Walliser Verwandtschaften am Bundesstrafgericht
Dieser Fifa-Prozess ist Familiensache

Beim Prozess gegen Sepp Blatter und Michel Platini führen auffällig viele Spuren in ein Oberwalliser Dorf. Und eine Zwei-Millionen-Rechnung hinter Blatters Schreibtisch gibt zu reden.
Publiziert: 05.06.2022 um 01:06 Uhr
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Sepp Blatter (l.) und Michel Platini, hier 2015, waren einst enge Verbündete.
Foto: Getty Images
Reza Rafi

Am Mittwoch schaut die Welt auf Bellinzona TI. Dann stehen zwei Dinosaurier der Sportwelt vor dem Bundesstrafgericht: Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter (86) und Ex-Uefa-Präsident Michel Platini (66). Es geht um eine Zahlung von zwei Millionen Franken, die der Weltfussballverband 2011 an den ehemaligen Blatter-Intimus Platini tätigte.

Die Überweisung sei ohne rechtliche Grundlage erfolgt, getarnt als Beraterhonorar und zum Schaden der Fifa, sagen Bundesanwaltschaft und Verband, der als Privatkläger auftritt.

Das war alles rechtens, entgegnen die Angeklagten. Sie streiten die Anschuldigungen vehement ab: Bei Blatter gehts um Veruntreuung, ungetreue Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung. Kicker-Legende Platini muss sich wegen Betrug, Gehilfenschaft bei Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsbesorgung sowie Urkundenfälschung verantworten.

Mütterlicherseits ist Blatter ein Nellen

Gewiss, im Tessin wird ein Kapitel globaler Sportgeschichte aufgearbeitet – aber nicht nur. Tatsächlich bewegt sich ein wesentlicher Teil der Auseinandersetzung innerhalb eines kleinen geografischen und kulturellen Radius.

Die Spuren führen – wohin sonst? – ins Oberwallis. Genauer: nach Baltschieder, einer 1300-Seelen-Gemeinde unweit von Visp. Von dort stammt ein Geschlecht namens Nellen. Dem gehört, dank seiner Mutter Bertha Nellen, auch Blatter an.

Platini ist nicht mehr gut auf den Walliser zu sprechen. Im Zuge der WM-Vergabe nach Katar, für die der Franzose lobbyierte, wurde viel Geschirr zerschlagen. Und wer vertritt Platini in Bellinzona? Bingo: Rechtsanwalt Dominic Nellen (35), seines Zeichens Kanzleipartner und Sprössling der ehemaligen SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen (69). Beide sind waschechte Berner, die Wurzeln ihres Stammbaums jedoch reichen bis zur anderen Seite des Lötschbergs. Baltschieder lässt grüssen.

Ein Ausstandsbegehren wurde abgeschmettert

Damit nicht genug: Der in dem Dossier federführende Staatsanwalt des Bundes und damit eigentlicher Gegenspieler Blatters ist Thomas Hildbrand. Dessen Schwester heiratete einst einen Cousin Blatters mütterlicherseits – einen Nellen.

Diese entfernte Verschwägerung mit dem Ankläger bewog Blatter 2019 zu einem – erfolglosen – Ausstandsbegehren, das die «Neue Zürcher Zeitung» damals publik machte. Blatters Motiv war Selbstschutz: Der Ex-Fifa-Präsident befürchtet, dass ihm die Konstellation bei einem positiven Ausgang des Verfahrens als Beziehungsvorteil ausgelegt würde.

So betrachtet, ist der eigentliche Exot im Gerichtssaal Blatters Verteidiger Lorenz Erni (71). Er trägt einen Zentralschweizer Nachnamen, seine Kanzlei hat er im Zürcher Kreis 4.

Für die Franzosen sind solche genealogischen Spielereien zweitrangig. Michel Platini gilt in der Grande Nation noch immer als «Maestro des französischen Fussballs»; in den kommenden drei Wochen, für die der Prozess angesetzt ist, geht es um das Schicksal ihrer Ikone. Der Schweizer spielt für die dortige Öffentlichkeit eher die Nebenrolle.

Wirbel um einen Fund der Bundespolizei

Umso mehr pikante Details tauchen im Vorfeld der Verhandlung auf, die Anlass zu Spekulationen geben: Wie aus den Verfahrensakten hervorgeht, hat die Bundespolizei erst bei einer Hausdurchsuchung 2015 zufällig die Rechnung jener ominösen Zwei-Millionen-Zahlung entdeckt – in einem Möbelstück hinter Blatters Schreibtisch.

War der Beleg für den Fifa-Boss ein Faustpfand, um Platini als seinen Nachfolger im Amt des Fifa-Präsidenten zu verhindern? Davon sind manche im Umfeld des Weltfussballverbands überzeugt. Das sei Unsinn, entgegnet das Blatter-Lager.

Sicher ist: Mit diesem Prozess ist der Fifa-Komplex noch nicht erledigt. Parallel wird im Fall der unprotokollierten Treffen Gianni Infantinos (52) mit dem ehemaligen Bundesanwalt Michael Lauber (56) ermittelt. Letzterer lässt sich ebenfalls von Lorenz Erni vertreten. Dass Blatter und der aktuelle Fifa-Präsident nicht mehr gut aufeinander zu sprechen sind, ist ein offenes Geheimnis. Ebenso der Umstand, dass Infantino aus Brig VS kommt. Das Oberwallis scheint für den Weltfussball das zu sein, was für Österreich-Ungarn die Habsburg war.

Zum Missfallen mancher Beteiligter wird der Prozess auf Deutsch abgehalten. Für Platinis Dolmetscher ist zu hoffen, dass es nicht Walliserdeutsch ist.

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