Herr Bolte, bislang sind vier Zulassungsgesuche bei Swissmedic eingegangen. Welcher Impfstoff hat die Nase vorn?
Claus Bolte: Astra Zeneca, Pfizer/Biontech und Moderna haben ihre Gesuche innert weniger Wochen eingereicht. Etwas später kam Janssen hinzu. Da es sich um ein rollendes Verfahren handelt – die klinischen Studien sind noch nicht abgeschlossen – kann man durchaus von einem Kopf-an-Kopf-Rennen sprechen. Bald wissen wir mehr.
Konkret?
Wir müssen die Resultate der klinischen Studien plausibilisieren, also nachvollziehen können. Bei einigen Punkten besteht Klärungsbedarf zur Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit. Unsere Rückfragen werden mal zügiger, mal langsamer beantwortet.
Stellen die Hersteller die Resultate der klinischen Studien allen Zulassungsstellen gleichzeitig zur Verfügung?
Mit geringen zeitlichen Differenzen, ja. Die Schweiz gehört mit den USA, mit Kanada, Europa und England zu den Ländern, die als Erstes mit Daten bedient wird.
Welche Daten fehlen noch?
Besonders bei den Altersgruppen der über 65-Jährigen und der 12- bis 18-Jährigen fehlen uns noch Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit. Und wir wissen noch immer zu wenig, wie Personen mit Vorerkrankungen und Risikopatienten auf die Impfstoffe reagieren.
Wann wissen Sie mehr?
Kommende Woche erwarten wir ein weiteres Set von Daten, das uns hoffentlich Aufschluss darüber gibt. Wenn wir die Risiken für vorerkrankte oder ältere Menschen nicht klar benennen können, müssten wir zunächst von einer Zulassung für diese Bevölkerungsgruppen absehen.
Dann würde der Schweizer Impfplan, der vorsieht, zuerst besonders gefährdete Personen und das Gesundheitspersonal zu impfen, zur Makulatur.
Das ist ein mögliches Szenario. Der Bund müsste dann seine Impfstrategie umgestalten. Ein Zielkonflikt, den wir uns natürlich so nicht wünschen. Wir gehen jedoch davon aus, von den Pharmaunternehmen rechtzeitig entsprechende Daten zu erhalten.
Kann man schon sagen, welcher Impfstoff sich am besten für welche Bevölkerungsgruppe eignen wird?
Noch nicht. Die Pharmafirmen verfolgen unterschiedliche Strategien. Während die einen ihr Präparat bereits in den ersten zwei Testphasen auch Risikopatienten verabreicht haben, haben andere zugewartet. Wir brauchen unbedingt noch mehr Daten, die zeigen, wie insbesondere verletzliche Personen reagiert haben. Letztlich geben nur Langzeitbeobachtungen Aufschluss über seltene Nebenwirkungen.
Claus Bolte (58) arbeitet seit 2012 für die Schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte Swissmedic. Zuerst amtete er als Leiter Clinical Review. Seit 2017 leitet er den Bereich Zulassung. Vor seiner Tätigkeit bei Swissmedic arbeitete Bolte mehr als 20 Jahre als Mediziner und Chirurg an Spitälern und als Forscher in der Pharma-, Biotech- und Medizinprodukte-Industrie in Europa und den USA.
Claus Bolte (58) arbeitet seit 2012 für die Schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte Swissmedic. Zuerst amtete er als Leiter Clinical Review. Seit 2017 leitet er den Bereich Zulassung. Vor seiner Tätigkeit bei Swissmedic arbeitete Bolte mehr als 20 Jahre als Mediziner und Chirurg an Spitälern und als Forscher in der Pharma-, Biotech- und Medizinprodukte-Industrie in Europa und den USA.
Dabei müssen Sie sich auf die Angaben der Hersteller verlassen.
