«Nach der Wahl brach für mich eine Welt zusammen»
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Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter:«Nach der Wahl brach für mich eine Welt zusammen»

Sepp Blatter (88) blickt zurück
«Ich war zu gutmütig»

Der ehemalige Fifa-Präsident redet über seine Lebenskrise, die Feindschaft mit Gianni Infantino, sein neues Leben als Zünfter, Ueli Maurers Treue und eine untätige Zürcher Stadtregierung.
Publiziert: 10.03.2024 um 09:05 Uhr
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Aktualisiert: 10.03.2024 um 15:32 Uhr
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Seelische Narben: Sepp Blatter am Mittwoch in seiner Zürcher Wohnung.
Foto: Valeriano Di Domenico

Sepp Blatter. Dieser Name steht für den Aufstieg eines Schweizers in die höchsten Sphären der Sportwelt. Aber auch für eine Saga aus Intrigen, Verrat und Undank. 1974 stiess der Oberwalliser zum Weltfussballverband in Zürich, der damals elf Mitarbeiter zählte. Als er 1998 dessen Präsident wurde, übernahm er einen verschuldeten Laden. Bei seinem Abtritt 2015 überliess er seinem Nachfolger Gianni Infantino (53) einen globalen Player mit 1,5 Milliarden Dollar Reserven, 1,4 Milliarden Cash und 11,6 Milliarden in Form von TV- und Marketing-Verträgen – gültig bis 2030.

Das Jahr 2015 sollte Blatter traumatisch in Erinnerung bleiben – die Bilder von der Razzia gegen käufliche amerikanische Fifa-Funktionäre im Zürcher Hotel Baur au Lac gingen um die Welt. Die Ethikkommission hat den Präsidenten daraufhin suspendiert. Der vormals mächtigste Schweizer in der Geschichte wurde gnadenlos gescholten, auch in der hiesigen Presse. Helvetien hadert mit Grösse.

Blatter verliess die Organisation, der er über vier Jahrzehnte diente, durch die Hintertür. Trotz seiner Leistungen wurde er nie formell von der Fifa verabschiedet. Dafür eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren gegen ihn und Michel Platini wegen einer Zwei-Millionen-Zahlung der Fifa an Platini, das später in einem Freispruch endete.

Diese Narben sind bei Blatter noch nicht verheilt; nun hat er diese Vorgänge – aus seiner Sicht – in einem Buch mit dem Titel «Overtime» verarbeitet. Heute feiert er seinen achtundachtzigsten Geburtstag. Er hat SonntagsBlick in seiner Zürcher Wohnung zum Gespräch empfangen.

Wie soll man Sie ansprechen? Herr Blatter oder Herr Präsident?
Sepp Blatter: Ich habe am liebsten, wenn man mich mit «Salü Sepp» anspricht.

Also, Sepp – in deinem Buch schilderst du die Anekdote, wie du beim Ausfüllen eines Kreuzworträtsels «Fifa-Präsident» mit sieben Buchstaben wissen musstest. Natürlich lautete die Lösung «Blatter». «Infantino» passte nicht hinein. Wie gut hast du dich vom Amt lösen können?
Vom Amt konnte ich mich lösen. Aber man darf nicht vergessen: Ich war 42 Jahre bei der Fifa und bin jetzt seit 50 Jahren in Zürich. Ich kam per Handschlagvertrag mit João Havelange zum Verband, dem ich mein Leben widmete, ich machte jahrelang keine Ferien – und wurde 2015 unsanft hinausgedrängt. Schuld war die Ethikkommission ...

… die du einst selber gegründet hast.
Das war ein sehr unhöflicher Abschied. Das hat mir aufs Gemüt geschlagen. Es kann doch nicht sein, dass ich so lange in einem Betrieb mit Herz und Seele dabei war und am Schluss statt eines Dankeschöns die Suspension erfolgt – und dann kam noch die Justiz!

Der Bundesanwaltschaft eröffnete gegen dich und Michel Platini ein Verfahren.
Dann schaltete sich noch die US-Justiz ein. Plötzlich stand ich da, und der «Spiegel» titelte: «Korruption.» Und auch die Schweizer Medien wiesen kaum mehr auf die Unschuldsvermutung hin.

Im Buch heisst es: «Mein Name wird noch heute so stark mit der Fifa in Verbindung gebracht, dass meine Rehabilitation für die ganze Institution von grosser Bedeutung ist.» Hat Sepp Blatter Angst um sein Lebenswerk?
Es geht mir nicht nur um mein Lebenswerk, es geht um die ganze Fifa und was wir faktisch zusammen mit der Stadt Zürich und der Schweiz vollbracht haben. Ich habe mein Leben da reingesteckt. Und plötzlich ist alles weg. Das hat mich schwer getroffen.

