«Vergib mir, Präsident!»
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Einblick in Blatters Allianzen:«Vergib mir, Präsident!»

Neue Einblicke in Sepp Blatters Freundschaften
«Vergib mir, Präsident!»

Ein Polizeibericht beschreibt im Detail, wie eine Männerfreundschaft den Weltfussball beherrschte. Die Vorwürfe gegen Sepp Blatter sind happig. Der wehrt sich – und Bundesanwalt Lauber gibt auf.
Publiziert: 02.05.2020 um 17:37 Uhr
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Aktualisiert: 03.05.2020 um 08:58 Uhr
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«Eine Umarmung, Sepp»: Jack Warner (l.) und Sepp Blatter in guten Zeiten (2007 am Concacaf-Final USA–Mexiko).
Foto: foto-net
Reza Rafi

Seit fünf Jahren ermittelt die Schweizer Justiz gegen Sepp Blatter (84). Der Walliser ist ehemaliger Fifa-Boss, gefallener Fussballpapst, zeitweise der berühmteste aller Schweizer. Der Verdacht: ungetreue Geschäfts­besorgung.

Der 491-seitige Bericht der ­Bundespolizei vom 10. Dezember liegt SonntagsBlick vor. Die Kriminalbeamten beschreiben darin, ­gestützt auf unzählige E-Mails und andere Dokumente, wie eine ­toxische Männerfreundschaft den Weltfussball bestimmte.

Als Blatter 1998 Präsident der Fifa wurde, sass jenseits des Atlantiks Jack Warner (77) auf dem Thron. Der Mann aus Trinidad war langjähriger Präsident der Karibischen Fussballunion (CFU) und des Verbands für die Karibik, Nord- und Zentralamerika (Concacaf). Die beiden verband – laut Polizeireport – eine wechselseitige Abhängigkeit.

Warner war für Blatters Fifa-­Präsidentschaft mutmasslich wichtigster Stimmenbeschaffer. Blatter soll dessen Verband gemäss Bericht 2011 als seine «Home­base» bezeichnet haben.

Da war nur ein Problem: Warner ist eine der zwielichtigsten Figuren im Fussballgeschäft. Und er ­nutzte seinen Trumpf gegenüber ­Blatter schamlos aus.
Das wertvollste Gut, das die Fifa produziert, sind Fernsehbilder. Übertragungsrechte für WM-­Spiele sind in der Sportwelt reines Gold. Die TV-Rechte für die Weltmeisterschaften 2010 und 2014 wurden für 600'000 Euro an ­Warners Verband verscherbelt. ­Gemäss den Ermittlern des Bundes weit unter Wert.

Dazu soll Warner versucht haben, die Gelder für seinen Verband auf seine persönlichen Konten umzuleiten. Insgesamt habe sich der Schaden auf 3,78 Millionen US-Dollar belaufen. Doch statt die Millionen von der CFU einzufordern, musste der Fifa-Finanzausschuss die 3,78 Millionen abschreiben – ein dickes Geschenk für Warner.

Dass die Rechte verscherbelt worden seien, bestreitet Blatter auf Anfrage von SonntagsBlick. Blatter: «Die TV-Rechte für 2010 wurden der CFU verkaut – zu einem Preis, den sich damals die Spezialisten der TV-Rechte vor­gestellt haben, für eine Gegend, die ausschliesslich aus kleinen ­Inseln besteht. Zusätzlich wurde festgehalten, dass die Fifa im Falle des Weiterverkaufs 50 Prozent des Gewinnes zurückerhält.»

Jedenfalls war der Trinidader für den Schweizer lange «mein ­lieber Präsident, Begleiter, Kollege, aber vor allem: Freund». So formulierte es Blatter in einem E-Mail am 22. Januar 2002.

Ein anderer Walliser gab damals Gegensteuer: Generalsekretär ­Michel Zen-Ruffinen (61). «Blatter hat konsequent in den Interessen von Jack Warner und konträr zu den finanziellen Interessen der Fifa entschieden», soll er an einem Meeting des Executive Committees am 3. Mai 2002 gepoltert haben. Schon bald war Zen-Ruffinen weg.