Anders wäre es gar nicht möglich. Gerade bei Impfstoffen werden die klinischen Studien global in verschiedenen Klimazonen durchgeführt. Studienprotokolle sind rechtlich bindend, werden behördlich geprüft und genehmigt. Das Verhalten der Menschen, die Art der Verabreichung, die Kühlketten; alles wird von den Herstellern dokumentiert und vor Ort inspiziert. Es ist eine Arbeitsteilung in einem Netzwerk internationaler Heilmittelbehörden.
Die Leiterin Infektionskontrolle beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), Virginie Masserey, sagte in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag», dass die Impfungen im Januar starten. Teilen Sie diesen Optimismus?
Diverse Vorbereitungen laufen parallel. Das BAG und die Armee arbeiten bereits an der Logistik. Die Kantone evaluieren eine Strategie zur Feinverteilung. Impfzentren müssen aufgebaut und Kühlketten sichergestellt werden. Damit alles parat ist, wenn wir grünes Licht geben. Wenn das alles zusammenspielt, ist eine landesweite Impfaktion ab Januar realistisch. Aber nochmals: ohne Zulassung kein Impfstoff.
Die Geduld der Bevölkerung ist erschöpft.
Wie zügig wir Zulassungen erteilen können, liegt im Wesentlichen an der Bereitschaft der Hersteller, uns effizient mit erforderlichen Daten zu bedienen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Andere Zulassungsgesuche stellen wir derzeit sogar zurück.
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Wie stellen Sie sicher, dass der Impfstoff absolut einwandfrei ist?
In dieser Pandemie gibt es keine absoluten Sicherheiten. Bei jedem neuen Wirkstoff sind die Risiken am Anfang etwas höher, als wenn man ein Präparat schon sehr lange kennt. Zulassungen gibt es weltweit nur bei positiver Nutzen-Risiko-Bilanz. Die Forschung ist nach der Zulassung der Impfstoffe noch nicht beendet. Nach der Einführung werden die Impfstoffe mit der Pharmacovigilance engmaschig überwacht.
In England wurde bereits eine 90-jährige Dame geimpft. Möglich gemacht hat das eine Notzulassung. Warum kennt die Schweiz ein solches Verfahren nicht?
Für Impfstoffe wurden hierzu keine entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Die Covid-19-Verordnung erlaubt uns lediglich, Arzneien in Verkehr zu bringen, während wir sie noch prüfen. Bei aller Eile, uns obliegt eine grosse Verantwortung. Abstriche bei der Sicherheit zu machen, wäre fatal. Die Welt schaut auf uns. Damit ist eine grosse Verantwortung verbunden.
Wie meinen Sie das?
Unsere Entscheide, welche Impfstoffe für welche Bevölkerungsgruppe zugelassen werden, bilden auch die Evaluationsgrundlage für rund 80 Zulassungsbehörden rund um den Globus. Wir geniessen weltweit Vertrauen, das verpflichtet uns.
Die Zulassung und Verteilung der Impfstoffe hat in den letzten Tagen weltweit Fahrt aufgenommen. Als erstes Land hat Grossbritannien per Notfallzulassung den Weg für Corona-Impfungen von Biontech und Pfizer frei gemacht. Die Briten hatten sich im Vorfeld 40 Millionen Dosen des Präparats gesichert. Die Europäische Arzneimittel-Agentur will nach eigenen Angaben Ende Dezember über den Biontech-Impfstoff und voraussichtlich Mitte Januar über den Impfstoff der US-Firma Moderna entscheiden.
In den USA ist die Notfallzulassung des Corona-Impfstoffs von Biontech und Pfizer just vorgestern Freitag erfolgt. Am 17. Dezember soll der Moderna-Impfstoff folgen. Die chinesischen Behörden geben an, dass bereits über eine Million Menschen mit einheimischen Präparaten geimpft worden sei. Die Schweiz hat Verträge mit drei Impfstoffherstellern unterschrieben. Nebst Moderna (insgesamt rund 7,5 Millionen Impfdosen) handelt es sich dabei um die Impfstoffhersteller Pfizer/Biontech (rund 3 Millionen Impfdosen) und Astrazeneca (rund 5,3 Millionen Impfdosen). Eine Zulassung könnte bereits im Januar erfolgen.
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