Was dir auch gesundheitlich zugesetzt hat.
Ich hatte einen physischen Zusammenbruch. Im Spital lag ich zehn Tage im Koma. Dann habe ich die Engel gesehen. Sie zogen aber wieder ab, weil bei Petrus oben geschlossen war (lacht).

Dein Nahtoderlebnis.
Das Herz tat noch, aber die Lungen funktionierten nicht mehr richtig. Erst 2020 ging es mir gesundheitlich wieder gut. Später wurde mir bewusst, dass es sich bei den Engeln wohl um die Pflegerinnen handelte, die sich um mich kümmerten.

Der auferstandene Sepp.
Ich dachte über das Ganze nach – was sollte ich machen? Dann merkte ich, dass ich hier in Zürich noch Freunde und Kollegen habe. Ich begann, mich gesellschaftlich wieder mehr zu engagieren, mit dem «Angst-Stamm», dem «Gusti-Cup», einem Zusammentreffen von Fussballveteranen und Freunden, mit dem Ehrenpräsidium der GC Legends, mit meiner Mitgliedschaft bei den «exklusiven Kennern des Fussballs», und dann bin noch Zünfter geworden!

Bald ist Sechseläuten!
Es ist keine offizielle Zunft, die am Sechseläuten teilnimmt. Die Zunft zum Stauffacher ist erst noch am Entstehen.

Wie war das Verhältnis zur Schweizer Politik? Ueli Maurer schreibt im Buch ein salbungsvolles Vorwort über dich.
Als Fifa-Präsident arbeitete ich mit dem Aussendepartement zusammen – ich habe im Amt ja auch die Schweiz vertreten und habe die Schweiz verteidigt. Wenn ich von Staats- und Regierungschefs eingeladen wurde, organisierte ich selbstverständlich, dass der jeweilige Schweizer Botschafter dabei ist. Auch ein Bundespräsident, Pascal Couchepin, stattete mir einen Besuch ab. Der einzige Bundesrat aber, der sich bis am Schluss vor mich gestellt hat, war Ueli Maurer. Er hatte mich auch nachher, als es mir schlecht ging, in sein Büro eingeladen.

Gleichzeitig macht dir ein Schweizer am meisten zu schaffen: Dein Nachfolger Gianni Infantino wird über 40-mal im Buch erwähnt. «Was ich in vier Jahrzehnten aufgebaut habe, will mein Nachfolger fast schon in pathologischer Konsequenz zerstören», schreibst du.
Infantino hat sich auch mit seiner Rede in Doha selbst disqualifiziert …

«Heute fühle ich mich schwul, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant»...
Manches von dem stimmt, was er sagte. Im Ernst: Das ist eine derart respektlose Behandlung seines Vorgängers, wenn man schaut, was ich ihm übergeben habe!

Persönlich

Sepp Blatter wurde am 10. März 1936 in Visp geboren. Im Fussball-Weltverband Fifa arbeitete er während 17 Jahren als Generalsekretär – und noch einmal so lange als Präsident. 2015 wurde er suspendiert, hauptsächlich wegen einer Zahlung in Höhe von zwei Millionen Franken an Michel Platini, der damals Uefa-Präsident war. Die Bundesanwaltschaft klagte deswegen beide an. Am 8. Juli 2022 wurde aber sowohl Blatter als auch Platini freigesprochen.

Sepp Blatter wurde am 10. März 1936 in Visp geboren. Im Fussball-Weltverband Fifa arbeitete er während 17 Jahren als Generalsekretär – und noch einmal so lange als Präsident. 2015 wurde er suspendiert, hauptsächlich wegen einer Zahlung in Höhe von zwei Millionen Franken an Michel Platini, der damals Uefa-Präsident war. Die Bundesanwaltschaft klagte deswegen beide an. Am 8. Juli 2022 wurde aber sowohl Blatter als auch Platini freigesprochen.

Du schilderst, wie du vom neuen Fifa-Chef zur Persona non grata erklärt wurdest. Im Juni hättest du als Ehrengast einer Investmentfirma im Fifa-Museum auftreten sollen. Als die Fifa-Spitze davon erfuhr, drohte sie mit der Polizei, weil du dort Hausverbot haben sollst.
Ein anderes Beispiel: Von meiner Uhrenkollektion befindet sich noch eine ganze Serie bei der Fifa – alles Uhren, die ich selber bezahlt habe! Über unsere Anwälte wurde vereinbart, dass ich meine Uhren abholen darf. Ich musste mit Quittungen beweisen, dass das meine Uhren sind. Doch dann griff Infantino durch und liess ausrichten: «Solange ich Präsident bin, kommt Blatter nicht in die Fifa.»

Andernorts heisst es: «Ich war der festen Überzeugung, dass mit Infantino als Nachfolger eine geordnete und würdevolle Stabsübergabe garantiert war. Es sollte meine wohl grösste Fehleinschätzung in einem halben Jahrhundert Berufsleben sein.» Harte Worte! Macht Infantino die Fifa kaputt?
Die Fifa und den Fussball mit seinen zwei Millionen Followern auf der ganzen Welt kann man nicht kaputtmachen. Fifa ist Fussball. Die Fifa bringt man nicht mehr weg. Aber es braucht eine andere Führung.

