Gestresste Städter suchen im Winter wie im Sommer Ruhe und Erholung in intakter Natur – und sind auch bereit, Geld dafür auszugeben.

Cyrill Pinto, News-Redaktor

Kommentar von Cyrill Pinto, News-Redaktor

Wer in diesem Sommer von der Fiescheralp nach Betten spazierte, sah das hässliche Ding: ein neues Speicherbecken, das oberhalb des malerischen Bettmersees entstand. Inzwischen schiebt sich ein etwa 100 Meter langer Erdwall in die Landschaft.

Das Becken soll kostbares Wasser für die Wintersaison zurückhalten. Für die Zeit, wenn die Betreiber des Skigebiets 
Unmengen davon für ihre Beschneiungsanlagen brauchen.

In tiefer gelegenen Skigebieten des deutschen Schwarzwalds karrt man 
Wasser inzwischen sogar per Lastwagen heran. Es wird immer augenfälliger: Alles muss sich dem Skisport unterordnen, vor allem betroffen ist die Landschaft.

Von Mitte Dezember bis Ostern muss eine weisse Unterlage her – auf Biegen und Brechen! Noch die höchstgelegenen Skigebiete lassen ihre Schneekanonen fast flächendeckend arbeiten. Das kostet. Im ganzen Alpenbogen setzen Bergbahnen Milliarden dafür ein – oft Geld, das sie eigentlich nicht haben. Denn es fehlt später für Investitionen in den Sommertourismus.

Die alpinen Fremdenverkehrsregionen stehen sich selbst im Weg. Auch kleinere Gebiete 
könnten mit einem intelligenten Winterkonzept, das nicht nur auf Skisport 
setzt, Gäste in die Berge locken: Winterwandern, Schneeschuhlaufen oder Ski­touren gelten als nachhaltige Trend­sportarten.

Gestresste Städter suchen im Winter wie im Sommer Ruhe und Erholung in intakter Natur – und sind auch bereit, Geld dafür auszugeben.

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