Nicht ohne Blatters Freund

Nachfolger wurde ein anderer Schweizer, Urs Linsi (70) – mit Warners Segen. «Ich fälle keine Entscheide, ohne meinen Freund zu konsultieren», schrieb ihm Blatter am 15. August 2002.

Die Minne währte nicht lange. Warner überwarf sich mit dem Vermarktungsunternehmen Infront. Sein Verband CFU schuldete der Zuger Firma 2,55 Millionen Dollar. Doch Linsi blieb hart und mahnte Warner in einem Schreiben vom 28. März 2006, «respektvoll mit ­einem verdienten Geschäftspartner der Fifa» umzugehen und die ­Verträge einzuhalten.

Das war zu viel. Es folgte die ­Eskalation. «When are you going to clean up this mess?» soll Linsi Warner einmal gefragt haben: Wann räumst du da auf?
Ein Muster zeichnet sich ab: Wer sich mit dem Freund des Präsidenten anlegt, ist Geschichte. Am 7. Juni 2007 teilte Blatter Warner endlich mit: «Dear President, dear friend, heute habe ich Urs Linsi über die Beendigung der ­Zusammenarbeit unterrichtet.» Er schloss mit «Un abrazo, Sepp» (spanisch für «Umarmung»).

Überglücklich antwortete Warner: «Vergib mir, Präsident, aber ich habe mir zur Feier gerade einen straight drink genehmigt. Gott weiss, dass bessere Tage für die Fifa kommen werden. Ich werde Dein Vizepräsident sein … mein Leben lang.»

Später, am 27. Juni 2007, soll Blatter an einer Sitzung des Exekutiv­komitees gemäss Bericht die «polizei-ähnliche Atmosphäre» unter Linsi moniert haben.

Auf Linsi folgte Jêrome Valcke (59). Die beiden verband tiefe Abneigung. «Mit dem werde ich nie mehr zusammenarbeiten», hatte der Franzose kurz zuvor über Linsi geschrieben.

Etwas zu früh schickte Warner Valcke ein Gratulationsmail, dummerweise mit Kopie an den fran­zösischen Fifa-Funktionär Jérôme Champagne (61). Valcke antwortete Warner: «Champagne meint immer noch, er sei im Rennen. Er wird über dein E-Mail nicht happy sein!!!!!!!!»

Der Trinidader schien zu­nehmend die Bodenhaftung zu verlieren. Als sich ein Kader für eine Verspätung entschuldigte, schrieb er: «Uh huh.» (Aha). Das Management blieb diskret. Einmal erinnerte Valcke, nichts schriftlich niederzulegen: «By the way no paper, no email, nothing written on that.»

Plötzlich ging es schnell

Am 18. Dezember 2008 meldete sich Linsi bei Warner mit Festtagswünschen zurück: Er wisse, es liege ein schwieriges Jahr hinter ­ihnen. «Aber heute realisiere ich, dass ein schlechtes von acht Jahren ein positives Resultat ist. I would enjoy drinking a black ­label with you again.» Warners Antwort: «Ich fühle mich sehr verletzt, Urs.» Natürlich leitete er alles Blatter weiter. Und stellte dem ­Fifa-Präsidenten die Frage: «Meint Linsi das ernst?» («is he for real?») Darauf schrieb Blatter: «Er war nie echt.» («has never been real»).

Der Spuk hatte erst 2011 ein Ende, als Warner einen grossen Fehler machte. Er hinterging Blatter und unterstützte heimlich die Fifa-Präsidentschaftskandidatur des Katarers Mohammed bin Hammam (70).

Plötzlich ging alles ganz schnell. Am 25. Mai wurde ein Verfahren der Fifa-Ethik-Kommission ein­geleitet. Schon am 20. Juni war ­Warner entmachtet. Und die Gangart der Fifa gegenüber der CFU wurde härter, nachdem – so die Ermittler – «zuvor über Jahre nichts passiert war».

