Unweigerlich werden Erinnerungen an den Abend des 2. März dieses Jahres wach. Ein 15-jähriger, radikalisierter Dschihadist ging damals in Zürich wie im Blutrausch auf einen 50-jährigen, orthodoxen Juden los. Das Opfer überlebte schwer verletzt. Jetzt wieder Dschihadismus, wieder sind es junge Menschen, kaum aus dem Schutzalter.
Zwei Teenager (15 und 16) aus dem Kanton Schaffhausen und einer aus dem Kanton Thurgau (18) sollen in der Schweiz gewalttätige Angriffe mit Toten geplant haben. Konkret hat die Bundesanwaltschaft den Verdacht, die drei hätten geplant, Menschen umzubringen. Zudem sollen sie eine terroristische Organisation – den Islamischen Staat – nicht nur unterstützt, sondern sich auch daran beteiligt haben. Am Samstag wurde bekannt, dass die Bundesanwaltschaft gegen die drei am Ostermontag ein Verfahren eingeleitet hatte. Sie sitzen in Untersuchungshaft.
Ebenso über Ostern wurden im deutschen Nordrhein-Westfalen vier Jugendliche im Alter von 15 bis 16 Jahren, darunter zwei Mädchen, festgenommen. Die Bundesanwaltschaft bestätigt gegenüber Blick, dass sie mit ihren Gesinnungsgenossen in der Schweiz in Kontakt gestanden hatten. Auch sie sollen im Namen des IS dschihadistisch motivierte Attacken mit Messern und Molotowcocktails geplant haben, meldete die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Ihre Schweizer Kontakte sollen demnach «einen Anschlag in ihrem Heimatland geplant haben».
Sohn sei in die Ermittlungen hineingezogen worden
Blick begibt sich auf Spurensuche nach Neuhausen am Rheinfall SH, wo die beiden mutmasslichen Teenie-Terroristen leben. Der Italiener Valentin S.* (16) wohnt bei seinen Eltern an einer viel befahrenen Strasse. Sein Vater will beim Besuch von Blick kein Interview vor der Kamera geben, bestätigt aber, dass Valentin S. festgenommen wurde.
Von den angeblichen Aktivitäten seines Sohnes will er nichts gewusst haben. Sein Sprössling sei ein Anständiger. Valentin S. sei durch den Kollegen in die polizeilichen Abklärungen hineingezogen worden, sagt der 43-jährige Vater sichtlich geschockt und fügt an: «Mein Sohn ist sicher kein Terrorist!»
Anwohnerin kann sich Terror-Teenie nicht vorstellen
Der zweite Festgenommene, der Schweizer Aras P.* (15), sei ein ruhiger Bub, sagt eine Anwohnerin bei seinem Wohnort: «Er sagt Hoi und Adie.»
Die Frau erzählt, dass sie sich so ganz und gar nicht vorstellen könne, dass Aras P. terroristische Anschläge geplant haben soll. «Er hing oft mit zwei, drei Freunden ab und war stets sehr freundlich.» Es sei eher der Vater, der nicht immer einen guten Eindruck mache, so die Frau: «Er trinkt oft Bier und kifft viel.» Die Familie sei aber grundsätzlich unauffällig.
Mit Leitspruch der Dschihadisten Geld gesammelt
Im Netz lässt sich zu Aras P., der kurdische Wurzeln hat, nicht viel finden. Der Bub spielt gerne Fussball. Doch dann das: Im Februar wurden im Namen des 15-Jährigen im Internet Spenden gesammelt, um Flyer zu drucken und zu verteilen. Wofür, wird aus der Beschreibung nicht wirklich klar. Klar hingegen ist das eingefügte Bild auf der Spendenseite: Es ist die sogenannte Schahada, der Leitspruch der Dschihadisten: «Es gibt keinen Gott ausser Allah und Mohammed ist sein Prophet.»
«In der Schule sagen alle, sie sind Terroristen», sagen Jugendliche der nahen Schule gegenüber «20 Minuten». Seit vergangenem Sommer hätten die beiden oft vom IS gesprochen. «So richtig ernst genommen hat sie aber keiner.» Ausserdem sollen die beiden Jungs an einer Bushaltestelle «ISIS» an eine Wand gekritzelt haben. «Es war bekannt, dass sie das waren», erzählen die Jugendlichen.
Droht der Schweiz eine Teenager-Terror-Gefahr?
Schweizer Teenies spannen mit den nördlichen Nachbarn im selben Alter zusammen, planen Anschläge und unterstützen mutmasslich den globalen Terror? Wie kann es so weit kommen? Und was muss man von der Zukunft erwarten? Einer, der sich genau mit solchen Fragen beschäftigt, ist Jérôme Endrass. Der forensische Psychologe forscht zu Extremismus aller Couleur.
Im Interview mit Blick beruhigt er: «Personen, die bereit sind, Anschläge zu verüben, sind in der Regel sehr auffällig.» Er lobt im vorliegenden Fall primär die Behörden, die ihre Arbeit verrichten, und schreibt nüchtern: «Es gibt extremistische Organisationen, die gut vernetzt und strukturiert sind, und solche, die auf Einzeltäter oder kleine autonome Zellen setzen. Das ist alles andere als neu und den Strafverfolgern bestens bekannt.»
«Zehntausende verbreiten ideologischen Schwachsinn»
Für Endrass ist klar: Nur die wenigsten Menschen sind tatsächlich in der Lage, grossflächige Angriffe durchzuführen. Meist sei eine extremistische Einstellung nur ein Vorwand: «Es gibt leider in jeder Gesellschaft eine kleine Gruppe von Menschen mit einem grossen Gewaltpotenzial, und die nehmen gerne eine ideologische Rechtfertigung an, die es ihnen ‹erlaubt›, Straftaten zu begehen.»
Zentral sei für die Behörden nebst dem Verhalten im Internet insbesondere, wie sich die jungen Dschihadisten im richtigen Leben verhielten und verhalten: «Es gibt Zehntausende, die extremistischen Schwachsinn verbreiten und zum Glück nur ganz wenige, die einen Anschlag begehen wollen. Und die erkennt man am problematischen Verhalten in der realen Welt.»
In Zukunft sei nur eine Sache sicher: «Es wird weiterhin gewaltbereite Extremisten geben und wir wissen ganz gut, wie wir sie erkennen können. Egal unter welche Flagge sie dann segeln.»
Für alle Verhafteten gilt die Unschuldsvermutung.
* Namen geändert