Die Not in der Rhonestadt war gross, das Nein umso unverständlicher. Am Dienstag bat das Universitätsspital Genf sein Pendant im Kanton Zürich, angesichts der prekären Lage in der Romandie einen ersten Covid-Patienten zu übernehmen. Doch das Unispital Zürich lehnte die Anfrage ab, so schildert es zumindest der Genfer Gesundheitsdirektor Mauro Poggia (61). Der Grund: In Zürich wollte man Kapazitäten für eigene Operationen sicherstellen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete. Verärgert griff Poggia zum Telefon und schilderte Gesundheitsminister Alain Berset (48, SP) die Lage, woraufhin dieser am Mittwoch den Kantonen den Tarif durchgab. «Es ist inakzeptabel, dass einige Kantone weiterhin Wahleingriffe durchführen und Patienten aus anderen Kantonen ablehnen», wetterte Berset vor den Medien. Poggia doppelt im Gespräch mit SonntagsBlick nach: «Die Solidarität zwischen den Kantonen spielt derzeit nicht richtig.» Es sei «kurzsichtig» von Deutschschweizer Spitälern, derzeit Wahleingriffe durchzuführen. In der Romandie haben die Spitäler alle nicht zwingenden Eingriffe verschieben müssen, um über genügend Betten für Corona-Patienten zu verfügen.
Zusammen mit dem obersten Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (45) forderte Berset die Kantone diese Woche in einem Brief auf, Wahleingriffe zurückzufahren.
«Die Spitäler wissen selber genau, wann sie die Notbremse ziehen müssen.»
Doch mancherorts stösst Bersets Empfehlung auf taube Ohren. In Zürich und Thurgau etwa sieht man derzeit keinen Bedarf an einer Reduktion der nicht zwingenden Eingriffe. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Transfer von schwer erkrankten Personen in andere Kantone im Normalfall offenbar funktioniert. So wurden Corona-Patienten aus dem stark betroffenen Kanton Schwyz auf andere Innerschweizer Spitäler verteilt; auch in der Nordwestschweiz werden Patienten kantonsübergreifend verlegt. Im Unispital Zürich liegen ebenfalls 14 Corona-Patienten aus anderen Kantonen. Die Spitalleitung teilte am Freitag mit, sie habe keine Kenntnis vom Fall des zurückgewiesenen Patienten aus Genf.
Die ehemalige Direktorin des Unispitals Zürich, Rita Ziegler (67), sieht anders als Berset keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. «Nach der ersten Welle hat sich gezeigt, dass die Spitäler eher überlastet waren, weil die nicht dringlichen Eingriffe im Sommer nachgeholt werden mussten», sagt Rita Ziegler. Und: «Solange die Kapazitäten noch vorhanden sind, können auch nicht dringliche Operationen durchgeführt werden. Eingriffe vorsorglich abzusagen, finde ich nicht effizient. Die Spitäler wissen selber genau, wann sie die Notbremse ziehen müssen.»
Übergriffe auf Spitalpersonal
H+ möchte zuerst Geld sehen
Wenn Betten vorsorglich frei gehalten würden, entstünden den Spitälern hohe Kosten. Der Branchenverband H+ forderte diese Woche, dass erst Verhandlungen über Ausgleichszahlungen stattfinden müssten, ehe die Spitäler die nicht dringlichen Eingriffe reduzierten.
In Bundesbern hat man für solche Forderungen wenig Verständnis. «Die Forderung von H+ ist absurd», heisst es im Umfeld von Gesundheitsminister Berset. In Bundesbern stellt man sich auf den Standpunkt: Diese Ausgleichszahlungen sind Sache zwischen den Kantonen und den Spitälern, es kann darum nicht sein, dass der Bund für Finanzierungslücken aufkommen muss.
Der Genfer Gesundheitsminister Mauro Poggia ist einverstanden damit, dass die Kantone für die Kosten der bereitgestellten, also leeren, Betten aufkommen – aber nicht alleine. Der Bundesrat müsse die Krankenkassen dazu bringen, sich ebenfalls zu beteiligen. «Man muss für leere Betten ja nicht den vollen Tarif abrechnen wie zu normalen Zeiten», sagt Poggia, «da braucht es jetzt ein wenig Kreativität.» Es könne aber nicht sein, dass die Kantone auf den gesamten Kosten sitzen blieben.
Die Spitalbetten werden knapp
Curafutura, einer der beiden Branchenverbände der Krankenkassen, will von dieser Forderung nichts wissen. Sprecher Ralph Kreuzer sagt: «Die Finanzierung ist Sache zwischen Bund und Kantonen. Wir können nicht für Leistungen bezahlen, die nicht bezogen wurden, daher halten wir uns aus diesen Diskussionen heraus.»
Und so schieben sich Bund, Kantone und Krankenkassen gegenseitig den Ball zu. Stets in der Hoffnung, dass am Ende der andere zahlen möge – und man selber angesichts aller anderen Kosten nicht auch noch zur Kasse gebeten wird.