Zur Anschuldigung der Untätigkeit sagt Blatter zu SonntagsBlick: «Sobald im Zusammenhang mit den Wahlen 2011 die Unstimmigkeiten rund um Warners Unterstützung für bin Hammam erkannt wurden, hat die Fifa bzw. die Ethikkommission beschlossen, Warner lebenslang zu suspendieren.» Ex-Präsident Blatter weist «den Vorwurf mit aller Bestimmtheit zurück, dass ich bei Warners mutmasslich rechts­widrigen Geschäften wegschaute».

Dennoch – der Befund der Bundesbehörde ist gravierend: «Es besteht (...) der Verdacht», dass Blatter sowie Valcke und der ehemalige Finanzchef Markus Kattner (49) «mindestens in Kauf genommen hatten, dass Warner sich abredewidrig bereichern konnte und die Fifa (...) durch die mutmassliche Abschreibung der Forderung im Zusammenhang mit den TV-Rechten 2010 in der Höhe von 3 780 918 Dollar gegenüber CFU geschädigt wurde».

Blatter widerspricht: «Als nach Warners Suspension feststand, dass die CFU keine Möglichkeit ­hatte, den Gewinn von 50 Prozent an die Fifa zurückzuzahlen – es handelte sich um den Betrag von 3,78 Millionen US-Dollar – und nach einer Beurteilung der Lage von KPMG, den offiziellen Buch­prüfern der Fifa, beschloss die Fifa-­Finanzkommission, diese Schuld zu erlassen und dies in der Buch­haltung dementsprechend zu vermerken.»

Überhaupt sei die Karibik nie derart wichtig gewesen, so Blatter heute: «In meiner Planung und in meinem Vorgehen zur Wahl des Präsidenten 1998 und in den nachfolgenden Wahlen bzw. Bestätigungen habe ich mich auf die 1975 begonnene Entwicklungszeit in allen Confederationen berufen (insbesondere Afrika, ­Teile von Asien und die Karibik).» Die ­Karibik sei «in keiner Art und Weise ein besonderer Stimmen­beschaffer für das Fifa-Präsidium gewesen.»

Er sei sich «keiner Schuld bewusst», betont er. «Ich bin überrascht, dass dieses Thema, das ­erstmals im September 2015 auf­gegriffen wurde, ausgerechnet jetzt aufs Tapet kommt.» Von der Schweizer Justiz sei er seit September 2015 «in dieser Angelegenheit nie befragt» worden.

Auch Valcke und Kattner, für die ebenfalls die Unschuldsvermutung gilt, bestreiten die Vorwürfe gegen sie.

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Bundesanwaltschaft unter Michael Lauber (54), die rund ein Dutzend Fälle im ­Zusammenhang mit der Fifa führt, das Verfahren einstellt. Man will sich in der Causa Blatter auf die Umstände um eine Zahlung an Ex-Uefa-Präsident Michel Platini (64) konzentrieren.

Dass sich Lauber in einer anderen Sache von Blatter-Anwalt Lorenz Erni beraten lässt, hat laut Bundesanwaltschaft bei diesem Entscheid keine Rolle gespielt.

Unter Druck

Die Bundesanwaltschaft führt rund zwei Dutzend Verfahren im Zusammenhang mit der Fifa. ­Gegen Sepp Blatter laufen die ­Ermittlungen um eine Zahlung an Ex-Uefa-Präsident Michel Platini. Durch seine heimlichen Treffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino ist Bundesanwalt Lauber politisch unter Druck geraten. Dazu lässt er sich von Anwalt Lorenz Erni beraten, der zugleich für Blatter arbeitet.

Die Bundesanwaltschaft führt rund zwei Dutzend Verfahren im Zusammenhang mit der Fifa. ­Gegen Sepp Blatter laufen die ­Ermittlungen um eine Zahlung an Ex-Uefa-Präsident Michel Platini. Durch seine heimlichen Treffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino ist Bundesanwalt Lauber politisch unter Druck geraten. Dazu lässt er sich von Anwalt Lorenz Erni beraten, der zugleich für Blatter arbeitet.

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