Immer wieder warnst du davor, dass die Fifa schrittweise aus der Schweiz abwandert, auch im Buch wieder.
Die Fifa kam in die Schweiz aus zwei Gründen. Anfang der 30er-Jahre sagte der Sekretär, damals ein Holländer: «Wir kommen in die Schweiz, weil unser Geld hier sicher ist.» Zweitens blieb die Fifa im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs gleich hier, weil die Schweiz ein neutrales Land ist. Ich kann nicht verstehen, wieso die Stadt Zürich nicht mehr für den Verbleib der Fifa tut.

Sollte sich der Stadtrat mehr für den Fifa-Standort einsetzen?
Die Zürcher Stadtregierung sollte sich vielleicht einmal äussern – oder mit mir reden. Ich meine nicht Sportvorsteher Filippo Leutenegger, sondern die Stadtpräsidentin.

... namens Corine Mauch.
Sie wird aus Zeitgründen auch nicht an die Vernissage meines Buchs kommen. Sie sollte es mal lesen. Dann wüsste sie, welchen Wert die Fifa für Zürich hat. Zum Vergleich: Lausanne, wo nie Olympische Spiele stattfanden, darf sich auf Geheiss des IOC olympische Hauptstadt nennen. Vielleicht hätte ich als Fifa-Präsident Zürich zur Hauptstadt des Fussballs erklären sollen.

Bereust du das?
Eigentlich schon. Aber ich glaubte immer ans Gute. Deshalb liess ich mich 2015 mit 79 Jahren nochmals wählen.

War das ein Fehler?
Das war zumindest ein grosser Irrtum. Das hätte ich nicht machen sollen. In dem Moment war aber niemand anderes da. Michel Platini wollte nicht – er schien damals gewusst zu haben, dass etwas los ist.

Wie hast du das erfahren?
Meinem Bruder sagte er 2015 beiläufig, er solle mich von einem Kongress abraten, weil wir sonst in «Menottes» enden würden, also in Handschellen.

Platini wusste es und warnte dich?
Er schien etwas geahnt zu haben.

Nochmals zum Stichwort Neutralität: Du hast dich letzthin politisch geäussert und unterstützt die SVP-Neutralitäts-Initiative. Warum?
Erstens: Mit meinen 1500 Diensttagen im Militär predigte ich als Regiments-Kommandant jeden Tag unsere Neutralität.

Und dann noch mit alt Bundesrat Maurer befreundet – Blatter, der SVPler?
Ich bin nicht Mitglied einer Partei. Ich stamme aber aus einem demokratischen Haushalt und vertrete das liberale Gedankengut.

Bemerkenswert für einen Walliser. Du bist christlich geprägt. Viele Wegbegleiter haben dir in den Jahren den Rücken zugekehrt, von manchen fühltest du dich verraten. Wie einfach ist es, zu vergeben?
(Überlegt.) Ich war im Nachhinein zu gutmütig. Hätte ich die Fifa geführt, wie man ein Regiment führt, hätte ich die Kontrolle gehabt. Aber ich habe allen getraut. Nelson Mandela, mit dem ich ein ganz besonderes Verhältnis pflegte, sagte einst: «Forgive, but not forget.» Vergeben, aber nicht vergessen.

Das entgegnet die Fifa auf die Vorwürfe

«Sepp Blatter hat nicht im besten Interesse der Fifa gearbeitet», teilt Fifa-Mediendirektor Bryan Swanson SonntagsBlick mit. Im Dezember 2020 habe die Ethikkommission festgehalten, dass der Ruf der Fifa durch Blatters Verhalten «ernsthaft geschädigt» worden sei. Der Ex-Präsident habe «seine eigenen persönlichen und finanziellen Interessen auf Kosten der Fifa verfolgt». Unter Gianni Infantino sei der Weltverband «eine weitaus offenere und transparentere Organisation, in der Geld nicht mehr verschwindet». Der Fifa gehe es «heutzutage viel besser».

«Sepp Blatter hat nicht im besten Interesse der Fifa gearbeitet», teilt Fifa-Mediendirektor Bryan Swanson SonntagsBlick mit. Im Dezember 2020 habe die Ethikkommission festgehalten, dass der Ruf der Fifa durch Blatters Verhalten «ernsthaft geschädigt» worden sei. Der Ex-Präsident habe «seine eigenen persönlichen und finanziellen Interessen auf Kosten der Fifa verfolgt». Unter Gianni Infantino sei der Weltverband «eine weitaus offenere und transparentere Organisation, in der Geld nicht mehr verschwindet». Der Fifa gehe es «heutzutage viel besser».

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